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Die WHO hat heute die größte Menge wissenschaftlicher Daten zur Verfügung, die je über eine mögliche neue Grippepandemie gesammelt wurde. Und da ist es ziemlich beunruhigend, dass diese hochoffizielle Anzug-und-Laborkittel-Institution, die normalerweise eher die Devise »keine Panik« ausgibt, folgende Liste »Was man über Grippepandemien wissen muss« für ihre Klientel, also für jeden, bereithält:

Die Welt steht vor einer weiteren Pandemie.

Alle Länder werden betroffen sein.

Es wird zu Massenerkrankungen kommen.

Die medizinische Versorgung wird unzulänglich sein.

Es wird viele Tote geben.

Die ökonomischen und sozialen Schäden werden enorm sein.

Die relativ konservative WHO geht »nach relativ konservativer Schätzung von 2 Millionen bis 7,4 Millionen Toten« aus, wenn die Vogelgrippe auf den Menschen übergreift und durch die Luft übertragen wird (wie die Schweinegrippe, H1N1). »Diese Schätzung«, erklärt die WHO weiter, »basiert auf der verhältnismäßig milden Grippepandemie von 1957. Wenn man von einem Virus ausgeht, das so virulent ist wie das von 1918, liegen die Schätzungen sehr viel höher.« Schön, dass die WHO diese höheren Schätzungen nicht in die »Was man wissen muss«Liste aufgenommen hat. Unschön, dass sie nicht sagen kann, die höheren Schätzungen wären weniger realistisch.

Von all den tiefgefrorenen Toten von 1918 grub Hultin schließlich die Leiche einer Frau aus und nannte sie Lucy. Er trennte die Lunge aus Lucys Körper heraus und schickte sie an Taubenberger, der Gewebeproben nahm und wirklich bemerkenswerte Erkenntnisse gewann. Seine Ergebnisse, die 2005 veröffentlicht wurden, zeigen, dass die Quelle für die Pandemie 1918 die Geflügelpest war – Vogelgrippe. Eine große wissenschaftliche Frage war beantwortet.

Andere Forschungen kommen zu dem Ergebnis, dass das Virus von 1918 in Schweinen mutiert sein könnte (die in besonderer Weise für Viren von Vögeln und Menschen anfällig sind) oder womöglich sogar eine Zeit lang in menschlichen Populationen, bis es seine tödlichen Eigenschaften voll ausgebildet hatte. Ganz sicher kann man es nicht wissen. Sicher wissen wir nur, dass es einen wissenschaftlichen Konsens gibt, dass neue Viren, die zwischen Nutztieren und Menschen ausgetauscht werden, in naher Zukunft weltweit eine große gesundheitliche Bedrohung darstellen werden. Das bezieht sich nicht nur auf die Vogelgrippe oder die Schweinegrippe oder welche auch immer als Nächstes kommt, sondern auf die gesamte Klasse der »zoonotischen« (von Tieren auf Menschen und umgekehrt übertragbaren) Erreger – vor allem Viren, die zwischen Menschen, Hühnern, Puten und Schweinen ausgetauscht werden.

Wir können auch sichers ein, dass wir, wenn wir über Grippepandemien sprechen, nicht vergessen dürfen, dass die zerstörerischste Krankheit, die die Welt je erlebt hat, und eine der größten gesundheitlichen Bedrohungen unserer Zeit sehr eng mit der Gesundheit der Nutztiere in aller Welt zusammenhängt, vor allem mit der von Vögeln.

Alle Grippearten

EINE WEITERE WICHTIGE FIGUR in der Geschichte der Grippeforschung ist der Virologe Robert Webster, der nachwies, dass alle menschlichen Grippearten von Vögeln stammen. Er nannte das die »Barnyard Theory« (»Bauernhof-Theorie«), weil er davon ausging, dass»die Viren in menschlichen Pandemien einige Gene aus den Grippeviren domestizierter Vögel beziehen«.

Einige Jahre nach der Pandemie der »Hongkong-Grippe« von 1968 (deren Nachfolger immer noch jährlich 20 000 Amerikaner das Leben kostet) identifizierte Webster das Virus. Wie er angenommen hatte, war es ein Hybrid aus verschiedenen Bestandteilen eines Vogelvirus, das in einer Ente in Mitteleuropa gefunden wurde. Inzwischen weiß man, dass es keine Ausnahme war, dass die Pandemie von 1968 ihren Ursprung in Vögeln hatte: Wissenschaftler sagen heute, dass die Quelle aller Grippeviren in migrierenden Wasservögeln zu suchen ist, wie Enten und Gänsen, die seit hundert Millionen Jahren auf der Erde leben. Die Grippe hat also mit unserer Beziehung zu Vögeln zu tun.

Ein paar wissenschaftliche Grundlagen sind hier erforderlich: Wilde Enten, Gänse, Seeschwalben und Möwen, die ursprüngliche Quelle der Viren, tragen das gesamte Spektrum der Grippeviren in sich, von H1 bis zum kürzlich entdeckten H16, außerdem N1 bis N9. Auch domestizierte Vögel können Träger einer ganzen Reihe dieser Erreger sein. Weder wilde noch domestizierte Vögel werden von diesen Viren notwendigerweise krank. Oft transportieren sie sie einfach, manchmal rund um den Erdball, und geben sie dann mit ihren Fäkalien in Seen, Flüsse, Teiche und dank der industriellen Tierverarbeitung ziemlich häufig direkt in das, was wir essen.

Jede Säugetierart ist nur für einige der von Vögeln übertragenen Viren anfällig. Menschen zum Beispiel sind typischerweise nur für H1, H2 und H3 anfällig, Schweine für H1 und H3, Pferde für H3 und H7. Das H steht für Hämagglutinin, ein Protein, das auf der Oberfläche von Grippeviren gefunden wurde und nach seiner Fähigkeit zu »agglutinieren« benannt ist – das heißt, rote Blutkörperchen zu verklumpen. Hämagglutinin dient als eine Art molekulare Brücke, die es dem Virus ermöglicht, in die Zellen des Opfers einzudringen wie feindliche Truppen über eine provisorische Brücke. Das Hämagglutinin kann seine tödliche Wirkung aufgrund seiner Fähigkeit entfalten, sich an bestimmte molekulare Strukturen zu binden, die sogenannten Rezeptoren, die sich auf der Oberfläche menschlicher und tierischer Zellen befinden. H1, H2 und H3 – die drei Arten Hämagglutinin, die Menschen normalerweise angreifen – sind Spezialisten dafür, sich in unseren Atemwegen festzusetzen, daher beginnt die menschliche Grippe so oft dort.

Die Schwierigkeiten beginnen dann, wenn ein Virus in einer Spezies nervös wird und anfängt, sich mit anderen Viren in anderen Spezies zu verbinden, wie es beim H1N1 geschehen ist (in dem Vogel-, Schweine-und Menschenviren vereinigt sind). Im Falle des H5N1, eines für den Menschen höchst ansteckenden neuen Virus, besteht die Befürchtung, dass es sich in Schweinepopulationen ausbreiten könnte, denn Schweine sind sowohl für die Arten von Viren anfällig, die Vögel angreifen, als auch für die, die für den Menschen gefährlich sind. Wenn ein einziges Schwein sich mit zwei verschiedenen Virentypen gleichzeitig ansteckt, besteht die Möglichkeit, dass diese Viren ihre Gene austauschen. Das Schweinegrippevirus H1N1 scheint so entstanden zu sein. Besorgniserregend ist, dass ein solcher genetischer Austausch zwischen Viren ein neues Virus schaffen könnte, das so gefährlich ist wie die Vogelgrippe und so ansteckend wie eine banale Erkältung.

Wie sind diese neuen Krankheiten entstanden? Inwiefern ist die moderne Landwirtschaft dafür verantwortlich? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir wissen, woher die Vögel kommen, die wir essen, und warum ihre Lebensumstände perfekt sind, um nicht nur die Vögel, sondern auch uns krank zu machen.

Leben und Tod eines Vogels

DIE ZWEITE FARM, die ich mit C. zusammen sah, bestand aus einer Reihe von 20 Hallen, je 14 Meter breit und 150 Meter lang, und in jeder lebten um die 33 000 Vögel. Ich hatte kein Maßband dabei und konnte sie nicht mal annähernd zählen. Aber ich kann diese Zahlen trotzdem mit einiger Sicherheit nennen, denn es sind die in der Industrie üblichen Maße – wobei einige Farmer inzwischen noch größere Hallen bauen: bis zu 18 Meter breit und 155 Meter lang, für 50 000 oder mehr Vögel.