Frank hat also eine eigene Kükenzucht, braucht aber Zugang zu anderen Dienstleistungen, vor allem zu einem gut geführten Schlachthaus. Dass nicht nur regionale Brütereien, sondern auch Schlachthöfe, Wiegestationen, Kornlager und andere landwirtschaftliche Dienstleistungen verschwinden, ist ein enormer Hemmschuh für eine auf traditionellen Methoden fußende Viehzucht. Es ist nämlich nicht so, dass die Verbraucher die Tiere solcher Landwirte nicht kaufen würden, nur müssen die Landwirte, um produzieren zu können, erst eine zerstörte ländliche Infrastruktur ganz neu aufbauen.
Als ich dieses Buch etwa zur Hälfte geschrieben hatte, rief ich Frank wieder einmal an, um ihm verschiedene Fragen zu Geflügel zu stellen (wie so viele Menschen, die mit Geflügel zu tun haben). Doch seine sanft beruhigende, stets geduldige Alles-wird-gut-Stimme hatte einen panischen Tonfall bekommen. Der einzige Schlachthof, den er gefunden hatte, wo seine Vögel nach für ihn erträglichen (wenn auch längst nicht idealen) Standards geschlachtet wurden, war nach über 100 Jahren Betrieb von einem Konzern der Agrarindustrie aufgekauft und geschlossen worden. Das war nicht einfach eine Frage der Bequemlichkeit, es gab tatsächlich keinen einzigen Schlacht-betrieb mehr in der Region, der seine Vögel vor Thanksgiving verarbeiten konnte. Frank stand vor einem ungeheuren wirtschaftlichen Verlust und der Aussicht, die ihn noch viel mehr ängstigte – nämlich alle seine Vögel in einer nicht vom USDA genehmigten Schlachtanlage zu töten, woraufhin er sie nicht verkaufen könnte und stattdessen buchstäblich vergammeln lassen müsste.
Die Schließung des Schlachthofs war kein ungewöhnlicher Vorfall. Die elementare Infrastruktur, die kleinere Geflügelfarmer unterstützt hat, ist in den USA inzwischen fast vollständig zerstört. In mancher Hinsicht ist das ein normaler Prozess, Konzerne versuchen, Profit zu machen, indem sie sich Zugang zu Ressourcen sichern, der ihren Konkurrenten verwehrt bleibt. Schließlich geht es hier um eine Menge Geld: viele Milliarden Dollar, die entweder unter einer Handvoll Agrarmultis oder unter Hunderttausenden kleinerer Farmer aufgeteilt werden könnten. Doch die Frage, ob Leute wie Frank ökonomisch zermalmt werden oder anfangen, an den 99 Prozent Marktanteil zu knabbern, die momentan der Agrarindustrie gehören, ist keine rein finanzielle. Hier steht die Zukunft eines moralischen Erbes auf dem Spiel, das viele Generationen vor uns mühevoll gestaltet haben. Auf dem Spiel steht alles, was im Namen »des amerikanischen Farmers« und der »Werte des ländlichen Amerika« getan wird – und die Anrufung dieser Ideale ist ungeheuer wirkungsvoll. Milliarden von Dollars an öffentlichen Geldern, mit denen die Landwirtschaft subventioniert wird; eine staatliche Agrarpolitik, die den Zustand unserer Landschaft, unserer Luft, unseres Wassers bestimmt; eine Außenpolitik, die Auswirkungen auf viele globale Problemfelder wie den weltweiten Hunger oder den Klimawandel hat: All das findet in unserer Demokratie im Namen unserer Farmer und der Werte, von denen sie sich leiten lassen, statt. Nur dass sie gar keine Farmer mehr sind, sondern Unternehmen. Und zwar keine traditionellen Unternehmen mit einem Unternehmer an der Spitze (denn auch Unternehmer können ein Gewissen haben), sondern Megakonzerne, die einzig der Profitmaximierung verpflichtet sind. Um den Verkauf zu fördern und ihr Image zu verbessern, fördern sie den Mythos, sie seien Frank Reese, wo sie doch in Wahrheit mit aller Kraft daran arbeiten, den wirklichen Frank Reese und seinesgleichen auszurotten.
Die Alternative ist, dass die kleineren Farmen und ihre Verbündeten – Fürsprecher von Nachhaltigkeit und Tierschutz – dieses Erbe für sich reklamieren. Nur wenige können wirklich Landwirtschaft betreiben, doch wir alle, um Wendell Berrys Formulierung zu verwenden, werden Vertreter-Landwirtschaft betreiben. Doch wen werden wir zu unserem Vertreter ernennen? Im ersten Szenario verleihen wir einer kleinen Gruppe von Männern, die selbst nur beschränkte Kontrolle über den technokratischen Agrobusiness hat, ungeheure moralische und finanzielle Gestaltungsmacht. Im zweiten Szenario würden wir nicht nur echte Farmer zu unseren Vertretern machen, sondern auch Tausende von Experten, deren Leben sich an gesellschaftlichen, nicht an unternehmerischen Werten orientiert – Menschen wie Dr. Aaron Gross, den Gründer von Farm Forward, einer Organisation zur Förderung von nachhaltigem Ackerbau und Viehzucht, die neue Wege zu einer Lebensmittelversorgung aufzuzeigen sucht, die unsere unterschiedlichen Werte wirklich widerspiegelt.
Die Agrarindustrie hat es geschafft, die Menschen ihrer Nahrung zu entfremden, Farmer aus dem Weg zu räumen und auszuschalten und die Landwirtschaft nach unternehmerischen Geboten zu kontrollieren. Doch was, wenn Farmer wie Frank und ihre langjährigen Mitstreiter wie die American Livestock Breeds Conservancy sich mit jüngeren Gruppen wie Farm Forward zusammentäten, die Teil eines Netzwerks engagierter, wählerischer Allesesser und vegetarischer Aktivisten sind – Studenten, Wissenschaftler, Gelehrte; Eltern, Künstler und religiöse Autoritäten; Rechtsanwälte, Köche, Geschäftsleute und Landwirte? Was, wenn Frank, anstatt seine Zeit damit zu vergeuden, einen einigermaßen akzeptablen Schlachthof aufzutreiben, mithilfe solcher neuen Bündnisse immer mehr Energie darauf verwenden könnte, die besten neuen Technologien mit den besten landwirtschaftlichen Traditionen zu verknüpfen, um wieder ein menschlicheres und nachhaltigeres – und demokratischeres – Agrarsystem zu schaffen?
Ich bin Veganer und baue Schlachthöfe
Ich bin jetzt mehr als mein halbes Leben Veganer, und auch wenn zahlreiche andere Aspekte meine Entscheidung seither gestützt haben – vor allem Nachhaltigkeit und Arbeitsbedingungen, aber auch persönliche und gesellschaftliche Gesundheitsfragen –, stehen doch für mich die Tiere im Zentrum. Darum sind Menschen, die mich gut kennen, so überrascht, wenn sie erfahren, dass ich einen Schlachthof entwerfe.
Ich habe in verschiedensten Zusammenhängen für pflanzliche Ernährung gestritten und bin weiterhin der Ansicht, dass man am besten vom Teil des Problems zum Teil der Lösung wird, wenn man so wenig tierische Produkte wie möglich verbraucht – im Idealfall gar keine. Doch meine Prioritäten als Aktivist haben sich verschoben, genau wie mein Selbstverständnis. Früher fand ich, vegan zu leben sei an sich schon ein fortschrittliches, gegenkulturelles Statement. Doch inzwischen ist mir klar, dass die Werte, die mich zu dieser Entscheidung geführt haben, vor allem anderen aus meinem familiären Hintergrund auf einer kleinen Farm stammen.
Wenn man über Massentierhaltung Bescheid weiß und so etwas wie traditionelle Moralvorstellungen zur Tierhaltung geerbt hat, dann kann man kaum anders, als im tiefsten Inneren davon angewidert zu sein, was aus der Nutztierhaltung geworden ist. Und ich rede hier nicht über hochheilige ethische Grundsätze, sondern über die Wertvorstellungen eines Ranchers, der kein Problem mit Kastration oder Brandzeichen hat, der die Kümmerlinge tötet und eines schönen Tages das Tier, das ihn bisher vor allem als Futterversorger kannte, zur Schlachtbank führt und ihm die Kehle durchschneidet. Aber bei alldem war auch Raum für Mitgefühl mit dem Tier, woran man sich vielleicht aus schierer Notwendigkeit nicht so sehr erinnert. Doch die Formel für gute Tierhaltung ist auf den Kopf gestellt worden. Anstatt über die Behandlung der Tiere zu sprechen, zeigen Farmer heute oft eine unwillkürliche Abwehrreaktion, wenn das Thema Tierschutz angeschnitten wird: »Niemand arbeitet in dieser Branche, weil er Tiere hasst.« Was für eine seltsame Äußerung. Sie sagt etwas aus, indem sie es nicht sagt. Der Satz impliziert natürlich, dass viele dieser Leute Viehhalter geworden sind, weil sie Tiere mögen, sie gern versorgen und beschützen wollen. Natürlich ist das ein Widerspruch, aber ich würde gar nicht behaupten, dass nicht auch Wahrheit darin steckt. Gleichzeitig klingt es wie eine Entschuldigung, ohne eine zu sein. Wieso muss eigentlich betont werden, dass sie keine Tiere hassen?