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Doch nicht einmal Langleinen produzieren so kolossale Beifangmengen wie die Schleppnetzfischerei. Der häufigste Typ des modernen Garnelentrawlers fegt dabei einen 25 bis 30 Meter breiten Meeresbodenstreifen leer. Das Schleppnetz wird mit 4,5 bis 6,5 Stundenkilometern mehrere Stunden lang über den Grund geschleift, wobei Garnelen (und alles andere) in die breite Öffnung eines trichterförmigen Netzsacks gelangen. Schleppnetzfischerei, die vor allem Garnelen und anderen Krebstieren gilt, ist in etwa das Gleiche wie der Kahlschlag eines tropischen Regenwaldes. Egal, was sie eigentlich fangen wollen, Schleppnetze grasen alles ab: verschiedenste Fischarten, Haie, Rochen, Krabben, Tintenfische, Weichtiere – meistens über 100 verschiedene Tierarten. So gut wie alle sterben dabei.

Diese »Meeresernte« im Stil einer Brandrodung ist wirklich finster. Bei einem durchschnittlichen Schleppnetzeinsatz werden 80 bis 90 Prozent der gefangenen Meerestiere als Beifang über Bord geworfen. Bei den unergiebigsten Einsätzen werden sogar 98 Prozent der gefangenen Lebewesen tot zurück ins Meer geschmissen.

Wir reduzieren die Artenvielfalt und Lebensfähigkeit der Meeresfauna insgesamt (das wahre Ausmaß haben Wissenschaftler erst in jüngster Zeit begriffen): Moderne Fischereimethoden zerstören Ökosysteme, die komplexeren Wirbeltieren (wie Lachs oder Thunfisch) die Lebensgrundlage bieten, und übrig bleiben nur jene paar Arten, die von Plankton und Pflanzen allein leben können – wenn das noch vorhanden ist. Wir stopfen die begehrtesten Fischarten massenhaft in uns hinein, meistens größere Räuber am oberen Ende der Nahrungskette wie eben Lachs und Thunfisch, und eliminieren damit die Fressfeinde der eine Stufe niedriger stehenden Arten, wodurch diese sich kurzfristig vermehren können. Dann fischen wir diese Arten komplett ab, bis nichts mehr übrig ist, und wenden uns der nächstniedrigeren Stufe der Nahrungskette zu. Da sich solche Prozesse von Generation zu Generation vollziehen, lassen sich die Veränderungen nur schwer fassen (wissen Sie, was für Fische Ihre Großeltern gegessen haben?), und da die Fangmenge insgesamt nicht abnimmt, stellt sich das trügerische Gefühl ein, das alles wäre nachhaltig. Kein Einzelner plant diese Zerstörung, die Marktmechanismen führen jedoch unweigerlich zur Instabilität des Systems. Wir leeren die Meere nicht völlig; es ist eher so, als würden wir einen Wald, der Tausenden von Spezies Heimat bietet, kahl schlagen und an dessen Stelle riesige Sojafelder mit nur einer einzigen Sorte Sojabohnen pflanzen.

Schleppnetz-und Langleinenfischerei sind nicht nur ökologisch höchst bedenklich; sie sind auch grausam. In den Schleppnetzen werden mehr als 100 verschiedene Tierarten zusammengequetscht, an Korallenriffs aufgeschlitzt, auf Felsen geschlagen – stundenlang – und dann aus tiefem Wasser nach oben gehievt, was einen schmerzhaften Druckabfall mit sich bringt (der den Tieren manchmal die Augen aus dem Kopf springen oder die inneren Organe aus dem Maul dringen lässt). Auch an Langleinen sterben die gefangenen Tiere meist einen langsamen Tod. Manche hängen fest und sterben erst, wenn sie vom Haken genommen werden. Manche sterben an den Wunden, die der Haken ihnen im Maul geschlagen hat, oder an ihren Befreiungsversuchen. Manche können sich der Angriffe anderer Beutejäger nicht mehr erwehren.

Als letzte Methode möchte ich die Ringwadenfischerei beschreiben, mit der Amerikas beliebtester Fisch, der Thunfisch, gejagt wird. Dabei wird eine Art Netzwand ringförmig um einen Schwarm Fische gezogen, und wenn dieser vollständig eingekreist ist, wird das untere Ende des Netzes mit einer Schnürleine zugezogen. Die gefangenen Zielfische und alle anderen Lebewesen in der näheren Umgebung werden dann langsam eingeschnürt und an Deck gehievt. Fische, die sich im Netz verfangen haben, können dabei langsam in Stücke gerissen werden. Doch die meisten gefangenen Meerestiere sterben erst an Deck, wo sie entweder langsam ersticken oder ihnen bei vollem Bewusstsein die Kiemen aufgeschnitten werden. Manchmal werden die Tiere aus Gründen der Kühlung direkt auf Eis geworfen, was ihr Sterben noch verlängert. Nach einer aktuellen Untersuchung, die in der amerikanischen Zeitschrift Applied Animal Behaviour Science veröffentlicht wurde, kann sich der langsame und schmerzhafte Tod von Fischen, die bei vollem Bewusstsein auf Eisbrei geworfen werden (was sowohl wild gefangenen wie in Farmen gezüchteten Fischen passiert), über 14 Minuten hinziehen.

Ist das wichtig? So wichtig, dass wir unsere Essgewohnheiten ändern sollten? Vielleicht brauchen wir ja bloß eine bessere Etikettierung, damit wir klügere Entscheidungen treffen können, welche Fische und Fischprodukte wir kaufen? Welche Entscheidung würden die meisten wählerischen Allesesser wohl treffen, wenn an jedem Stück Lachs, das sie essen, ein Etikett klebte, das ihnen mitteilte, dass 80 Zentimeter lange Aquakulturlachse ihr ganzes Leben in einer Badewannenmenge Wasser verbringen müssen und dass die Augen der Tiere wegen der Wasserverschmutzung bluten? Und wenn das Etikett auch die explosionsartige Vermehrung der Parasiten, die Zunahme der Krankheiten, das deformierte Erbgut und die neuen, gegen Antibiotika resistenten Erreger, die in Lachsfarmen entstehen, erwähnen würde?

Aber für manches brauchen wir auch gar keine Etiketten. Es ist zwar eine durchaus realistische Annahme, dass immerhin ein gewisser Anteil aller Kühe und Schweine rasch und sorgfältig geschlachtet wird, doch kein Fisch stirbt einen guten Tod. Nicht ein einziger. Man muss sich nicht fragen, ob der Fisch, den man gerade auf dem Teller hat, wohl gelitten hat. Er hat. Auf jeden Fall.

Egal, ob wir über verschiedene Fischarten oder über Schweine oder über andere Tiere reden, die gegessen werden: Ist solches Leiden das Allerwichtigste auf der Welt? Ganz bestimmt nicht. Aber das ist auch nicht die Frage. Ist es wichtiger als Sushi, Schinken oder Chicken Nuggets? Das ist die Frage.

6.

Tiere essen

UNSERE ESSENSENTSCHEIDUNGEN werden dadurch verkompliziert, dass wir nicht allein essen. Tischgemeinschaften haben schon immer soziale Bande gestärkt, soweit archäologische Funde uns erlauben, das zu beurteilen. Essen, Familie und Erinnerung sind seit Urzeiten miteinander verbunden. Wir sind nicht bloß Tiere, die essen, sondern essende Tiere.

Einige der mir wichtigsten Erinnerungen sind mit den wöchentlichen Sushi-Dinners mit meinem besten Freund, den Puten-Burgern meines Vaters, mit Senf und gegrillten Zwiebeln, die ich bei Gartenfesten aß, und dem salzigen Geschmack von Gefilte Fisch beim Pessachmahl im Haus meiner Großmutter verbunden. Solche Anlässe sind ohne das entsprechende Essen einfach nicht dasselbe – und das ist wichtig.

Auf den Geschmack von Sushi oder Brathähnchen zu verzichten ist ein Verlust, der weit über das genussvolle Essenserlebnis hinausgeht. Wenn wir unseren Nahrungskatalog ändern und bestimmte Aromen aus unserer Erinnerung tilgen, dann bedeutet das auch einen kulturellen Verlust, eine Art Vergessen. Vielleicht ist es ein Vergessen, das es zu akzeptieren oder gar zu kultivieren gilt (man kann auch Vergessen kultivieren). Um mich an die Tiere und meine Sorge um ihr Wohlergehen zu erinnern, muss ich vielleicht bestimmte Geschmackserfahrungen vergessen und mir für die Erinnerungen, die sie mitgetragen haben, andere Vehikel suchen.

Erinnern und Vergessen sind Teil des gleichen geistig-seelischen Vorgangs. Wenn man ein Detail eines Ereignisses aufschreibt, lässt man ein anderes weg (es sei denn, man schreibt endlos weiter). Wenn man sich einer Sache erinnert, lässt man eine andere ins Vergessen gleiten (es sei denn, man erinnert sich endlos weiter). Es gibt ethisches Vergessen und gewaltsames Vergessen. Wir können nicht alles behalten, was wir erfahren und gelernt haben. Die Frage ist also weniger, ob wir vergessen, sondern was oder wen wir vergessen – nicht, ob unsere Essgewohnheiten sich ändern, sondern wie.