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„Aber du hättest es auch wiederbekommen, wenn du die Wette verloren hättest, Timm!“

Jetzt erst ging dem Jungen ein Licht auf. Er schlug sich lachend an die Stim und rief: „Natürlich! Eine verlorene Wette hätte mir ebenfalls mein Lachen beschert. Ich hätte mit jedem beliebigen Menschen wetten können, daß ich mein Lachen zurückbekomme. Und so oder so: Ich hätte es in jedem Fall erhalten.“

„Ganz so einfach war es nicht, mein Junge“, sagte Jonny. „Du hättest keineswegs mit jedem beliebigen Mensehen wetten können. Dann hättest du ja verraten, daß du dein Lachen nicht mehr besitzt, und das durftest du nicht. Du konntest nur mit demjenigen wetten, der deinen Vertrag mit Lefuet erraten hat: mit Kreschimir.“

„Aber mit mir“, ergänzte Kreschimir, „war die Wette todsicher.“

Da Timm nicht mehr am Lachen krankte, da er wieder heil und ganz war, sah er plötzlich, wie einfach alles gewesen war. Er hatte, verwirrt und verzweifelt, jahrelang Hintertreppen benutzt statt des kurzen, sicheren Weges. Er hatte komplizierte Pläne entworfen, in denen es um Millionen ging. Und er hatte das Lachen auf viel billigere Art wiederbekommen, für weniger, als ein Achtel Margarine kostet: für einen Pfennig.

So billig ist das Lachen, wenn man es mit Geld bezahlen will; aber sein wahrer Wert läßt sich selbst mit Millionen nicht aufwiegen. Lachen, sagt Selek Bei, ist keine Handelsware. Lachen will verdient sein.

Dreiunddreißigster Bogen. Das wiedergefundene Lachen

Das Nieseln war in feinen Regen übergegangen; aber keiner der vier hatte es bemerkt. Ebensowenig hatten sie gehört, daß tappende Schritte die Steinstufen herunterkamen. Nun, da sie einen Augenblick schwiegen, hörten sie das Tappen plötzlich und drehten sich um.

Die schmale Stiege herunter kam aus der Finsternis eine hagere schwankende Gestalt. Lange Beine in schwarzen Hosen wuchsen in den Lichtkegel der Laterne, bleiche langfingrige Hände tauchten auf, eine weiße Hemdbrust und darüber das langgezogene Oval eines Gesichts. Endlich stand die Gestalt in voller Beleuchtung unter dem Schild, auf dem „Teufelsstiege“ zu lesen war. Sie lehnte sich erschöpft an die Wand aus behauenen Steinen.

Es war der Baron.

Aus Timms Brust drängte ein Lerchentriller hinaus. „Hintertreppen!“ klang es spöttisch in seinem Kopf. Das war ja ein Teufel aus dem Marionettentheater, eine bewegliche Puppe, eine Figur, die so lächerlich war, daß man schon wieder Mitleid mit ihr haben mußte.

Aber Timm Thaler, ein Junge, der wieder lachen konnte, unterdrückte den Lerchentriller und lachte nicht.

Der Baron hatte sich auf eine Stufe gesetzt und blickte mit schmalem Mund und kalkweißem Gesicht die Männer am Fuß der Treppe an. Timm ging zu ihm hinauf.

„Sie müssen zurück ins Hospital, Baron.“

Lefuet sah ihn von unten herauf an. Mit hart aufeinandergepreßten Lippen.

„Baron, Sie dürfen hier nicht sitzen bleiben.“

Jetzt machte Lefuet den Mund auf. Er hatte eine heisere Stimme.

„Worum haben Sie gewettet, Herr Thaler?“

„Um einen Pfennig, Baron.“

„Um einen Pfennig?“ Lefuet fuhr in die Höhe, stützte sich aber sogleich wieder an die Wand. Er kreischte jetzt fast wie ein Weib: „Und ihr hättet um mein Erbe wetten können, Dummköpfe!“

Ein Chauffeur, den Timm kannte, kam jetzt die Stufen heruntergesprungen. „Herr Baron, Sie muten sich zuviel zu!“

„Lassen Sie mich noch zwei Minuten mit dem jungen Herrn reden. Dann können Sie mich wieder ins Hospital schaffen.“

„Ohne meine Verantwortung, Herr Baron!“ Der Chauffeur ging wieder ein Stück die Treppe hinauf und blieb dort stehen. Am Fuß der Treppe standen Jonny, Kreschimir und Herr Rickert. Eine schweigsame Wache für Timm.

„Darf ich mich einen Augenblick auf Sie stützen, Herr Thaler?“

„Nur zu, Baron. Ich bin bei Kräften.“ Ein ganz kleines Lachen begleitete die Worte. Lefuet stützte sich auf eine Schulter des jungen Mannes.

„Ihr Erbe, Herr Thaler... “

„Ich verzichte darauf, Baron!“

Lefuet stutzte, aber nur ganz kurz. Dann sagte er: „Das ist vernünftig und vereinfacht die Sache. Durch Ihre Reederei werden Sie in einigem Wohlstand leben können.“

„Die Reederei, Baron, schenke ich meinen Freunden.“

Lefuets Augen weiteten sich so, daß man es sogar durch die dunklen Gläser erkennen konnte. „Dann hat Ihnen ja unser Vertrag nicht das geringste genützt, Herr Thaler! Sie stehen so arm da wie am Anfang. Mit einem bankrotten Marionettentheater.“

Timm gestattete sich jetzt ein kleines Kullern. „Sie haben recht, Baron. Ich stehe wieder am Anfang. Aber was ich besitze, ist in den letzten Jahren für mich höher im Wert gestiegen als jede beliebige Aktie der Welt.“

„Und das wäre?“

Statt einer Antwort mußte Timm ganz einfach lachen. Der Baron fühlte die Schulter des jungen Mannes unter seinen Händen zittern. Und er hörte neue Untertöne in dem Gelächter, tiefere Töne, Kontrapunkte, die das helle Lachen dunkel begleiteten. Da drehte Lefuet sich um und winkte dem Chauffeur, der eilfertig herunterkam und einen Arm des Barons über seine Schulter legte. So stiegen sie die Stufen hinauf.

Timm rief: „Gute Besserung, Baron! Werden Sie bald wieder ganz. Und Dank für das, was Sie mich gelehrt haben! “

Lefuet blickte nicht zurück. Der Chauffeur hörte ihn murmeln: „Ganz, ganz! Man ist nicht ganz ohne das!“

Timm sah dem Baron nach, bis die Dunkelheit ihn verschluckte. Seine Freunde waren zu ihm heraufgestiegen. Auch sie blickten Lefuet nach. Jonny brummte: „Stinkreich, aber ein armer Teufel!“

Nach einer Weile gingen die vier ebenfalls die Stufen hinauf. Sie hörten, wie ein Auto in Gang gesetzt wurde und anfuhr. Das Geräusch schwoll an und verlor sich dann wieder.

Bald darauf standen sie auf der Elbchaussee. Auf der gegenüberliegenden Seite stand dunkel das Taxi von Jonnys Schwager.

„Fahren Sie den Wagen in meine Garage, Jonny“, sagte Herr Rickert. „Wir gehen inzwischen das kleine Stück zu Fuß.“

„Wohnen Sie denn immer noch in der weißen Villa, Herr Rickert? Der Baron erzählte mir doch, Sie seien Hafenarbeiter geworden.“

„Bin ich auch, Timm. Ich erklär’ dir das morgen. Ich hoffe doch, du hast nichts dagegen, mein Gast zu sein?“

„Im Gegenteil, Herr Rickert! Ich muß doch Ihrer Mutter beweisen, daß ich wieder lachen kann. Oder... “ (er wandte den Kopf zur Seite) „... ist sie... ?“

„Kein Oder, Timm! Sie lebt noch und ist wohlauf und munter. Gehen wir!“

Der Eingang zur Villa war beleuchtet. Die weiße Tür mit dem runden Balkon darüber und mit den Löwen aus hellem Sandstein links und rechts war eine Insel im Meer der Dunkelheit, ein freundliches einladendes Ufer nach langer stürmischer Irrfahrt. Timm mußte schlucken, als er auf die sanften Löwen zuging. Und als die Tür sich öffnete und die alte Frau Rickert heraustrat (rundlich, mit weißen Löckchen und gestützt auf einen Stock), da mußte Timm sich sehr zusammennehmen, um der alten Frau nicht heulend um den Hals zu fallen. Was er herausbrachte, als er vor ihr stand, war ein Gestammel zwischen Lachen und Weinen. Vermutlich hieß es: „Na, was sagen Sie jetzt, Frau Rickert?“ Aber verstehen konnte kein Mensch die Worte. Es bemühte sich auch niemand darum, denn jetzt übernahm die alte Dame das Kommando. Sie fragte: „Is allns in Ordnung, Krüschan?“ Und als ihr Sohn nickte, schnaufte sie erleichtert aus und sagte: „Das ‘s ‘n Grund zum Feiern, Kinner! Aber der Jung muß ins Bett. Der ischa ganz durchn’ander!“ Es geschah, was Frau Rickert befahclass="underline" Timm mußte, ob er wollte oder nicht, ins Bett steigen, und es erwies sich, daß das gut war; denn schon nach sehr kurzer Zeit sank er in einen bleischweren Schlaf.