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Sie sehen nicht aus wie ein selbstverständlich passendes Paar. Bill wirkt ungeschliffen und instinktgeleitet. Die Sorte Mann, die nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel rasch den Respekt aller Überlebenden erwerben und, wenn auch gegen ihren Willen, zum Anführer erklärt werden würde. Nicolette ist ein Stadtmensch, wortreich, aber aufmerksam, voller Energie und Empathie. Bill ist warmherzig, aber stoisch. Er scheint sich beim Zuhören am wohlsten zu fühlen – was auch gut ist, denn Nicolette scheint sich beim Reden wohler zu fühlen.

»Bills und mein erstes Rendezvous«, erklärt sie, »fand unter Vortäuschung falscher Tatsachen statt. Ich dachte, es sei ein Geschäftsessen.«

»Du hattest vor allem Angst, ich könnte herausfinden, dass du Vegetarierin bist.«

»Na ja, nicht direkt Angst, aber ich hatte eben schon seit Jahren mit Viehzüchtern gearbeitet, und ich wusste, dass für die Fleischindustrie alle Vegetarier Terroristen sind. Wenn du in einer ländlichen Gegend dieses Landes bist und Leuten begegnest, die Tiere zum Schlachten halten, und die kriegen mit, du isst kein Fleisch, dann werden die verspannt. Sie haben Angst, dass du sie pauschal verurteilst oder sogar gefährlich bist. Ich hatte keine Angst, dass du es herausfinden könntest, ich wollte dich bloß nicht in die Defensive drängen.«

»Als wir uns zum ersten Mal zum gemeinsamen Essen an den Tisch setzten –«

»Da habe ich eine vegetarische Pasta Primavera bestellt, und Bill fragte gleich: ›Ach, bist du Vegetarierin?‹ Ich habe Ja gesagt. Und dann hat er etwas geantwortet, was mich überrascht hat.«

2.

Ich bin vegetarische Viehzüchterin

Ungefähr sechs Monate nach meinem Umzug auf die Ranch in Bolinas habe ich zu Bill gesagt: »Ich will hier nicht bloß wohnen, ich will wissen, wie so ein Betrieb funktioniert, ich möchte in der Lage sein, den Laden zu schmeißen.« Also beschäftigte ich mich mit der praktisch anfallenden Arbeit. Zu Anfang hatte ich Bedenken, ich würde mich allmählich sehr unwohl dabei fühlen, auf einer Ranch zu leben, aber genau das Gegenteil ist passiert. Je mehr Zeit ich hier verbrachte, in Gesellschaft unserer Tiere, und je mehr ich sah, wie gut sie es hatten, desto klarer wurde mir, das hier ist eine höchst ehrenwerte Angelegenheit.

Ich finde, die Verantwortung des Ranchers endet nicht damit, seine Tiere vor Leid und Quälerei zu bewahren. Ich meine, wir schulden ihnen höchste Lebensqualität. Weil wir ihnen das Leben nehmen, um sie zu essen, haben sie einen Anspruch auf die grundlegenden Genüsse des Lebens, finde ich – so Sachen wie in der Sonne liegen, sich paaren, ihre Jungen großziehen. Ich meine, sie haben es verdient, Freude zu empfinden. Und unsere Tiere kennen Freude! Mein Problem mit den meisten Standards für »humane« Fleischproduktion ist, dass sie sich ausschließlich auf Vermeidung von Leid konzentrieren. Das ist für mich selbstverständlich. Auf keiner Farm sollte unnötiges Leiden der Tiere geduldet werden. Wenn man ein Tier in der Absicht aufzieht, ihm das Leben zu nehmen, dann hat man eine viel größere Verantwortung!

Das ist gar kein neuer Gedanke oder meine eigene, einzigartige Philosophie. In der ganzen Geschichte der Landwirtschaft haben die meisten Farmer sich ernsthaft verpflichtet gefühlt, ihre Tiere gut zu behandeln. Das Problem der heutigen Zeit ist, dass Landwirtschaft durch industrielle Methoden verdrängt wird – oder schon verdrängt worden ist –, die in sogenannten »Instituten für Nutztierwissenschaften« ersonnen wurden. Die individuelle Vertrautheit eines traditionellen Farmers mit jedem Tier auf seinem Hof wurde durch große, unpersönliche Systeme ersetzt: Es ist schlicht unmöglich, jedes Tier in einem industriellen Schweinemastbetrieb oder einer Rindermastanlage zu kennen, wo Tausende oder gar Zehntausende Tiere zusammengepfercht sind. Stattdessen konzentrieren sich die Betreiber auf Abwasserprobleme und Automatisierungsprozesse. Die Tiere selbst werden beinahe nebensächlich. Und diese Verschiebung hat auch zu einer völlig anderen Geisteshaltung, zu ganz anderen Schwerpunkten geführt. Die Verantwortung eines Viehzüchters für seine Tiere wird vergessen oder gar gänzlich geleugnet.

Meiner Ansicht nach sind die Tiere eine Art Arrangement mit den Menschen eingegangen, eine Art Vertrag auf Gegenseitigkeit. Wenn Viehzucht so betrieben wird, wie sie eigentlich sollte, dann kann der Mensch dem Tier ein besseres Leben bieten als das, womit es in freier Wildbahn rechnen könnte, und ziemlich sicher einen besseren Tod. Das ist von großer Bedeutung. Ich habe hier schon einige Male aus Versehen ein Gatter offen stehen lassen. Nicht ein einziges Tier hat auch nur vorübergehend das Gehege verlassen. Sie laufen nicht weg, weil sie hier die Sicherheit der Herde haben, wirklich gute Weidegründe, Wasser, gelegentlich Heu und jede Menge Sicherheit. Und ihre Freunde sind hier. Bis zu einem gewissen Grad haben sie selbst entschieden, hierzubleiben. Natürlich sind sie diesen Vertrag nicht ganz aus freien Stücken eingegangen. Sie haben nicht gewählt, in Gefangenschaft geboren zu werden – aber von uns kann auch niemand seine Geburt selbst bestimmen.

Ich meine, es ist eine gute Sache, Tiere aufzuziehen, um gesunde Nahrung aus ihnen zu gewinnen – und den Tieren ein Leben voller Freude und ohne Leid zu bieten. Sie geben ihr Leben für einen sinnvollen Zweck. Und darauf hoffen wir doch im Grunde alle, glaube ich: ein gutes Leben und einen leichten Tod.

Eine wichtige Rolle spielt auch die Vorstellung, dass der Mensch ein Teil der Natur ist. Ich habe mir immer natürliche Systeme zum Vorbild genommen. Die Natur ist so ökonomisch. Selbst ein Tier, das nicht gejagt wurde, wird schon kurz nach seinem Tod gefressen, entweder von Raubtieren oder Aasfressern. Im Laufe der Jahre haben wir sogar ein paarmal beobachtet, wie einige unserer Rinder an Hirschknochen genagt haben, obwohl wir doch das Rind als reinen Pflanzenfresser kennen. Vor ein paar Jahren hat der US Geological Survey bei einer Studie herausgefunden, dass Hirsche jede Menge Eier aus den Nestern von Bodenbrütern fraßen – die Forscher waren schockiert! Die Natur ist viel flexibler, als wir glauben. Doch auf jeden Fall ist es normal und natürlich, dass Tiere andere Tiere essen, und da wir Menschen Teil der Natur sind, ist es auch ganz normal, dass Menschen Tiere essen.

Das bedeutet allerdings nicht, dass wir Tiere essen müssen. Ich kann eine individuelle Entscheidung treffen, aus ganz persönlichen Gründen kein Fleisch zu essen. In meinem Fall ist der Grund eine ganz besondere Verbindung, die ich schon immer zu Tieren gespürt habe. Ich glaube, es würde mir sehr schwerfallen, Fleisch zu essen. Ich würde mich einfach sehr unwohl dabei fühlen. Für mich ist Massentierhaltung nicht falsch, weil sie Fleisch produziert, sondern weil sie jedem Tier auch noch das letzte Fünkchen Freude raubt. Anders ausgedrückt: Würde ich etwas stehlen, hätte ich ein schlechtes Gewissen, weil es von Natur aus falsch ist. Fleisch ist nicht von Natur aus falsch. Würde ich welches essen, wäre meine Reaktion wohl bloß eine Art Bedauern.

Früher habe ich gedacht, als Vegetarierin brauche ich mich nicht darum zu kümmern, dass die Art und Weise, wie Nutztiere behandelt werden, verbessert wird. Ich hatte das Gefühl, indem ich kein Fleisch esse, habe ich meinen Beitrag geleistet. Heute kommt mir das unsinnig vor. Die Fleischindustrie geht uns alle an, denn wir leben alle in einer Gesellschaft, in der die Lebensmittelproduktion auf Massentierhaltung und Agrarindustrie beruht. Vegetarierin zu sein entbindet mich nicht meiner Verantwortung dafür, wie in unserem Land Tiere gehalten werden – erst recht nicht zu einer Zeit, wo der Fleischkonsum sowohl national als auch global ansteigt.