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bedeckte. Nach einem kurzen Lächeln und einem festen Händedruck führte er mich ins Haus. Ein paar Minuten saßen wir schweigend in einer Küche, deren Einrichtung anscheinend zu Zeiten des Kalten Krieges aus dem Ostblock geschmuggelt worden war. Es war noch Kaffee in der Maschine, aber Paul bestand darauf, neuen zu kochen. »Der hier steht schon eine Weile«, erklärte er und zog seinen gefütterten Overall aus, worunter er einen weiteren mit schmalen blauen und weißen Streifen trug.

»Ich nehme an, Sie wollen das aufnehmen«, sagte er, ehe er zu erzählen anfing. Diese Offenheit und Hilfsbereitschaft, diese Bereitschaft, seine Geschichte für ein größeres Publikum zu erzählen, gab den Ton für den Rest unseres gemeinsamen Tages vor – auch für die Momente, in denen unsere Meinungsverschiedenheiten offen zutage traten.

»Ich bin in diesem Haus aufgewachsen«, fing Paul an. »Die Familie traf sich hier zum Essen, vor allem sonntags, Verwandte wie Großeltern, Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen kamen. Nach dem Essen, bei dem es immer Gemüse der Saison gab, Maiskolben zum Beispiel oder frische Tomaten, rannten wir Kinder raus und spielten den Rest des Tages am Fluss oder im Wald, bis wir nicht mehr konnten. Der Tag war nie lang genug für all die Dinge, die Spaß machten. Dieses Zimmer, in dem ich jetzt arbeite, war die gute Stube, wo für die Sonntagsessen gedeckt wurde. An den anderen Tagen aßen wir in der Küche, und meistens waren noch ein paar Männer zum Essen da, vor allem, wenn besondere Arbeiten anstanden – Heu machen oder Schweine kastrieren oder irgendwelche Bauprojekte, ein Kornsilo zum Beispiel. Alles, wofür man zusätzliche Arbeitskraft brauchte. Das Mittagessen war selbstverständlich. Nur im Notfall fuhren wir in die Stadt zum Essen.«

Neben der Küche gab es noch ein paar größtenteils leere Zimmer. In Pauls Büro stand ein einzelner Holzschreibtisch, darauf ein Computer, dessen Bildschirm von Mails, Tabellenkalkulationen und Ordnern übersät war; an den Wänden hingen Karten mit Stecknadeln darauf, welche die zu Niman Ranch gehörenden Farmer sowie die zugelassenen Schlachthöfe markierten. Hinter großen Fenstern wogte die typische Agrarlandschaft Iowas: Sojafelder, Maisfelder, Weiden.

»Ich will mich kurz fassen«, fuhr Paul fort. »Als ich auf die Farm zurückkam, fingen wir an, Weideschweine zu züchten, im Grunde ganz ähnlich wie heute. Und es war auch gar nicht so viel anders in meiner Kindheit. Als Junge hatte ich verschiedene Aufgaben auf dem Hof, und ich kümmerte mich um die Schweine. Aber natürlich hatte sich auch einiges geändert, vor allem, was den Maschinenpark angeht. Damals setzte im Grunde die Muskelkraft der Arbeit Grenzen. Man arbeitete mit der Mistgabel. Das machte landwirtschaftliche Tätigkeit so mühevoll.

Aber ich will nicht abschweifen: Ich züchtete also meine Schweine, und es machte mir Spaß. Nach und nach vergrößerten wir uns, bis wir 1000 Schweine im Jahr großzogen, ungefähr so wie heute. Dann sah ich immer häufiger, dass solche Mastställe mit Käfigen gebaut wurden. Damals zog das in North Carolina ziemlich an, Murphy Family Farms. Ich ging zu ein paar Versammlungen, und alle sagten: ›Das ist die Zukunft. Wir müssen uns vergrößern!‹ Und ich habe gesagt: ›Nichts hiervon ist besser als das, was ich tue. Nichts. Es ist nicht besser für die Tiere, nicht besser für die Viehzüchter, nicht besser für die Verbraucher. Nichts daran ist besser.‹ Aber sie hatten schon viele Leute, die im Geschäft bleiben wollten, davon überzeugt, dass es so laufen müsste. Ich schätze mal, das war so Ende der Achtziger. Also fing ich an, einen Markt für ›freilaufende Schweine‹ zu suchen. Ich habe den Ausdruck sogar erfunden.«

Hätte sich die Geschichte ein wenig anders entwickelt, kann man sich leicht vorstellen, dass Paul keinen Abnehmer gefunden hätte, der ihm für seine Schweine mehr bezahlt hätte als für die leichter erhältlichen von Smithfield. An diesem Punkt hätte seine Geschichte zu Ende sein können, so wie die einer halben Million Schweinezüchter, die in den letzten 25 Jahren aufgeben mussten. Aber zufällig fand Paul in Bill Niman, dem Gründer von Niman Ranch, genau den Abnehmer, den er brauchte, und kurze Zeit später leitete er bereits die Schweinefleischproduktion bei Niman Ranch, während Bill und sein Unternehmen Abnehmer für Andy in Michigan, dann für Justin in Minnesota, für Todd in Nebraska, für Betty in South Dakota, für Charles in Wisconsin und für inzwischen 500 weitere kleine Schweinezüchter fanden. Niman Ranch zahlt diesen Farmern fünf Cent pro Pfund über dem üblichen Marktpreis und hat außerdem einen Mindestpreis festgelegt, der unabhängig von Marktschwankungen gezahlt wird. Heute bedeutet das pro Schwein eine Mehreinnahme von 25 bis 30 Dollar. Der bescheidene Betrag hat gereicht, diese Farmer überleben zu lassen, während die meisten anderen aufgeben mussten.

Pauls Betrieb ist ein beeindruckendes Beispiel für das, was Wendell Berry, der Inbegriff des intellektuellen Farmers, »unsere wohlmeinenden Versuche, natürliche Vorgänge zu imitieren«, nannte. Paul richtet sich bei seiner Fleischproduktion nach dem Grundsatz, die Schweine (so weit wie möglich) Schweine sein zu lassen. Gut für ihn, dass er ihnen auf diese Weise dabei zusehen kann, wie sie rund und (hat man mir versichert) schmackhaft werden. (Bei Geschmackstests schneiden traditionelle Farmen immer besser ab als industrielle Betriebe.) Es geht darum, dass der Farmer Methoden wählen muss, die das Wohl der Tiere und das Interesse des Farmers, sie nämlich so problemlos wie möglich auf ihr vorgesehenes Schlachtgewicht zu bringen, weitgehend in Einklang bringen. Wer behauptet, dass es eine perfekte Symbiose zwischen Produzenteninteresse und Tierwohl gibt, will höchstwahrscheinlich etwas verkaufen (und zwar keinen Tofu). »Ideales Schlachtgewicht« ist sicher nicht größtmögliches Schweineglück, doch in den besten kleineren Schweinemastbetrieben gibt es eine beachtliche Schnittmenge. Wenn Paul einen Tag alte Eberferkel ohne Betäubung kastriert (wie es 90 Prozent aller männlichen Ferkel widerfährt), dann sollte man meinen, dass seine Interessen nicht sehr gut auf die der ehemaligen Jungeber, nun Altschneider, abgestimmt sind; doch das Leiden ist sehr kurz und begrenzt im Vergleich beispielsweise zur gemeinsamen Freude von Paul und seinen Schweinen, wenn er sie auf der Weide laufen lässt – und erst recht im Vergleich zum ständigen Leid, das Schweine in Massentierhaltung erdulden müssen.

In bester alter Landwirtschaftstradition versucht Paul immer, die Bedürfnisse seines Betriebes so weit wie möglich den Bedürfnissen der Schweine anzupassen – ihrem Biorhythmus und ihrem natürlichen Wachstum.

Während Paul also seine Farm nach der Prämisse führt, die Schweine Schweine sein zu lassen, hat sich die moderne Agrarindustrie gefragt, wie Schweinehaltung wohl aussehen könnte, wenn man sich nur auf Gewinnmaximierung konzentriert – und in Bürohochhäusern in fernen Städten die mehrstufigen Mastbetriebe konzipiert, die heute das Bild in vielen amerikanischen Staaten und auch anderen Ländern bestimmen. Welche praktischen Unterschiede ergeben sich aus diesem ideologischen Graben? Der auffälligste Unterschied – den man sogar von der Straße aus sehen kann, auch wenn man keine Ahnung von Schweinen hat – ist folgender: Auf Pauls Farm haben die Schweine Zugang zu richtiger Erde und stehen nicht auf Beton und Vollspaltenböden. Viele, wenn auch nicht alle Schweinezüchter von Niman Ranch lassen ihre Schweine ins Freie. Wer das nicht tut, muss zumindest für »tiefe Einstreu« sorgen, die den Schweinen erlaubt, sich »artspezifisch« zu verhalten – also wie es sich für Schweine gehört: zu wühlen, zu spielen, Nester zu bauen und sich nachts in tiefem Stroh zusammenzudrängen (Schweine schlafen, weil das wärmer ist, am liebsten gemeinsam).