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»Genau so war es! Er hatte eine schlimme Zeit! Capricorn hat ihn von Basta jagen lassen, sie haben ihn verschleppt, weit, weit fort. haben versucht, ihm zu entlocken, wie man mit dem Feuer spricht.« Da kamen sie, die Lügen. Und wer konnte es schon sagen? Vielleicht kamen sie der Wahrheit ja ganz nahe? »Glaubt mir, Basta hat sich gründlich dafür gerächt, dass Ihr Staubfinger ihm vorgezogen habt! Sie haben ihn eingesperrt, jahrelang, schließlich ist er entkommen, aber sie haben ihn bald gefunden. Haben ihn halb totgeschlagen.« Davon hatte Meggie ihm erzählt. Ein bisschen Wahrheit konnte nicht schaden, und Roxane musste ja nicht wissen, dass es wegen Resa gewesen war. »Es war furchtbar, so furchtbar!« Fenoglio spürte, wie sie mit ihm durchging, die Lust am Erzählen, die Lust daran, zu beobachten, wie Roxanes Augen sich weiteten, wie sie an seinen Lippen hing, sehnsüchtig auf seine nächsten Worte wartend. Sollte er Staubfinger vielleicht doch noch etwas schlecht machen? Nein, er hatte ihn schon umgebracht, heute würde er ihm einen Gefallen tun. Heute würde er seine Frau dazu bringen, ihm ein für alle Mal zu verzeihen, dass er zehn Jahre fort gewesen war. Manchmal kann ich doch wahrlich ein netter Mensch sein!, dachte Fenoglio.

»Er dachte, er würde sterben. Er dachte, er würde Euch nie wieder sehen, das war das Schlimmste für ihn.« Fenoglio musste sich räuspern. Er war gerührt von seinen eigenen Worten - und Roxane war es auch. O ja. Er sah, wie das Misstrauen aus ihren Augen verschwand, wie sie weich wurden, weich vor Liebe. »Danach ist er umhergestrichen durch fremde Länder wie ein vor die Tür gesetzter Hund, auf der Suche nach einem Weg, an dessen Ende nicht Basta oder Capricorn, sondern Ihr auf ihn warten würdet.« Jetzt kamen die Worte wie von selbst, als wüsste er tatsächlich, was Staubfinger all die Jahre empfunden hatte. »Er war verloren, wahrlich verloren, sein Herz kalt wie ein Stein von all der Einsamkeit. Nichts als Sehnsucht hatte noch Platz darin, Sehnsucht nach Euch. Und nach seiner Tochter.«

»Er hatte zwei Töchter.« Roxanes Stimme war kaum zu verstehen.

Verflucht, das hatte er vergessen. Natürlich, zwei! Aber Roxane war schon so eingesponnen in seine Worte, dass sein Fehler das Netz nicht zerriss.

»Woher wisst Ihr das alles?«, fragte sie. »Er hat mir nie erzählt, dass Ihr Euch so gut kennt.«

Oh, niemand kennt ihn besser!, dachte Fenoglio. Das versichere ich Euch, meine Schöne.

Roxane strich sich das schwarze Haar aus dem Gesicht. Eine Spur von Grau entdeckte Fenoglio darin, als hätte sie sich mit einem staubigen Kamm gekämmt. »Ich reite morgen in aller Frühe«, sagte sie.

»Bestens.« Fenoglio zog das Pferd an seine Seite. Warum war es nur so schwer, halbwegs anständig auf die Biester hinaufzukommen? Roxane musste denken, dass er wahrlich schon ein steifer alter Mann war. »Passt auf Euch auf!«, sagte er, als er endlich oben saß. »Auf Euch und den Brief. Und grüßt Meggie von mir. Sagt ihr, alles wird gut. Ich verspreche es!«

Als er davonritt, stand sie mit nachdenklichem Gesicht neben ihrem schlafenden Sohn und sah ihm nach. Er hoffte wirklich, dass sie Staubfinger finden würde, nicht nur, damit Meggie seine Worte bekam. Nein. Ein bisschen Glück konnte dieser Geschichte nicht schaden, und Roxane war nun mal nicht glücklich ohne Staubfinger. So hatte er es eingerichtet.

Verdient hat er sie trotzdem nicht!, dachte Fenoglio erneut, während er auf die Lichter von Ombra zuritt, nicht so hell leuchtend und nicht so zahllos wie in seiner alten Welt, aber mindestens ebenso einladend. Bald würden die Häuser hinter den schützenden Mauern ohne Männer sein. Ja, alle würden sie mit Cosimo gehen: Minervas Mann - obwohl sie ihn gebeten hatte zu bleiben - und der Schuster, der neben ihm seine Werkstatt hatte. Selbst der Lumpensammler, der jeden Dienstag durch den Ort zog, wollte gegen den Natternkopf kämpfen. Ob sie Cosimo ebenso bereitwillig folgen würden, wenn ich ihn hässlich gemacht hätte?, dachte Fenoglio. Hässlich wie den Natternkopf mit seinem Schlachtergesicht. Nein, einem schönen Gesicht glaubte man so viel leichter die edlen Absich-ten - und deshalb hatte er klug daran getan, einen Engel auf den Thron zu setzen. Ja, sehr klug, überaus klug. Fenoglio ertappte sich dabei, dass er leise vor sich hin summte, während das Pferd ihn an den Wachen vorbeitrug. Ohne ein Wort ließen sie ihn passieren, den Dichter ihres Fürsten, den Mann, der ihre Welt in Worte fasste, der sie aus Worten erschaffen hatte. Ja, beugt eure Köpfe vor Fenoglio!

Auch die Wachen würden mit Cosimo ziehen, und die Soldaten oben auf der Burg, die Knechte, kaum so alt wie der Junge, der mit Staubfinger herumzog. Selbst Ivo, Minervas Sohn, wäre gegangen, wenn sie ihn gelassen hätte. Sie werden schon alle zurückkommen, dachte Fenoglio, während er auf die Ställe zuritt. Zumindest die meisten. Alles wird gut werden, ja, das wird es. Ach was, nicht nur gut. Vortrefflich!

Wütender Orpheus

Alle Wörter sind mit derselben Tinte geschrieben, »Fleur« (Blume) und »peur« (Furcht) sind fast gleich, Und ich kann »sang« (Blut) auf einer ganzen Seite schreiben, Von oben bis unten, es wird sie nicht beflecken,

Und mich auch nicht verletzen.

Philippe Jaccottet, Parlet

Elinor lag auf ihrer Luftmatratze und starrte die Decke an. Sie hatte wieder mit Orpheus gestritten. Obwohl sie wusste, dass die Strafe dafür der Keller war. Früh ins Bett, Elinor!, dachte sie bitter. So hat dich dein Vater früher auch bestraft, wenn er dich wieder einmal mit einem Buch erwischt hatte, das seiner Meinung nach nicht deinem Alter entsprach. Ja, früh ins Bett, manchmal schon um fünf Uhr nachmittags. Besonders im Sommer war das schlimm gewesen, wenn draußen die Vögel sangen und ihre Schwester unter dem Fenster herumtollte -ihre Schwester, die überhaupt nichts von Büchern hielt, aber nichts so sehr liebte, wie Elinor zu verpetzen, wenn sie statt mit ihr zu spielen den Kopf in ein Buch steckte, das der Vater ihr verboten hatte.

»Elinor, streite nicht mit Orpheus!« Wie oft hatte Darius ihr das eingeschärft, aber nein! Sie konnte sich nicht beherrschen! Wie auch, wenn sein elender Hund einige ihrer wertvollsten Bücher voll sabberte, weil sein Herr nichts davon hielt, sie zurück ins Regal zu stellen, nachdem er seinen Spaß mit ihnen gehabt hatte!

Seit neuestem zog er allerdings kein einziges mehr aus den Regalen, was wenigstens ein kleiner Trost war. »Er liest nur noch in Tintenherz!«, hatte Darius ihr zugeraunt, als sie oben in der Küche zusammen den Abwasch erledigten. Ihre Spülmaschine war kaputtgegangen. Als wäre es nicht schon genug, dass sie wie eine Küchenmagd in ihrem eigenen Haus arbeiten musste, jetzt quollen ihre Hände auch noch auf vom Abwasch! »Er scheint sich Wörter herauszusuchen«, hatte Darius ihr zugeraunt, »Wörter, die er neu zusammensetzt, er schreibt sie auf, schreibt und schreibt, der ganze Papierkorb ist schon voll. Er versucht es immer wieder, dann liest er laut, was er geschrieben hat, und wenn nichts passiert - «

»Dann was?«

»Nichts!«, hatte Darius ausweichend geantwortet und emsig an einer fettverkrusteten Pfanne herumgeschrubbt, aber Elinor wusste, dass »nichts« ihn nicht so verlegen und mundtot gemacht hätte.

»Was?«, hatte sie wiederholt - und Darius hatte es ihr schließlich mit rot angelaufenen Ohren erzählt: Orpheus warf ihre Bücher gegen die Wände, ihre wunderbaren Bücher! Er warf sie auf den Boden vor Wut, ja, ab und zu flog sogar eins aus dem Fenster, und das alles nur deshalb, weil ihm nicht gelang, was Meggie gelungen war: Tintenherz blieb verschlossen für ihn, sosehr er auch gurrte und flehte mit seiner samtenen Stimme und wieder und wieder die Sätze las, zwischen die er so sehnlichst zu schlüpfen wünschte.