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„Hierzu!“ Der Kapitän deutete mit einer Kopfbewegung auf das Papier in seiner Hand. Gleichzeitig fragte er: „Sind Sie verwandt mit dem Baron Lefuet?“

„Nein, Herr Kapitän.“

„Aber Sie kennen ihn persönlich?“

„Ja, das schon. . . “

„Also dann lese ich Ihnen den Funkspruch vor:

baron lefuet verstorben stop mitteilt timm thaler dass er zum alleinerben eingesetzt stop zwillingsbruder des verstorbenen neuer baron lefuet übernimmt Vormundschaft bis zur Volljährigkeit stop phoenix reederei der lefuet ag genua gezeichnet grandizzi direktor.“

Timm starrte immer noch steinernen Gesichts auf den Nacken des Steuermanns. Die unmöglichste Wette der Welt war gewonnen. Für eine einzige Flasche Rum. Er, ein vierzehnjähriger Junge, war in diesem Augenblick zum reichsten Menschen der Erde geworden. Aber sein Lachen war mit dem Baron gestorben und würde mit ihm begraben werden. Der reichste Mensch der Welt war der ärmste unter den Menschen. Er hatte für immer sein Lachen verloren.

Der Nacken des Steuermannes bewegte sich. Ganz langsam drehte Jonny den Kopf herum. Fremde, erstaunte Augen sahen Timm an. Aber der Junge sah sie nur für einen kurzen bangen Moment. Gerade noch rechtzeitig fingen Jonnys Arme den bewußtlosen Timm auf.

Fünfzehnter Bogen. Verwirrung in Genua

Zwei freundliche blaue Augen in einem unrasierten starkknochigen Gesicht sahen auf Timm nieder.

„Hörst du mich?“ fragte eine leise Stimme.

„Ja, Steuermann“, flüsterte Timm.

Eine Hand hob seinen Kopf ein wenig an, und langsam und vorsichtig wurde ihm Wasser in den Mund geträufelt. Dabei fragte die Stimme an seinem Ohr: „Wieso habe ich in Genua fliegende Straßenbahnen gesehen? Wieso ist der Baron so pünktlich gestorben? Wieso freust du dich über verlorene Wetten und wirst ohnmächtig, wenn du sie gewinnst?“

In Timms zögernd wachwerdendem Gedächtnis rumorte das wiederholte „Wieso“ des Steuermanns herum und stöberte Timms alte eigene „Wiesos“ auf. Eine grenzenlose Verwirrung ließ ihn fast wieder in die Ohnmacht zurückgleiten.

Da näherten sich Stimmen und Schritte, und kurz darauf trat der Kapitän mit einem fremden Herrn ins Steuerhaus.

Timm auf der Polsterbank nahm von dem Fremden zunächst nur das riesige blütenweiße Spitzentaschentuch wahr, das aus der Brusttasche des dunklen Jacketts herausquoll. Und dann reich, er den Fremden. Es war ein Duft nach Nelken, der den Jungen förmlich überschwemmte, als der Herr nähertrat und sich vorstellte.

„Direttore Grandizzi. Ik schätzen mik särrr glicklik, als die erste Ihnen zu dirfen gratulieren in Name von ganze Gesellschaft, signore! Ik bedaure, daß Sie sind nikt gäsund, aber kann verstehen kleine Schock... “ Er spreizte die Hände und legte den Kopf schief: „Ah, so reik in eine kurze Augenblicke, das ist veramente nikt leikt, aber... “

Was Direktor Grandizzi weiter sagte, verstand Timm nicht. Das Zuhören strengte ihn zu sehr an. Nur den letzten Satz verstand er, weil der Direktor sich dabei über ihn beugte: „Jetzt ik werde Sie bringen in Barkasse, signore!“

Aber da trat Jonny in Aktion. „Überlassen Sie mir den Jungen“, knurrte er. „Ich werde ihn in die Barkasse tragen. Herr Kapitän, übernehmen Sie solange das Steuer!“

Obwohl das Schiff im Augenblick vor Anker lag, war die Verwirrung so allgemein, daß der Kapitän sich stumm und gehorsam ans Steuer stellte.

Längsseits des Dampfers lag eine Barkasse der Reederei, die den Erben abholen sollte. Jonny turnte mit Timm auf dem Arm über Leitern und Treppen, als ob er ein Bündelchen Wäsche trüge. Direktor Grandizzi umsprang ihn dabei mit wehendem duftendem Spitzentaschentuch wie ein Pudel seinen Herrn.

Übrigens sah Timm jetzt, daß der Direktor einen fast kahlen Kopf hatte. Nur zwei schwarze Haarsträhnen an den Seiten waren zu einem spitzen Dreieck nach vom in die Stirn gekämmt. Sie gaben dem runden Gesicht eine Spur von Gefährlichkeit und Maskenhaftigkeit.

In der Barkasse setzte der Steuermann den Jungen in die mit Kissen gepolsterte, heckwärts gelegene Ecke der um laufenden Bank. Dabei flüsterte er ihm zu: „Du kriegst noch zwei Flaschen Rum von mir. Für die Wetten. Komm um acht Uhr zum Denkmal von Christoph Columbus. Aber allein. Und wenn du Hilfe brauchst, komm erst recht, verstanden?“

Timm nickte nicht. Er sagte nur leise „hm“, denn er hatte inzwischen gelernt, vorsichtig zu sein.

„Also dann viel Glück, mein Junge!“ dröhnte Jonny für die Ohren des Direktors. Dann gab er dem Jungen zum Abschied seine Pranke und kletterte wieder hinauf auf sein Schiff.

Als die Barkasse vom Dampfer ablegte, duftete es wieder nach Nelken. Direktor Grandizzi hatte sich neben Timm gesetzt. Zwei feierlich gekleideten Herren, die bugwärts saßen, gab er durch Handzeichen zu verstehen, daß sie leise sein möchten. Die beiden nickten verständnisvoll, flüsterten miteinander und sahen dabei den Jungen mit unverhohlener Neugierde an.

„Signore, ik werde Sie bringen in Ihre Hotel“, sagte jetzt halblaut der Direktor. „Dort Sie werden ruhen für eine Stunde, und dann die Reederei erwartet Sie zu eine kleine Empfang. Ist das gut?“

Timm, der eben noch der Moses eines mittelgroßen Fracht-Passagier-Schiffes gewesen war, fand sich nun in der Rolle des um dienerten reichen Erben wieder. Aber da er sich auf der Jagd nach seinem Lachen schon in mancher Verstellung geübt hatte, blieb er gelassen. Was ihn erregte, war etwas ganz anderes: daß seine Jagd kein Ziel mehr hatte, daß sein Lachen gestorben war.

Er nickte zu allem, was Direktor Grandizzi ihm vorschlug. Nur einmal, als der Direktor von einer Pressekonferenz um acht Uhr redete, schüttelte Timm den Kopf.

„Ah, sie lieben Presse nikt, signore? Aber Zeitunge sind nitzlich, signore, sehr viel nitzlich!“

„Ich weiß“, antwortete Timm. In der leicht sekwankenden Barkasse fühlte er sich jetzt wieder etwas kräftiger.

„Wenn Sie sehen ein die Nitzlichkeit von Zeitungen warum Sie wollen dann keine Konferenze?“ bohrte Direktor Grandizzi.

„Weil...“ Timm dachte fieberhaft über eine Ausrede nach. Endlich sagte er: „Weil das alles noch so neu für mich ist. Kann diese Konferenz nicht morgen sein?“

„Gewiß, signore. Aber heute abend... “

„Heute abend will ich mir allein die Stadt ansehen“, fuhr ihm Timm ins Wort. Das Dienern des Direktors verleitete förmlich dazu, den Herrn anzufahren. Aber Grandizzi ließ sich dadurch keineswegs beirren.

„No, no, signore, niikt allein“, wehrte er ab. „Eine Detektive wird Sie jetzt immersu begleiten, weil Sie sind dok so reik, wissen Sie!“

„Ich will aber allein durch die Stadt bummeln! “ rief Timm.

Die feierlichen Herren am Bug sahen ihn bestürzt an. Einer balancierte in der schwankenden Barkasse auf ihn zu und fragte: „Kann ich behilflich sein? Übrigens: Pampini mein Name, Chefdolmetscher des Werkes.“ Offensichtlich hatte er die Gelegenheit nur benutzt, um sich dem reichen Erben vorzustellen. Aber als er dem Jungen die Hand geben wollte, bog die Barkasse gerade scharf nach rechts ein. Er fiel Timm auf den Schoß, rappelte sich mit hundert Entschuldigungen wieder auf, fiel aber bei einer neuerlichen Kurve Direktor Grandizzi in den Schoß.

Der Direktor brüllte mit rotem Kopf zuerst den Dolmetscher und dann den Steuermann der Barkasse an. Den einen nannte er einen Tolpatsch, den anderen einen Esel. Dann fiel ihm ein, daß der Steuermann kein Deutsch verstand, und er wiederholte den Fluch italienisch, wobei er mindestens fünfmal so lang wurde.

Der Dolmetscher zog sich geduckt zur Bankecke am Bug zurück. Gleich darauf legte die Barkasse an den Stufen einer Mole an.

Ein Chauffeur in blauem Anzug stand bereits da, die blaue Mütze ehrerbietig in der Hand. Von ihm sanft gezogen und vom Direktor mehr symbolisch als praktisch gestützt, verließ Timm als erster die Barkasse. Man behandelte ihn, als sei er ein sehr alter kranker Herr.