Zu Pauls Hof gehören fünf Felder von jeweils etwa 30 Morgen, auf denen abwechselnd Schweine weiden oder Futter angebaut wird. Wir fuhren in seinem riesigen weißen Pick-up mit leerer Ladefläche herum. Nach meinen mitternächtlichen Besuchen in Massentierhaltungsbetrieben fand ich besonders bemerkenswert, wie viel ich draußen zu sehen bekam: die Foliengewächshäuser auf den Feldern, die Ställe, die sich zu den Weiden öffneten, Mais und Soja, so weit das Auge reichte. Und weit entfernt gelegentlich ein Massentierhaltungsbetrieb.
Das Herzstück einer jeden Schweinezucht – und entscheidend für den Tierschutz bei Schweinen – ist das Leben der Zuchtsauen. Pauls Jungsauen (die also noch nicht geferkelt haben) und Sauen werden wie auf allen Betrieben von Niman Ranch in Gruppen gehalten, sodass sich eine »stabile soziale Hierarchie« entwickeln kann. (Ich zitiere hier aus den beeindruckenden Tierschutzstandards des Unternehmens, die mithilfe von Paul und verschiedenen Tierschutzexperten entwickelt wurden, darunter auch die Schwestern Diane und Marlene Halverson, die sich seit 30 Jahren für landwirtschaftsfreundlichen Tierschutz einsetzen.)
Neben weiteren Standards, die eine solche stabile Stallhierarchie sicherstellen sollen, verlangt das Regelwerk auch, dass »ein einzelnes Tier nie in eine schon bestehende Gruppe gesetzt werden« darf. Nicht gerade ein Tierschutzprinzip, das man klein gedruckt auf eingeschweißtem Bacon finden wird, aber für Schweine ist es von ungeheurer Bedeutung. Das Prinzip dahinter ist ganz einfach: Schweine brauchen die Gesellschaft anderer, ihnen bekannter Schweine, um sich normal zu verhalten. So wie die meisten Eltern es ihren Kindern ersparen wollen, mitten im Schuljahr die Schule zu wechseln und sich in eine vollkommen unbekannte Klasse integrieren zu müssen, versucht der gute Schweinezüchter immer, seine Tiere in stabilen sozialen Gruppen zu halten.
Paul sorgt außerdem dafür, dass seine Sauen genug Platz haben, damit die ängstlicheren Tiere den aggressiveren ausweichen können. Manchmal baut er mit Strohballen »Rückzugszonen«. Wie die anderen Farmer von Niman Ranch kappt er den Schweinen nicht die Zähne oder Schwänze, wie es in der Massentierhaltung routinemäßig geschieht, um heftiges Beißen und Kannibalismus zu verhindern. Stimmt die Gruppenhierarchie, regeln die Schweine alle Streitigkeiten problemlos untereinander.
Auf allen Schweinefarmen von Niman Ranch müssen trächtige Sauen – also schwangere Schweine – in ihren sozialen Gruppen verbleiben und die Möglichkeit haben, ins Freie zu gelangen. Im Gegensatz dazu werden 80 Prozent aller trächtigen Sauen in Amerika, darunter auch die 1,2 Millionen im Besitz von Smithfield, in so kleinen Einzelkäfigen aus Stahl und Beton eingepfercht, dass sie sich nicht einmal umdrehen können. Wenn Schweine eine Niman-Ranch-Farm verlassen, gelten weiterhin strenge Auflagen für Transport und Schlachtung (die gleichen Tierschutzstandards, die auch eine stabile Stallhierarchie vorschreiben). Das heißt aber nicht, dass bei Niman Ranch »auf die gute alte Art« transportiert und geschlachtet wird. Es gibt zahlreiche tatsächliche Verbesserungen, organisatorische wie auch auf technischer Seite: Zertifizierungen zur humanen Tierbehandlung für Fahrer und Viehtreiber, Schlachtevaluationen, lückenlose Haftungsnachweise, vermehrtes Angebot von besser ausgebildeten Veterinären, Wettervorhersagen, um Transporte bei extremer Hitze oder Kälte zu vermeiden, rutschfester Untergrund, Betäubung. Doch auch bei Niman Ranch hat niemand die Macht, alle Veränderungen durchzusetzen, die wünschenswert wären; diesen Einfluss haben lediglich die großen Agrarunternehmen. Es wird also verhandelt, und es werden Kompromisse eingegangen, wie zum Beispiel die weiten Wege, die viele Schweine von Niman Ranch zu einem akzeptablen Schlachthof zurücklegen müssen.
An Pauls Betrieb und den anderen, die zu Niman Ranch gehören, beeindruckt weniger das, was man sieht, als vielmehr das, was man nicht sieht. Den Tieren werden keine Antibiotika oder Hormone verabreicht, wenn es keinen medizinischen Grund dafür gibt. Es gibt keine Gruben oder Container voller Tierkadaver. Es stinkt nicht, vor allem, weil es keine riesigen Gülleteiche gibt. Weil die Zahl der Tiere der Größe des Besitzes angepasst ist, können mit dem Mist die Felder gedüngt werden, auf denen das Futter der Schweine wächst. Natürlich gibt es auch Leiden, aber zum größten Teil gibt es ganz normales Tierleben und sogar Momente, die nach purem Schweineglück aussehen.
Paul und die anderen Schweinezüchter von Niman Ranch tun (oder lassen) all das nicht bloß, weil sie es wollen; sie sind verpflichtet, sich an die Richtlinien zu halten. Sie unterschreiben Verträge. Sie lassen sich von tatsächlich unabhängigen Prüfern kontrollieren, und was vielleicht noch bemerkenswerter ist: Sie lassen zu, dass Leute wie ich die Tiere unter die Lupe nehmen. Es ist ganz wichtig, das festzuhalten, denn die meisten Standards für »humane« Viehzucht sind bloß durchsichtige Versuche der Agrarindustrie, die wachsende Besorgnis der Verbraucher zu Geld zu machen. Es ist ausgesprochen wichtig, die wenigen Unternehmen hervorzuheben – der winzige Zusammenschluss Niman Ranch ist mit Abstand das größte von ihnen –, die nicht bloß eine Variation der Massentierhaltung darstellen.
Als ich mich zum Aufbruch von Pauls Farm rüstete, zitierte er Wendell Berry und beschwor den unausweichlichen und starken Zusammenhang zwischen jedem Einkauf im Supermarkt, jeder Bestellung im Restaurant und den agrarpolitischen Entwicklungen – also den Entscheidungen, die Farmer wie Paul und Agrarunternehmer treffen. Mit jeder Entscheidung übers Essen, mahnte Paul mit Berrys Worten, »betreibt man Vertreter-Landwirtschaft«.
In dem Essay The Art of the Commonplace fasst Berry zusammen, was dieser Gedanke der »Vertreter-Landwirtschaft« alles beinhaltet.
Unsere Arbeitstechniken … ähneln immer mehr denen des Bergbaus … das ist vielen von uns ausreichend klar. Was wir jedoch vielleicht alle noch nicht genügend begreifen, ist das Ausmaß unserer individuellen Komplizenschaft, vor allem als Verbraucher, am Vorgehen der Konzerne … Die meisten Menschen … lassen die Konzerne stellvertretend für sie sämtliche Lebensmittel produzieren und liefern.
Ein Gedanke, der Mut macht. Der ganze Lebensmittelindustrie-Goliath wird letztendlich durch unsere Wahl geformt und gelenkt, wenn der Kellner ungeduldig auf unsere Bestellung wartet, oder von den praktischen und launenhaften Entscheidungen, wenn wir unseren Einkaufswagen oder unsere Markttasche füllen.
Wir beendeten den Tag in Pauls Haus. Hühner rannten davor herum, an der Seite war ein Eberpferch. »Dieses Haus ist von Marius Floy gebaut worden«, erzählte er mir. »Mein Urgroßvater, der aus Norddeutschland stammte. Es wurde Stück für Stück erweitert, als die Familie wuchs. Wir wohnen seit 1978 hier. Anne und Sarah sind hier aufgewachsen. Sie sind den Weg bis zur Straße runtergelaufen und haben dort den Schulbus genommen.«
Ein paar Minuten später erzählte uns Pauls Frau Phyllis, dass ein Massentierhaltungsbetrieb einem Nachbarn ein Stück Land abgekauft hätte und dort bald eine Schweinemast für 6000 Tiere bauen würde. Der Betrieb sollte direkt neben dem Häuschen entstehen, in dem Paul und Phyllis ihren Lebensabend verbringen wollten – es lag auf einem kleinen Hügel inmitten eines Stücks Land, das Paul in jahrzehntelanger harter Arbeit wieder zu echter mittelwestlicher Prärie gemacht hatte. Er und Phyllis nannten es »die Traumfarm«. Doch neben ihrem Traum drohte jetzt ein Albtraum: Tausende leidender, kranker Schweine, umgeben und beeinträchtigt von schwerem, Brechreiz erregendem Gestank. Die Tierfabrik wird nicht nur den Wert von Pauls Grundbesitz verringern (man geht davon aus, dass amerikanische Bürger durch den Wertverlust ihrer Grundstücke infolge industrieller Landwirtschaft bereits 26 Milliarden Dollar eingebüßt haben) und das Land selbst zerstören, der Gestank wird nicht bloß das Leben in der Nachbarschaft im besten Falle