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Natürlich nicht. In den letzten Jahrzehnten sind immer wieder Wissenschaftler an die Öffentlichkeit getreten und haben die Entdeckung von Genen verkündet, die unseren körperlichen Zustand und unsere seelischen Neigungen »kontrollieren« sollen. Da wird beispielsweise ein »Fettgen« vorgestellt und versprochen, seine Entfernung aus dem Genom werde dafür sorgen, dass wir essen könnten, was wir wollten, auf jegliche sportliche Betätigung verzichten dürften und dennoch nicht mehr dick würden. Es wird auch behauptet, bestimmte Gene würden zu Untreue, mangelnder Neugier, Feigheit oder Unbeherrschtheit führen. Das ist sicher insofern richtig, als bestimmte Genomsequenzen unser Aussehen, unser Handeln, unsere Gefühle stark beeinflussen. Aber abgesehen von einer Handvoll äußerst simpler Eigenschaften wie Augenfarbe handelt es sich nicht um Eins-zu-eins-Beziehungen; und ganz gewiss nicht bei einem so komplexen Feld wie den verschiedenartigen Phänomenen, die wir unter dem Begriff »Stress« zusammenfassen. Wenn wir von Stress bei Nutztieren sprechen, meinen wir ganz unterschiedliche Dinge: Nervosität, abnorme Aggressivität, Frustration, Angst und vor allem Leiden – und nichts davon sind simple genetische Merkmale wie blaue Augen, die sich einfach ausschalten lassen.

Ein Schwein aus einer der vielen Rassen, die traditionell auf Amerikas Farmen gezüchtet wurden, konnte und kann das ganze Jahr draußen leben, wenn man ihm ausreichenden Wetterschutz und Schlafplätze bietet. Das ist auch gut so, denn dadurch lassen sich nicht nur ökologische Katastrophen vom Ausmaß der Exxon-Valdez-Ölpest vermeiden (dazu komme ich später), sondern Schweine können durch Auslauf im Freien auch all das tun, was sie am liebsten tun – laufen, spielen, sich sonnen, grasen, sich in Schlamm und Wasser wälzen, damit der Wind sie kühlt (Schweine können nur an der Schnauze schwitzen). Die heute in der Massentierhaltung verwendeten Rassen sind genetisch so weit verändert, dass sie oft genug in klimaregulierten Gebäuden gehalten werden müssen, von Sonne und Jahreszeitenwechsel völlig abgeschnitten. Wir züchten Kreaturen, die nur in künstlichster Umgebung überlebensfähig sind. Wir haben die ungeheuren Möglichkeiten moderner Genetik darauf konzentriert, Tiere zu erschaffen, die mehr leiden.

Nett, beunruhigend, unsinnig

MARIO FÜHRT MICH HINTER DAS GEBÄUDE. »Das hier ist der Schweinepferch. Sie kommen am Abend vorher an. Wir spritzen sie sauber. Wenn sie 24 Stunden bleiben müssen, füttern wir sie. Die Gehege wurden eigentlich eher für Rinder gebaut. Sie bieten genug Raum für 50 Schweine, aber manchmal kriegen wir 70 oder 80 auf einmal, dann wird es schwierig.«

Es ist ziemlich heftig, so großen, intelligenten Lebewesen so nah zu sein, wenn ihr Tod so kurz bevorsteht. Man kann unmöglich wissen, ob sie tatsächlich spüren, was sie erwartet. Außer wenn der Knocker herauskommt, um das nächste Schwein in den Gang zu treiben, wirken sie relativ entspannt. Es ist kein offensichtliches Entsetzen, kein Geheul oder auch nur Zusammendrängen zu beobachten. Ein Schwein fällt mir allerdings auf, das auf der Seite liegt und ziemlich zittert. Alle anderen springen auf, wenn der Knocker kommt, doch dieses bleibt liegen und bibbert. Würde George sich so verhalten, führen wir sofort mit ihr zum Tierarzt. Und wenn jemand sähe, dass ich mich nicht um sie kümmern würde, würde er oder sie mir zumindest fehlende Menschlichkeit attestieren. Ich frage Mario nach dem Schwein.

»So was machen Schweine eben«, sagt er glucksend.

Es ist tatsächlich nicht ungewöhnlich, dass Schweine, die aufs Schlachten warten, Herzinfarkte bekommen oder ihnen die Beine den Dienst versagen. Zu viel Stress: der Transport, der Tapetenwechsel, die Behandlung, das Quieken hinter der Tür, der Blutgeruch, das Armeschwenken des Knockers. Aber vielleicht machen Schweine so was eben einfach nur, und Marios Glucksen bezieht sich auf meine Unwissenheit.

Ich frage Mario, ob er glaubt, dass die Schweine irgendeine Ahnung haben, wieso sie hier sind oder was drinnen passiert. »Ich persönlich glaube nicht, dass sie es wissen. Eine Menge Leute versuchen einem das einzureden: Tiere wissen, dass sie

sterben müssen. Ich habe schon so viele Schweine und Rinder hier durchlaufen sehen, und ich habe überhaupt nicht den Eindruck. Klar haben sie Angst, weil sie ja noch nie hier drin gewesen sind. Sie sind ans Draußensein gewöhnt, an Erde und Weiden und so was. Darum bringen wir sie gerne nachts hier rein. Wenn sie was wissen, dann bloß, dass sie weggebracht wurden und jetzt woanders auf irgendwas warten.«

Vielleicht ist ihnen ihr Schicksal unbekannt und macht ihnen daher keine Angst. Vielleicht hat Mario recht, vielleicht auch nicht. Beides scheint möglich.

»Mögen Sie Schweine?«, frage ich – vielleicht die Frage, die am ehesten auf der Hand liegt und doch in diesem Zusammenhang sehr schwer zu stellen und zu beantworten ist.

»Sie müssen getötet werden. Das ist irgendwie eine mentale Sache. Wenn es darum geht, welches Tier ich lieber mag als andere, sind Lämmer am schlimmsten. Unser Schocker ist für Schweine gemacht, nicht für Lämmer. Früher haben wir sie erschossen, aber es kann Querschläger geben.«

Dieser letzten Bemerkung über Lämmer kann ich nicht recht folgen, weil meine Aufmerksamkeit vom Knocker beansprucht wird, der gerade nach draußen kommt, die Arme zur Hälfte blutverschmiert, und mit einem Paddel, an dem eine Rassel hängt, das nächste Schwein in den Schlachtraum treibt. Ganz unvermittelt – oder auch nicht – fängt Mario an, über seinen Hund zu reden, »einen Kleinhund, einen Shih Tzu«, sagt er und spricht die erste Silbe »Shit« aus, macht dann eine Millisekunde Pause, als müsse er im Mund Druck aufbauen, um schließlich »Zu« herauszischen zu lassen. Mit offensichtlichem Vergnügen erzählt er mir von der Geburtstagsfeier, die er vor Kurzem für seinen Shih Tzu organisiert hatte und zu der er und seine Familie die anderen Hunde der Gegend eingeladen hatten, »alle kleinen Hunde«. Schließlich hatte er ein Foto von allen Hunden auf dem Schoß ihrer Besitzer gemacht. Früher konnte er kleine Hunde nicht leiden. Betrachtete sie nicht als richtige Hunde. Dann hatte er einen kleinen Hund geschenkt bekommen, und jetzt liebte er kleine Hunde. Der Knocker kommt her

aus, schwenkt die blutigen Arme und holt das nächste Schwein.

»Geht Ihnen das mit den Tieren schon mal nahe?«, frage ich.

»Nahegehen?«

»Wollten Sie schon mal eins verschonen?«

Er erzählt mir die Geschichte einer Kuh, die ihm kürzlich gebracht wurde. Sie war als eine Art Haustier auf einem Hobbybauernhof gehalten worden, und dann »war ihre Zeit gekommen«. (Niemand scheint solche Sätze näher erläutern zu wollen.) Als Mario sich daranmachte, die Kuh zu töten, leckte sie ihm übers Gesicht. Immer wieder. Vielleicht war sie einfach daran gewöhnt, Menschen als Gefährten zu betrachten. Vielleicht flehte sie auch um Gnade. Als Mario die Geschichte erzählt, gluckst er wieder und zeigt damit – absichtlich, glaube ich –, wie unwohl er sich dabei fühlte. »Junge, Junge«, sagt er. »Dann hat sie mich an die Wand gedrückt und sich ungefähr 20 Minuten oder so an mich gelehnt, ehe ich sie endlich zu Boden gekriegt habe.«