„Schade“, sagte der Portugiese mit unbewegtem Gesicht. Mehr nicht. Dann wollte er gehen, besann sich aber noch einmal und sagte: „Kommen Sie uns wenigstens bei den Margarineplänen entgegen, Herr Thaler.“ Dann ging er endgültig.
Timm wußte sich keinen Reim auf die beiden Begegnungen zu machen. Zuerst der geheimnisvolle Füllfederhalter von Selek Bei und nun Senhor van der Tholens unerklärliche Bemerkung über Timms Mitwirkung an Margarineplanen.
„Fehlt nur noch, daß mir auch Mister Penny über den Weg läuft“, dachte Timm.
Und er tat es.
Als der Junge unter dem Regenschirm die Schloßtreppe hinabging, stand Mister Penny - ebenfalls regenbeschirmt - neben einem triefenden steinernen Windhund.
„Bitte absolute Stillschweigen über unsere kleine Vertrag von yesterday, ich meine: von gestern“, sagte er.
„Ich will mir’s merken“, sagte Timm wie schon so oft.
Mister Penny schien noch etwas auf dem Herzen zu haben, konnte sich aber anscheinend nicht entschließen, es zu sagen. Nach einem Nicken verließ er den Jungen und stieg die Treppe hinauf.
Timm war ratlos. Die Besprechung mit dem Baron mußte für die Herren der Firma eine große Bedeutung haben; sonst hätten sie ihn kaum der Reihe nach abgepaßt und angesprochen.
Sehr nachdenklich ging er zum Pavillon.
Dieser sogenannte Rote Pavillon stand auf der mittleren der Parkterrassen. Sein Name mußte wohl von dem feuerroten Hahn stammen, der das runde Dach krönte, denn der Pavillon selbst war weiß.
Die beschnittenen Bäume und Büsche sahen aus wie feine Herrschaften, die vom Regen überrascht worden waren und frierend auf Hilfe warteten. Timm ging ziemlich rasch durch die Allee, die zum Pavillon führte. Der Baron stand bereits in der halbgeöffneten Glastür und blickte ihm entgegen.
„Sie haben sich um drei Minuten verspätet“, sagte er. „Wurden Sie aufgehalten?“
„Ja“, sagte Timm, und der Baron fragte nicht weiter nach.
Im runden Pavillonzimmer standen leichte Möbel mit gestreifter Seidenbespannung in Gelb und hellem Braun. Eine Dienerin goß aus einem russischen Samowar den Tee in die Tassen und wollte den Pavillon dann verlassen. Timm sah, daß sie keinen Regenschirm bei sich hatte, und rief: „Moment!“ Als die Frau sich umdrehte, gab der Junge ihr seinen Schirm.
Die Dienerin schien darüber beinahe erschrocken zu sein. Halb bestürzt, halb fragend, blickte sie den Baron an. Aber der lachte und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, samt Regenschirm zu verschwinden. Und das tat sie sehr schnell.
„Ihre kleinen Freundlichkeiten, Herr Thaler, machen Eindruck auf die Leute. Bleiben Sie ruhig dabei; aber übertreiben Sie es nicht.“
Der Baron half dem Jungen aus dem Mantel, und man setzte sich.
„Sehen Sie, Herr Thaler, die Menschen sind in zwei Hälften geteilt, in Herren und in Diener. Unsere Zeit möchte diese Grenze verwischen; aber das ist gefährlich. Es muß Leute geben, die denken und befehlen, und solche, die nicht denken xmd die die Befehle ausführen.“
Timm trank ruhig seinen Tee, ehe er antwortete. „Als ich noch ein ziemlich kleiner Junge war, Baron, sagte mein Vater mir einmaclass="underline" Glaube nicht an Herren und Diener, Junge! Glaube nur an kluge und dumme Leute, und verabscheue die Dummheit, wenn sie nicht gutmütig ist! Ich habe mir das damals in ein Schulheft geschrieben, deshalb weiß ich es noch.“
„Ihr Vater sagt praktisch dasselbe wie ich, Herr Thaler. Denn die Klugen sind die Herren, die Dummen die Diener.“
Timm erwiderte: „Selek Bei hat mir erklärt, daß in Afghanistan und in Südamerika nur diejenigen die Herren sind, die zufällig dazu geboren wurden.“
„Geburt ist kein Zufall“, brummte Lefuet mürrisch. „Im übrigen, Herr Thaler, ist Selek Bei ein Kommunist. Trotz seiner Religion. Er weiß es nur nicht. Ich aber weiß, daß er in Südamerika eine Armee bezahlt, die unseren Präsidenten stürzen soll. Und ich weiß auch, daß er in Afghanistan die Scherenschleifer gegen unseren Beauftragten, Ramadulla, aufwiegeln will.“
„Das wissen Sie?“ Timm machte ein so entsetztes Gesicht, daß der Baron hell auflachte.
„Ich weiß mehr, als Sie ahnen“, rief er lachend. „Ich kenne auch Ihren Vertrag mit Mister Penny, Herr Thaler. Und ich ahne, was für ein Angebot van der Tholen Ihnen gemacht hat.“
Diesmal verschluckte Timm sich am Tee. War denn Lefuet ein Gedankenleser?
Aber die Erklärung für die Weisheit des Barons war viel einfacher. Er selbst sagte es dem Jungen: „Jeder Diener in diesem Schloß ist zugleich mein Detektiv. Haben Sie nicht bemerkt, Herr Thaler, daß auf Ihrem Schreibtisch ein neues Löschblatt liegt?“
„Nein!“
„Nun, auf solche Kleinigkeiten sollten Sie achten! Wenn man das alte Löschblatt vor einen Spiegel hält, kann man Ihren Vertrag mit Mister Penny ziemlich deutlich lesen.“
In diesem Augenblick wußte Timm, daß er dem Baron, was Geschäfte anging, niemals gewachsen sein würde. Die Pläne der Nacht lösten sich auf wie der Dampf aus der Teetasse. Der Junge hatte eine Runde im Kampf um sein Lachen verloren.
„Werden Sie gegen Selek Bei und Mister Penny etwas unternehmen, Baron?“
Wieder lachte Lefuet und sagte: „Nein, mein Lieber! Es genügt mir, unterrichtet zu sein. Natürlich hat es mich geärgert, als ich erfuhr, was die beiden taten oder vorhatten. Aber um Ärgernisse leicht zu nehmen, dafür steht mir glücklicherweise Ihr Lachen zur Verfügung. Es erleichtert und befreit mich. Sie sehen, Herr Thaler, daß ich es zu nützlichen Zwecken verwende.“
„Sie scheinen alles in Ihrem Leben nur für nützliche Zwecke zu verwenden, Baron.“
„Mit zwei Ausnahmen, Herr Thaler: Mein Interesse für Bilder ist zwecklos und ebenso mein Interesse für Religi. .. Nein“, unterbrach er sich selbst. „Auch mein Interesse für Religion hat einen Zweck.“
Timm lenkte schnell von diesem Gespräch ab; denn er hatte keinen passenden Kronleuchter zur Hand. Er fragte: „Was ist mit dem Vertrag, den ich mit Mister Penny abgeschlossen habe?“
„Nun, Herr Thaler, ob Mister Penny die Stimm-Aktien bekommt, hängt davon ab, ob Sie mit einundzwanzig Jahren tatsächlich mein gesamtes Erbe samt Stimm-Aktien antreten. Der übrige Teil des Vertrages ist selbstverständlich gültig. Heute in einem Jahr werden die meisten Aktien unserer Reederei in Hamburg Ihnen gehören. Sie möchten wohl Herrn Rickert wieder in Amt und Würden einsetzen?“
„Ja“, sagte Timm, ohne zu zögern.
„Nun, hoffentlich ist er nächstes Jahr noch gesund und munter.“
Die letzte Bemerkung, die Lefuet ziemlich beiläufig gesprochen hatte, erschreckte den Jungen. Der Baron war ohne Zweifel zu allem fähig, auch dazu, Herrn Rickert auf irgendeine Weise umzubringen. Also mußte Timm so tun, als liege ihm gar nicht viel an Herrn Rickert. Deshalb sagte er: „Es tat mir leid, daß Herr Rickert wegen unseres kleinen Telefongesprächs seine Stellung verlor. Deshalb machte ich das Geschäft mit Mister Penny.“
Lefuet goß sich aus einer kleinen Kristallkaraffe Rum in den Tee und fragte: „Auch einen Schuß?“
Timm nickte, der Baron bediente ihn und sagte dann: „Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Herr Thaler. Nehmen Sie ein Jahr lang keinerlei Verbindung mit Herrn Rickert oder Ihren anderen Freunden in Hamburg auf; dann sorge ich dafür, daß Ihnen in einem Jahr die Hamburger Reederei-Aktien wirklich gehören. Einverstanden?“
„Ja“, sagte Timm nach kurzem Überlegen. „Einverstanden!“
Er dachte bei sich: „Ein Jahr ohne Lachen ist lang, aber ein Leben ohne Lachen ist unerträglich. Ich muß dieses Jahr durchstehen. An seinem Ende werde ich vielleicht wissen, wie ich den Baron übertölpeln kann. Als Geschäftsmann kann ich ihm nicht beikommen; aber vielleicht komme ich dem privaten Baron Lefuet auf die Schliche.“