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„Jawohl, Herr... Brown.“

„Also nochmals, mein Lieber: Äußerste Zurückhaltung! Er darf nicht merken, daß ihn außer unseren Hausdetektiven noch jemand beschattet. Klar?“

„Jawohl.“

„Eine andere Frage... “

„Bitte sehr, Mister Brown?“

„Es ist eine mehr private Frage: Kennen Sie das Märchen Schwan-Kleb-An?“

„Na und ob! Das mußte ich mir doch ansehen, als ich den Jungen vor zwei Jahren hier in Hamburg beobachtet habe, Herr Ba... rown. Da ist er doch mit diesen Rickerts ins Marionettentheater gegangen. Und das Stück hieß Schwan-Kleb-An.“

„Ah so! Das erklärt einiges.“ Der Baron schloß für einen Moment die Augen. Er sah sich selbst im Taxi sitzen, Timm neben sich, und er hörte den Fahrer sagen: „Das ging aber mal schnell. Fast so schnell wie bei Schwan-Kleb-An.“ Dann sah der Baron Timms Gesicht vor sich. Erst zuckte es, dann wurde es steinern. Vor die Erregung wurde ein Vorhang gezogen. (Lefuet kannte das längst.) Jetzt wußte er, warum der Fahrer Schwan-Kleb-An erwähnt hatte. Und als er sich von dem Mann mit der Nickelbrille das Märchen erzählen ließ, wußte er noch viel mehr.

Zu Lefuets erstaunlichsten Talenten gehörte ein Zahlengedächtnis, das ihn selten in Stich ließ. Es bediente ihn auch diesmal mit der Nummer des Taxis, die er auf ein abgerissenes Stück Zeitungspapier schrieb.

Das Papier gab er dem Besucher. „Wenn der Junge in ein Taxi mit dieser Nummer steigt, will ich sofort benachrichtigt werden. Fragen Sie die Schwester nach meiner Telefonnummer, und schreiben Sie sie darunter, klar?“

„Jawohl, Mister Brown!“

„Mein Chauffeur soll mit fahrbereitem Wagen vor dem Krankenhaus warten. Benachrichtigen Sie ihn. Er soll sich einen Mietwagen nehmen. Auf keinen Fall ein Firmenauto. Und Sie rufen mich auf der Stelle an, wenn der Junge in das angegebene Taxi steigt. Auf - der - Stel - le! Es könnte um Minuten gehen.“

„Jawohl.“

„Dann können Sie gehen.“

Der Mann wandte sich der Tür zu, aber Lefuet hielt ihn noch einmal zurück. „Die Leute scheinen verkleidet zu arbeiten. Könnte sein, daß sich auch der Junge verkleidet. Ich erwähne das sicherheitshalber. “

„Ist gut, Baron... Brown.“

Der Mann ging. Lefuet erhob sich, hinkte zur Tür, schloß sie leise ab, kleidete sich bis auf die Schuhe vollständig an, schloß leise die Tür wieder auf und legte sich im Anzug ins Bett zurück, als das Telefon läutete. Es war Timm Thaler.

„Wie geht es Ihnen, Baron?“

Lefuet stöhnte: „Miserabel, Herr Thaler! Brüche und eine schwere Gehirnerschütterung. Ich kann mich kaum bewegen.“ Er lauschte mit angehaltenem Atem in den Hörer. Aber er hörte nichts als die ruhige Stimme des jungen Mannes: „Dann will ich Sie nicht länger anstrengen. Gute Besserung, Baron, und seien Sie vorsichtig!“

„Darauf können Sie sich verlassen, Herr Thaler!“

Behutsam legte Lefuet den Hörer in die Gabel zurück. Dann lehnte er sich gegen die Kissen und blickte aus dem Fenster hinaus. Draußen umspielten zwei Schwalben einander im Fluge.

„Lachen“, dachte Lefuet, „ist ein Vogel. Aber ein Vogel, der niemandem ins Netz geht. Ein Vogel, den man nicht fangen kann.“ Laut setzte er hinzu: „Und niemand soll mich fangen können!“

Zweiunddreißigster Bogen. Hintertreppen

Timms Appartement lag auf der Rückseite des Hotels. So hatte er den Schrei des verunglückten Barons nicht hören können. Er war in der allgemeinen Verwirrung auch erst sehr spät von dem Unfall unterrichtet worden. Nach dem kurzen Telefongespräch mit Lefuet überkam ihn so ein Gefühl, als ob auch dieser Verkehrsunfall Hintertreppen-Romantik sei - wie alles an diesem Tage. Er schämte sich dieses Gefühls, wenn er an den scheinbar so schwerkranken Baron dachte; aber er konnte nicht hindern, daß es sein Mitleid fast verdrängte.

Auch Timms nächster Schritt war Hintertreppen-Romantik. Was der geheimnisvolle Zettel empfohlen hatte („Wähle Hintertreppen!“) und was Lefuet vermutet hatte („Könnte sein, daß sich auch der Junge verkleidet.“), das zu tun, bereitete Timm sich jetzt vor. Dabei kam ihm zustatten, daß der Baron ihn im letzten Jahr reichlicher mit Taschengeld versehen hatte als vorher.

Timm läutete dem Zimmermädchen und bot ihr dreihundert Mark für den Fall, daß sie ihm bald und heimlich gebrauchte Schifferkleidung besorge: eine blaue Tuchhose, einen dunkelblauen Rollkragenpullover und eine Schirmmütze.

Das Mädchen - wahrscheinlich las sie Groschenromane - fand den geheimnisvollen Auftrag prickelnd und spannend. Sie sagte, sie habe einen Verehrer bei der christlichen Seefahrt, den sie um acht Uhr treffen werde. Von dem könne sie die Sachen bekommen.

„Gut“, sagte Timm. „Dann wickeln Sie die Sachen in frische Bettwäsche und bringen Sie sie bis neun Uhr zu mir! “

„Aber Mister Brown“, sagte das Mädchen (Lefuet und Timm waren ja als Vater und Sohn Brown hier abgestiegen), „um neun Uhr wechseln wir doch keine Bettwäsche! Höchstens ein Badetuch!“

„Also dann tun Sie die Sachen meinetwegen in ein Badetuch. Hauptsache, ich bekomme sie.“

„Aber was soll ich dem Herrn draußen sagen, Mister Brown?“

„Welchem Herrn?“ fragte Timm.

„Dem, der mir hundert Mark gegeben hat, damit ich ausspioniere, was Sie tun!“

„Ah, der Herr Detektiv! Sagen Sie ihm, daß ich jetzt eine Kopfschmerztablette verlangt hätte und daß Sie mich auf die Tabletten im Badezimmer aufmerksam gemacht hätten.“

„Ist gut, Mister Brown!“

„Und noch etwas: Wenn Sie heute abend um neun Uhr kommen, sind Sie wohl außer Dienst?“

„Ja.“

„Könnten Sie dann für kurze Zeit Ihre Dienstkleidung wieder anziehen?“

„Das hätte ich sowieso getan, Mister Brown. Ich habe eine zu Haus. Die ziehe ich unter dem Mantel an. Und über das Häubchen binde ich ein Kopftuch. Dann brauche ich mich hier nicht groß umzuziehen.“

„Ausgezeichnet“, sagte Timm mit zwei deutlichen Kringeln in den Mundwinkeln. „Dann kann ich also bestimmt mit Ihnen rechnen?“

„Ganz bestimmt, Mister Brown. Und - kann ich auch ganz bestimmt mit dem Geld rechnen?“

„Sie können es jetzt schon haben!“ Der junge Mann entnahm seiner Brieftasche drei Hundertmarkscheine und gab sie ihr.

„Sie sind aber leichtsinnig!“ lachte das Mädchen. „So was zahlt man doch nicht im voraus. Na, ich werde Sie nicht enttäuschen. Danke schön einstweilen! Und tschüs solang!“

„Bis neun!“ sagte Timm. Dann schloß er ab und legte sich nieder. Wenn er auch nicht schlafen konnte, wollte er doch wenigstens den Körper ausruhen lassen.

Kurz nach neun Uhr kam das Zimmermädchen wie verabredet. Mit schwarzem kunstseidenem Kittel und weißem Häubchen. Das Badetuch trug sie vor der Brust.

„Der Herr hat mich gefragt, was ich bei Ihnen will“, flüsterte sie. „Ich habe gesagt, Sie hätten heute nachmittag für neun Uhr ein frisches Badetuch bestellt.“

„Nett von Ihnen“, erwiderte Timm möglichst laut. Dann flüsterte er: „Grüßen Sie Ihren Verehrer von der christ«liehen Seefahrt!“

Diesmal antwortete das Mädchen laut: „Danke, Mister Brown! Herzlichen Dank!“ Dann verließ sie das Appartement und blinzelte Timm unter der Tür noch einmal zu. Der junge Mann blinzelte zurück.

Der Verehrer des Fräuleins hatte zum Glück nicht die Ausmaße Jonnys. Er schien ein kleines bißchen größer als Timm zu sein; aber die Hose ließ sich durch Träger heraufziehen, und bei Pullovern ist ein lockerer Sitz ja nicht weiter schlimm.

Im Spiegel kannte Timm sich - vor allem mit der Schirmmütze -kaum selbst wieder. Nur die zarte Haut seines Gesichts verriet ihn. Also wurde auch das geändert: Er rieb sich die Wangen mit dem Bimsstein ein, der im Badezimmer lag, und schmierte danach Erde aus einem Blumentopf darüber. Dann wusch er das Ganze ab und machte das gleiche noch einmal. Und dann noch einmal und noch einmal. Das Ergebnis war zufriedenstellend: Timm Thalers Gesicht sah aus, als habe er gerade die Masern überstanden. Von Kopf bis Fuß roch der ganze Timm förmlich nach christlicher Seefahrt.