50 Milliarden. Jedes Jahr müssen 50 Milliarden Vögel so leben und sterben.
Man kann gar nicht oft genug betonen, wie revolutionär und relativ neu diese Realität ist – vor Celia Steeles Experiment 1923 war die Anzahl der Vögel aus Massentierhaltung gleich null. Und wir ziehen die Hühner nicht nur anders auf, wir essen auch viel mehr. Amerikaner essen heute 150-mal so viel Hühnerfleisch wie vor 80 Jahren.
Noch etwas, was wir über diese 50 Milliarden sagen können, ist, dass sie minutiös berechnet sind. Die Statistiker, die die Zahl neun Milliarden für die USA ausgeben, brechen sie auf Monat, Bundesstaat, Gewicht des Vogels runter und vergleichen diese Zahlen – jeden Monat aufs Neue – mit der Todesrate im gleichen Monat des Vorjahrs. Diese Zahlen werden studiert, diskutiert, vorausberechnet und von der Industrie wie kultische Objekte verehrt. Sie sind nicht mehr reine Fakten, sondern die Verkündigung eines Sieges.
Einfluss
EBENSO WIE DAS VIRUS, das es benennt, verdanken wir das Wort Influenza einer Mutation. Das Wort wurde zuerst im Italienischen benutzt und bezeichnete den Einfluss der Sterne – also astrale oder okkulte Einflüsse, die von vielen Menschen gleichzeitig empfunden wurden. Ab dem 16. Jahrhundert vermischte sich die Bedeutung allerdings mit der Bedeutung anderer Wörter und bezeichnete epidemische und pandemische Grippeerkrankungen, die verschiedene Gemeinschaften gleichzeitig trafen (als hätte eine böse Macht sie verursacht).
Zumindest etymologisch sprechen wir also, wenn wir über die Grippe sprechen, über Einflüsse, die die ganze Welt gleichzeitig prägen. Die heutigen Vogel-und Schweinegrippeviren oder die Spanische Grippe von 1918 sind nicht die wirkliche Influenza, nicht der eigentliche Einfluss, sondern nur sein Symptom.
Nur wenige von uns glauben noch, dass Pandemien von okkulten Mächten geschickt werden. Sollen wir 50 Milliarden kranke, mit Medikamenten vollgestopfte Vögel – Vögel, die der Ursprung aller Grippeviren sind – als grundlegenden Faktor für die Entwicklung neuer, für den Menschen gefährlicher Erreger in Betracht ziehen? Was ist mit den 500 Millionen in Gefangenschaft lebenden Schweinen mit kaputten Immunsystemen?
2004 trafen sich Experten für neu auftauchende Zoonosen aus aller Welt und erörterten einen möglichen Zusammenhang zwischen all diesen eingesperrten kranken Tieren und ausbrechenden Pandemien. Bevor wir zu ihren Schlussfolgerungen kommen, ist es hilfreich, über die neuen Erreger als zwei miteinander verwandte, aber doch eigenständige Bedrohungen für die Gesundheit der Menschen nachzudenken. Die erste Bedrohung ist eine allgemeinere und hat mit dem Zusammenhang zwischen Massentierhaltung und allen Erregern, wie etwa neuen Varianten von Campylobacter, Salmonellen und E. coli zu tun. Die zweite Bedrohung für die menschliche Gesundheit ist spezieller: Menschen schaffen die Bedingungen für die Entstehung des ultimativen Supererregers, eines Hybridvirus, das quasi für eine Wiederholung der Spanischen Grippe von 1918 sorgen könnte. Diese beiden Themen hängen eng miteinander zusammen.
Es kann nicht jeder Fall lebensmittelinduzierter Krankheiten zurückverfolgt werden, aber dort, wo der Verursacher bekannt ist, beziehungsweise das Transportmedium, ist es in der überwältigenden Mehrheit der Fälle ein Tierprodukt. Laut dem amerikanischen Seuchenzentrum (Centers for Disease Control, CDC) ist Geflügel der Hauptverursacher. Einer Studie des Consumer Report zufolge sind 83 Prozent des Hühnerfleischs (inklusive antibiotikafreiem Fleisch und Biofleisch) zum Zeitpunkt des Kaufs entweder mit Campylobacter oder Salmonellen infiziert.
Ich bin nicht sicher, warum nicht mehr Menschen über die Zahlen der vermeidbaren lebensmittelinduzierten Krankheiten Bescheid wissen (und entsprechend wütend sind). Vielleicht ist es nicht so offensichtlich, dass da etwas im Argen liegt, denn wenn etwas andauernd passiert – zum Beispiel, dass Fleisch (vor allem Geflügel) kontaminiert ist –, fällt es nicht mehr so auf.
Aber wenn man erst mal weiß, worauf man achten muss, erschrecken einen diese Erreger zunehmend. Wenn zum Beispiel das nächste Mal ein Freund eine plötzliche »Grippe« hat – das, was fälschlicherweise oft »Magen-Darm-Grippe« genannt wird –, stellen Sie mal ein paar Fragen. War es eine dieser 24-Stunden-Krankheiten, die genauso schnell wieder gehen, wie sie gekommen sind – Brechdurchfall, und dann geht’s wieder? Die Diagnose ist nicht so leicht, aber wenn die Antwort auf diese Frage Ja lautet, hatte Ihr Freund wahrscheinlich keine Grippe – er gehört wahrscheinlich zu den 76 Millionen Fällen, die nach Schätzungen des CDC in den USA jährlich durch Lebensmittel krank werden. Ihr Freund hat sich nicht »einen Bazillus gefangen«, er hat vielmehr einen gegessen. Und aller Wahrscheinlichkeit nach stammte der aus Massentierhaltung.
Abgesehen von der unglaublich großen Zahl an Erkrankungen, die mit der Massentierhaltung zusammenhängen, wissen wir auch, dass die Tierfabriken dazu beitragen, dass immer mehr Erreger gegen antimikrobielle Mittel resistent sind, einfach weil diese Farmen so viel davon verwenden. Wir müssen zum Arzt gehen und uns Antibiotika und andere antimikrobielle Mittel verschreiben lassen, damit nicht zu viele dieser Medikamente genommen werden. Das schützt die öffentliche Gesundheit. Wir akzeptieren diesen Umstand, weil er medizinisch notwendig ist. Mikroben gewöhnen sich irgendwann an antimikrobielle Medikamente, und wir wollen sicherstellen, dass sie nur von den wirklich Kranken genommen werden, solange die Mikroben noch nicht resistent dagegen sind.
In einer typischen Tierfabrik bekommen die Tiere mit jeder Mahlzeit Medikamente. In Geflügelfarmen ist das, wie bereits beschrieben, geradezu notwendig. Der Industrie war dieses Problem von Anfang an bewusst, aber statt weniger produktive Tiere zu akzeptieren, stärkten sie das geschwächte Immunsystem der Tiere mit Futterzusätzen.
Nutztiere werden also nichttherapeutisch (das heißt, bevor sie krank werden) mit Antibiotika gefüttert. In den Vereinigten Staaten werden pro Jahr 1,4 Millionen Kilo Antibiotika an Menschen ausgegeben, aber unglaubliche acht Millionen Kilo an Tiere – das ist zumindest die Zahl, die von der Industrie kommuniziert wird. Die Union of Concerned Scientists (UCS) hat nachgewiesen, dass die Industrie ihren Gebrauch von Antibiotika um mindestens 40 Prozent zu niedrig angibt. Die UCS hat ausgerechnet, dass 11,2 Millionen Kilo Antibiotika an Hühner, Schweine und andere Masttiere verfüttert werden, und da ist nur der nichttherapeutische Einsatz berechnet. Und weiter rechnet sie aus, dass geschlagene 6,1 Millionen Kilo dieser antimikrobiellen Mittel in der EU verboten wären.
Was das für das Entstehen resistenter Erreger bedeutet, liegt auf der Hand. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Resistenz gegen antimikrobielle Mittel der Einführung neuer Medikamente in der Massentierhaltung auf dem Fuße folgt. Nachdem die Food and Drug Administration (FDA, Lebensmittelbehörde) 1995 gegen den Protest des Seuchenzentrums Fluoroquinolon – zum Beispiel Cipro – für den Einsatz bei Hühnern zugelassen hatte, stieg der Prozentsatz der Bakterienstämme, die gegen dieses starke Mittel resistent waren, bis 2002 von fast null auf 18 Prozent. Eine breiter angelegte Studie im New England Journal of Medicine zeigte für den Zeitraum von 1992 bis1997eine achtfache Erhöhung der Resistenz gegen antimikrobielle Mittel und brachte diesen Anstieg mithilfe molekularer Subtypisierung mit dem Einsatz antimikrobieller Mittel bei Fabrikhühnern in Verbindung.