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Siebzehnter Bogen. Der reiche Erbe

Die Uniform junger reicher Erben sah zu Timms Zeit folgendermaßen aus: Graue Flanellhosen, ein rot-schwarzgestreiftes Jackett, ein blütenweißes Seidenhemd, eine rote Krawatte mit schottischem Muster, ebensolche Socken und braune W ildlederschuhe.

Timm stand in diesem Aufzug vor einem Spiegel, der bis auf den Boden reichte, und kämmte sich zum erstenmal in seinem Leben die Haare feucht. Auf dem Teppich zu seinen Füßen lag aufgeschlagen eine illustrierte Zeitung mit dem Photo eines Tennisspielers. Timm legte seine Haare ebenso wie der Tennisspieler. Es gelang ihm leidlich.

Eine Weile betrachtete der Junge sich im Spiegel und zog versuchsweise seine beiden Mundwinkel nach oben. Aber es sah nicht einmal nach der Andeutung eines Lachens aus.

Traurig wandte er sich ab und wanderte ziellos in den drei Räumen seines Appartements herum. Er probierte lustlos einen Schaukelstuhl aus, er betrachtete die Gemälde an den Wänden -lauter Schiffe auf hoher See - er hob den Hörer des elfenbeinfarbenen Telefons ab, legte ihn aber gleich wieder in die Gabel, und schließlich öffnete er die schnörkelig verzierte Ledermappe, die der Baron mitten auf die polierte Platte des Schreibtisches geschoben hatte.

Es war Briefpapier darin. In der linken oberen Ecke der Bogen stand in grauen geraden Druckbuchstaben:

timm thaler

eigentümer der baron-lefuet-gesellschaft

Rechts stand:

genua, den....

In einer seidenen Seitentasche der Mappe lagen Briefumschläge. Timm nahm einen heraus und las auf der Rückseite:

timm thaler, genova, italia, hotel palmaro

Der Junge ließ sich in dem Sessel vor dem Schreibtisch nieder, schraubte den Füllfederhalter auf, der neben der Mappe gelegen hatte, und beschloß, einen Brief zu schreiben.

Als er die Mappe zurückschob und einen der Bogen vom Stoß nahm, sah er in der Politur der Tischplatte den Briefkopf in Spiegelschrift:

relahtmmit

tfahcslleseg-teufel-norab red remütnegei

Dabei sprang ihm ein Wort in die Augen:

teufel

„Sieht aus, als ob dort Teufel stünde“, dachte Timm. „Aber“, fügte er in Gedanken hinzu, „wenn man vom Teufel gesprochen hat, sieht man ihn überall, und wenn es nur sein Name ist!“

Er schob sich den Bogen zurecht und begann einen Brief zu schreiben:

Lieber Herr Rickert,

ich bin in Genua nicht gut angekommen. Der Baron ist gestorben und ich bin sein Erbe. Aber das wollte ich eigentlich gar nicht Eher noch das Gegenteil aber das kann ich Ihnen leider nicht erklären. Vielleicht später. Bitte versuchen Sie mit dem Stjuard in Verbindung zu kommen, er heißt Kreschimir und hat eine Blinddarm Entzündung. Kreschimir darf Ihnen alles erzählen, ich nicht leider! Sprechen Sie auch mit dem Steuermann vom Delfin, er heißt Jonny und kommt aus Hamburg. Der weiß wie es zuging.

Jetzt bin ich der reichste Mensch der Welt und der sogenannte neue Baron ist mein Vormund Schön ist das nicht aber vielleicht nützlich. Dem Baron lasse ich nicht merken, daß ich das alles gar nicht will

Sie und Ihre Mutter und der Stjuard und Jonny waren sehr gut zu mir.

Vielleicht finden Sie einen Ausweg für mich. Aber ich muß mir wohl alleine helfen. Und es ist wohl auch gut, das ich einen Plan und ein Zieht habe, um zu vergessen, das ich gar kein richtiger Mensch mehr bin.

Grüssen Sie bitte Ihre liebe Mutter und es dankt Ihnen sehr Ihr trauriger Timm Thaler.

U.S.: Aber schreiben Sie mir nicht. Vielleicht finde ich später eine Geheim-Adresse. Timm.

Der Junge las den Brief noch einmal durch, faltete ihn und steckte ihn in den Umschlag, den er zuklebte. Aber gerade, als er den Brief adressieren wollte, hörte er auf dem Flur Schritte näher kommen.

Rasch steckte er den Brief in die Brusttasche des Jacketts. Gleich darauf klopfte es, und wieder kam der Baron ohne Aufforderung herein.

Er sah den aufgeschraubten Füllfederhalter neben der aufgeschlagenen Mappe und fragte: „Privatbriefe, Herr Thaler? Damit sollten Sie vorsichtig sein. Übrigens steht Ihnen ein Sekretär zur Verfügung.“

Timm schloß die Mappe, schraubte den Füllfederhalter zu und sagte: „Wenn ich den Sekretär brauche, werde ich ihn rufen.“

„Gut gebrüllt, Löwe!“ lachte Lefuet. „Sie scheinen mit der neuen Kleidung neue Sitten angezogen zu haben. Das lob’ ich mir! “

Es klopfte wieder an die Tür. Lefuet rief unwillig: „Che cosa vole?“

„La garderoba per il signore Thaler!“ rief es hinter der Tür.

„Avanti!“ knurrte Lefuet.

Ein Hausdiener mit einer langen grünen Schürze trug dienernd Timms Seesack herein, legte ihn auf das Gestell für die Koffer und blieb neben der Tür stehen.

Timm trat auf ihn zu, hielt ihm die Hand hin und sagte: „Recht herzlichen Dank! “

Linkisch, verwundert und anscheinend unzufrieden, ergriff der Hausdiener die Hand.

„Non capisco“, murmelte er.

„Er versteht nicht“, lachte der Baron. „Aber das hier versteht er sicher!“ Dabei zog Lefuet ein Bündel Lire-Scheine aus der Tasche und gab dem Hausdiener einen davon.

Der Mann strahlte, rief: „Grazie! Mille grazie! Tante grazie, signore Barone!“ und verschwand dienernd und im Rückwärtsgang.

Lefuet schloß die Tür hinter ihm und sagte: „Wenn in früheren Zeiten ein Knecht die Räume seines Herrn betrat, zog er zuvor die Schuhe aus, rutschte auf den Knien heran und küßte seinem Herrn die Stiefelspitzen. Diese gesegneten Zeiten sind bedauerlicherweise vorbei.“

Timm achtete nicht auf die Worte des Barons. Siedendheiß war ihm eingefallen, daß im Seesack seine Mütze stecken mußte und im Futter der Mütze der Vertrag mit Lefuet. Er trat wie zufällig zum Seesack, nestelte ihn auf und fand obenauf die Mütze liegen. Als er sie in die Hand nahm, knisterte es unter dem Futter. Erleichtert atmete der Junge auf. Während er das verhängnisvolle Papier möglichst unauffällig aus dem Futter zog und in die Brusttasche des Jacketts schob, hörte er dem Baron wieder zu.

„In einem Hotel wie diesem“, sagte der, „genügt es, wenn wir drei Leuten die Hand geben: erstens dem Chefportier, denn der muß uns zu jeder Zeit verleugnen können; zweitens dem Direktor, denn wir müssen uns seine Verschwiegenheit sichern; drittens dem Chefkoch, denn der muß unsere Geschäftspartner verwöhnen.“

„Ich will mir’s merken!“ sagte Timm. Bei sich dachte er: „Wenn ich erst wieder lachen kann, wird es mir ein Vergnügen sein, Hausdienern und Zimmermädchen die Hand zu geben.“

Das Telefon läutete. Der Junge nahm den Hörer ab und sagte: „Hier Timm Thaler.“

„Ihr Wagen ist vorgefahren, signore!“ tönte es aus dem Hörer.

„Schönsten Dank!“ sagte Timm und legte wieder auf.

Der Baron, der Timm genau beobachtet hatte, sagte: „Melden Sie sich nie mit vollem Namen, mein Lieber! Es genügt ein fragendes: Ja? Und zwar in einem Ton, der deutlich macht, daß Sie sich ungern stören lassen! Und sagen Sie nicht: schönsten Dank, wenn man Ihnen meldet, daß der Wagen wartet. Es genügt ein geknurrtes: in Ordnung. Reichtum verpflichtet zu gewissen Unhöflichkeiten, Herr Thaler. Es ist wichtig, sich die Leute vom Leibe zu halten.“

Wieder sagte Timm: „Ich will mir’s merken!“ Und wieder dachte er bei sich: „Warte nur, bis ich mein Lachen wiederhabe!“

Die beiden begaben sich nun hinunter in die Halle, die in so feinen Hotels die Bezeichnung „Vestibül“ trägt. Bei ihrem Erscheinen erhoben sich einige Herren aus Sesseln und verbeugten sich. Einer näherte sich ihnen und sagte: „Gestatten, Herr Baron... “

Lefuet antwortete, ohne den Herrn anzusehen: „Wir sind in Eile. Später.“