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„Nein, ich will es Ihnen mit einem Bild erklären. Hören Sie mir auch zu?“

„Ja“, sagte Timm und wandte den Blick vom Fenster ab.

„Also stellen Sie sich vor, Herr Thaler, es wird ein Obstgarten angelegt.“ (Kopfnicken des Jungen.) „Weil nun der Mann, der ihn anlegen will, nicht genug Geld hat, um all die jungen Bäume zu kaufen, läßt er selber nur einen Teil des Gartens bepflanzen; die übrigen Baumpflanzen werden von anderen Leuten gekauft und eingepflanzt. Wenn nun die Bäume wachsen und Früchte tragen, bekommt jeder, der Bäume gepflanzt hat, so viel von den Früchten ab, wie es seinem Anteil an den Bäumen entspricht, und zwar in jedem Jahr neu.“

Timm begann laut zu rechnen: „Wenn ich also von hundert Bäumen zwanzig gepflanzt habe, und es werden hundert Zentner Äpfel geerntet, dann bekomme ich zwanzig Zentner davon ab. Ist das richtig?“

„Nicht ganz! “ Senhor van der Tholen lächelte kaum merklich. „Es müssen ja auch die Gärtner und Arbeiter bezahlt werden. Und Bäume, die nicht angegangen sind, müssen durch neue ersetzt werden. Aber ich denke, Sie haben jetzt ungefähr verstanden, was Aktien sind.“

Timm nickte. „Aktien sind die Bäume des Gartens, die ich gepflanzt habe. Sie sind mein Anteil am Garten und an den Früchten.“

„Sehr gut, Herr Thaler.“

Senhor van der Tholen schaukelte schweigend, und Timm blickte wieder aus dem Fenster. Die Kutsche kehrte bereits vom Flugplatz zum Schloß zurück. Selek Bei ritt wie am Tage zuvor nebenher. An Lefuets Seite saß ein großer, fülliger Herr mit einer Glatze.

„Der Baron kommt schon zum Schloß zurück, Senhor van der Tholen.“

„Dann will ich Ihnen kurz meine Bitte vortragen, Herr Thaler. Der Erbschaftsvertrag ist so abgefaßt, daß der neue Baron... “

„Wieso der neue Baron?“ unterbrach ihn Timm. Dann aber merkte er am Gesicht des Händlers, daß der vom Geheimnis des Barons nichts wußte. Also fügte der Junge hinzu: „Entschuldigung, daß ich Sie unterbrochen habe.“

Obwohl van der Tholen ihn mit angehobenen Brauen musterte, als erwarte er eine Erklärung für die seltsame Frage, sagte Timm nichts mehr. So fing Senhor van der Tholen noch einmal von vom an: „Der Erbschaftsvertrag ist so geschickt abgefaßt, daß der neue Baron Ihnen den gesamten Besitz wieder streitig machen kann, wenn er will. Nun, das ist seine und Ihre Sache. Mich interessieren dabei nur die Stimm-Aktien.“

Timm sah durchs Fenster, wie Kutsche und Reiter am Fuß der Treppe verhielten. Die Herren schienen ein lebhaftes Gespräch miteinander zu führen.

„Was sind Stimm-Aktien?“ fragte der Junge.

„In unserer Gesellschaft, Herr Thaler, gibt es ein paar Aktien im Wert von etwa zwanzig Millionen portugiesischen Escudos. Wer die besitzt, hat Stimmrecht im Verwaltungsrat. Er allein entscheidet, was geschieht, und sonst niemand.“

„Und erbe ich diese Stimm-Aktien, Senhor van der Tholen?“

„Einen Teil, junger Herr. Die übrigen gehören Selek Bei, Mister Penny und mir.“

(Mister Penny war offensichtlich der füllige Glatzkopf, der jetzt mit Lefuet und Selek Bei langsam die Schloßtreppe hinaufschritt.)

„Und Sie wollen mir meine Stimm-Aktien abkaufen?“

„Das könnte ich gar nicht, weil der Baron darüber verfügt, bis Sie einundzwanzig sind. Aber sollten Sie das einundzwanzigste Lebensjahr erreichen und die Erbschaft in aller Form antreten, dann würde ich Ihnen die Aktien gern abkaufen. Dafür biete ich Ihnen

heute schon eine beliebige Firma unseres Unternehmens an. Diese Firma würde Ihnen auch dann gehören, wenn die Erbschaft aus irgendeinem Grunde für ungültig erklärt werden würde.“

Der Portugiese erhob sich aus dem Schaukelstuhl. Sein Mund war wieder das geschlossene Haifischmaul. Er hatte für seine Verhältnisse ungewöhnlich viel geredet. Nun war es an Timm, etwas zu sagen.

Er sagte: „Ich werde mir Ihren Vorschlag überlegen, Senhor van der Tholen.“

„Tun Sie das, junger Herr! Sie haben drei Tage Zeit.“ Damit verließ der Kaufmann den Jungen.

Als Timm aus dem Fenster blickte, war die Schloßtreppe leer.

Hier saß nun im Turm zimmer eines Schlosses im hohen Mesopotamien ein Junge namens Timm Thaler, vierzehn Jahre alt und aufgewachsen in einer Großstadtgasse, ein Knabe ohne Lächeln, aber an Macht und Reichtum ein künftiger König, falls ihm an dieser Krone etwas lag.

Obwohl Timm das Ausmaß seines Reichtums noch gar nicht kannte, wußte er doch schon, daß eine riesige Flotte von Schiffen unter dem Namen des Barons die Meere befuhr. Er ahnte, daß die großen Märkte der Welt - wie jener in Athen - seinem Reichtum tagtäglich neue Reichtümer hinzufügten; und er sah eine ganze Armee von Direktoren, Unterdirektoren, Angestellten und Arbeitern, Hunderte, Tausende, vielleicht Zehntausende, die ausführten, was er befahl. Diese Vorstellung war ein Kitzel. Wenn Timm daran dachte, daß er einmal einen lächerlichen Kampf um den Platz für seine Schularbeiten hatte kämpfen müssen, wenn er daran dachte, wie klein und unbedeutend Presidents vom Wasserwerk ihm gegenüber geworden waren, dann kam er sich hier oberhalb des seltsamen, aber doch prächtigen Parks wie jener einsame bayerische Märchenkönig vor, von dem eine ältliche Lehrerin in der Geschichtsstunde geschwärmt hatte. Timm träumte, daß er in einer goldenen Kutsche, begleitet von Selek Bei zu Pferde, vor Frau Bebbers Bäckerladen vorführe - unter den Augen einer maulaufsperrenden Nachbarschaft.

Der Junge im Turmzimmer vergaß für eine Weile sein verlorenes Lachen und träumte den Traum vom Königsein.

Die Wirklichkeit sah anders aus. Die Wirklichkeit hieß Margarine und sollte ihn an sein verlorenes Lachen deutlich genug erinnern.

Dreiundzwanzigster Bogen. Die Sitzung

Es gab im Schloß einen holzgetäfelten Beratungsraum, in dem ein langer Tisch stand, der von schweren Armsesseln umgeben war. Wenn man in die Tür trat, fiel der Blick auf ein Gemälde in breitem Goldrahmen, das an der Stirnwand des Raumes hing. Es war ein berühmtes Selbstbildnis des Malers Rembrandt, von dem die Welt glaubte, es sei in einem Kriege verlorengegangen.

Unter diesem Bildnis, am Kopf des Tisches, saß der Baron. Links von ihm saßen Selek Bei und Timm Thaler, rechts von ihm Mister Penny und Senhor van der Tholen. Man sprach - diesmal ganz offiziell - über „die Lage auf dem Buttermarkt“. Und Timms wegen sprach man deutsch. (Obwohl Mister Penny Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hatte.)

Am Anfang der Sitzung (denn eine Besprechung dieser Art nennt man Sitzung, so als ob das Sitzen dabei die Hauptsache wäre), am Anfang der Sitzung also hatte Mister Penny nüchtern und geschäftsmäßig gefragt, ob Timm Thaler zukünftig an allen geheimen Beratungen teilnehmen solle. Selek Bei war dafür gewesen; aber die übrigen Herren hatten sich dagegen ausgesprochen. Der Junge sollte nur an dieser Sitzung teilnehmen; erstens, um ein wenig mit dem Unternehmen vertraut zu werden, zweitens, weil er über den Verbrauch von Margarine in seiner Gasse berichten sollte.

Aber zunächst sprach man über die Scherenschleifer von Afghanistan, und das war seltsam genug. Timm erfuhr aus dem Hin und Her des Gesprächs das Folgende: Die Baron-Lefuet-Gesellschaft hatte in Afghanistan etwa zwei Millionen sehr billiger Messer und Scheren verschenkt, aber nicht aus purer Menschenliebe, sondern um dabei etwas zu verdienen. Diese Messer und Scheren kosteten die Gesellschaft nämlich höchstens fünfzehn Pfennig. Das Schleifen aber kostete zwanzig Pfennig, und da es keine guten Messer und Scheren waren, mußten sie mindestens zweimal im Jahr geschliffen werden. Nun waren aber alle Scherenschleifer in Afghanistan Angestellte der Gesellschaft des Barons, und ein gewisser Ramadulla, ehemals ein gefürchteter Räuber und Wegelagerer, hielt sie in strenger Zucht. Er versorgte sie mit Schleifsteinen und Kunden, verlangte dafür aber so viel von ihren Einnahmen, daß er die Hälfte dessen, was die Scherenschleifer verdienten, an die Gesellschaft des Barons abgeben konnte. Was dabei noch für die Scherenschleifer übrigblieb, kann man sich leicht vorstellen.