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Nun war Oberst Alexandrow, Kommandeur einer Panzerabteilung, schon seit drei Monaten von daheim fort. Er war an der Front.

Im Hochsommer bekamen seine Töchter Olga und Shenja, die allein in Moskau zurückgeblieben waren, ein Telegramm von ihm. Der Vater schlug vor, sie sollten den Rest ihrer Ferien auf der Datsche, nicht weit von Moskau, verbringen.

Nun galt es, die Übersiedlung vorzunehmen. Olga, die ältere der beiden Schwestern, gab dazu die nötigen Anweisungen, während die kleinere, Shenja, mit unzufriedenem Gesicht vor ihr stand; sie hatte das bunte Kopftuch in den Nacken geschoben und stützte sich auf einen Besenstiel.

Olga sagte gerade in entschiedenem Ton: „Also, ich fahre jetzt gleich mit unseren Sachen voraus; du mußt erst noch die Wohnung aufräumen, Shenja. Mach nur kein so empörtes Gesicht; Stirnrunzeln und Grimassenschneiden nützt dir gar nichts. Hör gut zu: Wenn du alles sauber gemacht hast, verschließt du die Wohnungstür und bringst die entliehenen Bücher zur Bibliothek zurück. Du gehst aber nicht erst noch zu deinen Freundinnen, sondern direkt zum Bahnhof. Dort gibst du dieses Telegramm an Papa auf … Dann setzt du dich in den Zug und fährst ins Dorf … Du weißt, daß du mir gehorchen mußt, Jewgenja. Schließlich bin ich deine Schwester.“

„Na, ich bin doch auch deine Schwester.“

„Das schon, aber ich bin die ältere … und Papa hat es so angeordnet.“

Das Auto war vorgefahren, das Gepäck verladen. Als der Motor endlich zu fauchen begann, atmete Shenja erleichtert auf.

Nachdem Olga glücklich fort war, blickte sie sich etwas ratlos um. Wüstes Durcheinander umgab sie. Zuerst trat sie aber doch noch vor den Spiegel. Von der gegenüberliegenden Wand lächelte im Spiegel das Bild des Vaters sie an.

Shenja sah immer noch etwas mißmutig drein. Was mußte Olga sie so herumkommandieren? Gewiß, sie war die Ältere, und vorläufig mußte Shenja ihr wohl oder übel noch gehorchen. Doch in ihrem Spiegelbild stellte sie befriedigt fest, daß ihre kecke Nase, ihre aufgeworfenen Lippen und die dichten Augenbrauen denen des Vaters glichen. Mit ihrem Charakter würde es gewiß nicht anders sein.

Energisch knotete Shenja jetzt das Kopftuch fester; dann zog sie die Schuhe aus und schleuderte sie beiseite. Suchend blickte sie sich um. Was mußte zuerst geschehen? Sie riß die Tischdecke vom Tisch. Dann ging sie in die Küche, stellte den Eimer unter den Wasserhahn und zündete den Petroleumkocher an. Bald begann das Wasser zu zischen. Shenja nahm den Besen und fegte den Unrat auf dem Fußboden zusammen und zur Türschwelle. Sie holte den Wassereimer und die Wischlappen, und bald bespülten Wasserfluten den Fußboden. In einer Wanne hatte sie Seifenwasser bereitet. Der Schaum knisterte, und Shenja kletterte unternehmungslustig auf das Fensterbrett. Ein wenig verwundert blickten die Vorübergehenden herauf und sahen das barfüßige kleine Mädchen im roten Sarafan, wie es fröhlich singend auf dem Fenstersims des dritten Stockwerks stand und offenbar furchtlos und schwindelfrei die Scheiben der weitgeöffneten Fenster putzte.

Indessen sauste das Lastauto, das Olga nach der Datsche bringen sollte, die breite sonnenbeschienene Landstraße entlang. Olga hatte es sich in einem Korbsessel bequem gemacht. Sie hatte die Füße auf einen Koffer gestellt und sich ein weiches Bündel in den Rücken geschoben. Auf ihrem Schoß lag ein rotbraunes Kätzchen; es schnurrte und zerpflückte spielerisch mit seinen Pfoten einen Kornblumenstrauß. Etwa beim dreißigsten Kilometerstein wurde der Lastwagen von einer motorisierten Kolonne der Roten Armee überholt. Die Rotarmisten saßen in Reihen auf den Holzbänken, die Gewehre mit den himmelwärts gerichteten Läufen zwischen den Knien. Sie sangen.

Wie schön das klang! Im Dorf wurden Türen und Fenster weit aufgerissen. Kinder sprangen aus den Hauseingängen und hinter Zäunen hervor. Sie winkten und warfen den Rotarmisten Äpfel zu. Daß sie noch nicht ganz reif waren, störte ihren Eifer nicht. Sie begleiteten die Wagen, die sich in einer Staubwolke rasch entfernten, mit begeistertem Hurrageschrei. Kaum waren die Truppen vorüber, da entbrannte schon eine Schlacht; die Kinder machten blitzartige Kavallerieangriffe und schlugen sich unbekümmert durch Brennesseln und Wermutstauden.

Es dauerte nicht lange, da bog das Lastauto mit Olga und ihrem Kätzchen in den kleinen Kurort ein und hielt vor einem efeubewachsenen Landhäuschen an.

Der Fahrer und sein Gehilfe klappten die Seitenwände herunter, halfen Olga beim Absteigen und begannen das Gepäck abzuladen. Olga hatte indessen die Tür zur Glasveranda geöffnet.

Von hier aus konnte man den großen, stark verwilderten Garten übersehen. An seinem Ende ragte ein einfacher zweistöckiger Schuppen empor. Auf dem Dach dieses Schuppens erblickte Olga eine kleine rote Fahne.

Sie ging zum Auto zurück, um den Fahrer zu entlohnen. Während sie noch mit ihm sprach, kam eine ältere Frau in den Garten. Es war die Milchhändlerin aus dem Nachbarhaus.

Sie begrüßte Olga und erbot sich sogleich, das Haus sauber zu machen, die Fenster zu putzen, die Fußböden zu reinigen und die Wände abzuseifen. Als Olga ihr erfreut zustimmte, lief sie rasch davon, um Eimer, Schüsseln und Lappen herbeizuholen. Olga hatte das Kätzchen auf den Arm genommen und war mit ihm in den Garten gegangen.

Es war glühend heiß. Das Harz an den Bäumen glitzerte in der Sonne. Spatzen hatten die überreifen Kirschen angepickt. Es duftete stark nach Kamille und Wermut. An den Sträuchern glänzten noch die roten Trauben der Johannisbeeren. Olga schlenderte die Wege entlang; als sie zu dem Schuppen kam, sah sie etwas verwundert, daß sich merkwürdige Fäden und Drähte von dem schadhaften Dach nach oben zogen und sich im Laub der nahen Bäume verloren.

Olga beachtete diesen Umstand nicht weiter. Während sie unter den Nußbäumen weiterging, streifte sie Spinnweben vom Gesicht; als sie dabei zufällig einmal hochblickte, blieb sie erstaunt stehen. Die rote Fahne war von dem Dach verschwunden; nur noch die leere Stange ragte empor.

Und nun glaubte Olga hastiges, aufgeregtes Flüstern zu vernehmen; plötzlich stürzte die schwere Leiter, die am Fenster des Schuppens angelehnt gestanden hatte, polternd zu Boden und riß dabei krachend dürre Äste mit sich.

Die merkwürdigen Fäden über dem Dach begannen zu zittern. Das Kätzchen, das sich ängstlich an Olgas Händen festgekrallt hatte, machte sich los und sprang mit einem Satz in die Brennesseln. Olga war erschrocken stehengeblieben. Sie sah sich suchend um und horchte. Doch sie konnte weder im Gebüsch noch hinter dem Nachbarzaun oder in dem schwarzen Viereck des Schuppenfensters jemand entdecken. Zu hören war jetzt auch nichts mehr.

Etwas verstört kehrte Olga zur Veranda zurück.

Auf ihre Frage erklärte ihr die Milchfrau eifrig: „Das sind Kinder. Sie treiben sich in fremden Gärten herum.

Gestern haben sie beim Nachbarn zwei Apfelbäume geplündert, einen kleinen Birnbaum haben sie umgeknickt. Ach ja, was es jetzt für Gesindel gibt… Solche Lausebengels! Mein Sohn ist bei der Roten Armee, meine Liebe“, fuhr die redselige Frau fort. „Als er ging, war er gar nicht niedergeschlagen. Im Gegenteil, er hat gepfiffen und gesungen, der liebe Junge. Leb wohl, Mama, hat er gesagt. Na, wie es aber so ist, abends wurde ich doch traurig und habe geweint. In der Nacht wache ich auf, und es kommt mir vor, als schleiche draußen jemand herum, als werde mit etwas geworfen. Ich denke bei mir: Ach, ich bin ganz allein, und keiner wird mir beistehen… So alt wie ich bin, kann mich eine Kleinigkeit umbringen! Ein Ziegelstein auf den Kopf, und aus ist’s! Doch das liebe Gottchen hat sich meiner erbarmt“, fuhr die Alte lebhaft fort. „Nichts ist gestohlen worden. Sie haben nur ein bißchen herumgeschnüffelt und sich wieder aus dem Staube gemacht. Aber denken Sie nur, bei mir draußen auf dem Hofe steht ein Eichentrog, den können zwei Leute nicht von der Stelle rücken. Nun, der war heute morgen zwanzig Schritte vor bis ans Tor geschoben. Das war alles. Was das nun für Leute waren, weiß ich nicht. Es ist und bleibt rätselhaft.“