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Wenn ich eins in meinem Leben gelernt habe, dann, dass man niemandem trauen kann. Den Schleierkauz natürlich ausgenommen!«

»Und was ist mit mir, Bella?«, fragte Staubfinger.

»Dir am allerwenigsten!«, antwortete sie nur - und blieb vor einer schlichten Holztür stehen. »Es ist wirklich schade, dass dein Gesicht so unverkennbar ist«, raunte sie Staubfinger zu. »Sonst hättest du den Kranken eine Vorstellung geben können. Nichts heilt besser als ein bisschen Freude.« Dann klopfte sie an die Tür und trat mit einem Nicken zur Seite.

Der Raum dahinter war dunkel, denn das einzige Fenster verschwand hinter Stapeln von Büchern. Es war ein Raum, wie Mo ihn geliebt hätte. Er mochte es, wenn Bücher so aussahen, als hätte sie jemand gerade erst aus der Hand gelegt. Ganz im Gegensatz zu Elinor fand er nichts dabei, wenn sie aufgeschlagen dalagen, wartend auf den nächsten Leser. Dem Schleierkauz schien es ebenso zu gehen. Er war kaum zu entdecken zwischen all den Stapeln - ein kleiner Mann mit kurzsichtigen Augen und breiten Händen. Wie ein Maulwurf kam er Meggie vor, nur dass sein Haar grau war.

»Hab ich es nicht gesagt?« Er stieß zwei Bücher von ihren Stapeln, als er auf Staubfinger zuhastete. »Er ist zurück, aber sie wollte es nicht glauben. Offenbar lassen die Weißen Frauen neuerdings immer mehr Tote ins Leben zurück!«

Die beiden Männer umarmten sich, dann trat der Schleierkauz einen Schritt zurück und nahm Staubfinger gründlich in Augenschein. Der Bader war schon ein alter Mann, älter als Fenoglio, aber seine Augen blickten so jung drein wie die von Farid. »Du siehst aus, als ginge es dir gut«, stellte er befriedigt fest. »Bis auf dein Bein. Was ist damit? Hast du dir das an der Mühle eingefangen? Gestern haben sie eine meiner Heilfrauen auf die Burg geholt, damit sie da oben zwei Männer versorgt, die das Feuer gebissen hat. Sie brachte eine seltsame Geschichte mit, über einen Hinterhalt und einen gehörnten Marder, der Feuer spuckt.«

Auf der Burg? Meggie machte unwillkürlich einen Schritt auf den Bader zu. »Hat sie auch die Gefangenen gesehen?«, fiel sie ihm ins Wort. »Sie müssen sie gerade erst dorthin gebracht haben, Spielleute, Männer und Frauen. Mein Vater und meine Mutter sind dabei.«

Der Schleierkauz blickte sie voll Mitgefühl an. »Bist du das Mädchen, von dem die Männer des Prinzen erzählt haben? Dein Vater - «

»- ist der Mann, den sie für den Eichelhäher halten«, vollendete Staubfinger den Satz. »Weißt du, wie es ihm und den anderen Gefangenen geht?«

Bevor der Schleierkauz antworten konnte, schob ein Mädchen den Kopf durch die Tür. Erschrocken starrte sie die Fremden an. An Meggie blieb ihr Blick so lange hängen, dass der Schleierkauz sich schließlich räusperte.

»Was gibt es, Carla?«, fragte er.

Das Mädchen biss sich nervös auf die blassen Lippen. »Ich soll fragen, ob wir noch Augentrost haben«, sagte sie mit eingeschüchterter Stimme.

»Sicher. Geh zu Bella, sie gibt dir welchen, doch jetzt lass uns allein.«

Das Mädchen verschwand mit einem hastigen Nicken, aber sie ließ die Tür offen stehen. Mit einem Seufzer verschloss der Schleierkauz sie und schob zusätzlich den Riegel vor. »Wo waren wir? Ach ja, die Gefangenen. Der Bader, der für die Kerker zuständig ist, kümmert sich um sie. Er ist ein furchtbarer Stümper, aber wer würde es auch sonst dort oben aushalten? Statt zu heilen begutachtet er Auspeitschungen und Prügelstrafen. Zu deinem Vater lassen sie ihn zum Glück nicht, und der Bader, der den Natternkopf versorgt, macht sich seine Finger nicht an einem Gefangenen schmutzig, also geht jeden Tag meine beste Heilerin auf die Burg, um nach ihm zu sehen.«

»Wie geht es meinem Vater?« Meggie versuchte, nicht wie ein kleines Mädchen zu klingen, das nur mühsam die Tränen zurückhielt, aber es gelang ihr nur halbwegs.

»Er hat eine schlimme Wunde, aber ich denke, das weißt du?«

Meggie nickte. Da waren sie wieder, die Tränen, liefen und liefen, als wollten sie ihr alles aus dem Herzen waschen, den Kummer, die Sehnsucht, die Angst. Farid schlang seinen Arm um ihre Schultern, aber er erinnerte sie damit nur noch mehr an Mo - an all die Jahre, die er sie beschützt und gehalten hatte. Und jetzt, wo es ihm schlecht ging, war sie nicht bei ihm.

»Er hat viel Blut verloren und ist noch schwach, aber es geht ihm recht gut, viel besser jedenfalls, als wir den Natternkopf glauben lassen.« Man hörte es dem Schleierkauz an, dass er oft mit Menschen reden musste, die Angst um jemanden hatten, den sie liebten. »Meine Heilerin hat ihm geraten, es niemand merken zu lassen, damit wir Zeit gewinnen. Also musst du dir im Moment wirklich keine Sorgen machen.«

Meggies Herz wurde leicht, so leicht. Es wird alles gut!, sagte etwas in ihr, zum ersten Mal, seit Staubfinger ihr Resas Zettel gegeben hatte. Alles wird gut. Verlegen wischte sie sich die Tränen vom Gesicht.

»Die Waffe, mit der dein Vater verwundet wurde - meine Heilerin sagt, es muss ein furchtbares Ding sein«, fuhr der Schleierkauz fort. »Hoffentlich ist es nicht irgendeine teuflische Erfindung, an der die Schmiede des Natternkopfes heimlich arbeiten!«

»Nein, diese Waffe stammte von einem ganz anderen Ort.« Von dort kommt nichts Gutes, sagte Staubfingers Gesicht, doch Meggie wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was eine Flinte in dieser Welt anrichten konnte. Ihre Gedanken waren bei Mo.

»Mein Vater«, sagte sie zum Schleierkauz, »würde dieses Zimmer sehr mögen. Er liebt Bücher, und die Euren sind wirklich wunderschön. Vermutlich würde er Euch allerdings sagen, dass einige neu gebunden werden müssen und dass das da nicht mehr lange lebt, wenn Ihr nicht bald etwas gegen die Käfer unternehmt, die an ihm fressen.«

Der Schleierkauz nahm das Buch in die Hand, auf das sie gezeigt hatte, und strich über die Seiten, auf dieselbe Weise, auf die Mo es auch immer tat. »Der Eichelhäher liebt Bücher?«, fragte er. »Ungewöhnlich für einen Räuber.«

»Er ist kein Räuber«, sagte Meggie. »Er ist ein Arzt wie Ihr, nur dass er keine Menschen heilt, sondern Bücher.«

»Tatsächlich? Dann ist es also wahr, dass der Natternkopf den Falschen gefangen hat? Vermutlich stimmt dann auch nicht, was man sich noch über deinen Vater erzählt - dass er Capricorn getötet hat?«

»O doch, das ist wahr.« Staubfinger blickte aus dem Fenster, als läge Capricorns Festplatz davor. »Und alles, was er dazu brauchte, war seine Stimme. Du solltest dir irgendwann mal von ihm oder seiner Tochter vorlesen lassen. Glaub mir, danach wirst du deine Bücher mit ganz anderen Augen betrachten. Vermutlich wirst du sie mit Schlössern versehen.«

»Tatsächlich?« Der Schleierkauz musterte Meggie so interessiert, als würde er gern mehr über Capricorns Tod erfahren, doch es klopfte erneut. Diesmal war es eine Männerstimme, die durch die verriegelte Tür drang. »Meister, kommt Ihr? Wir haben alles vorbereitet, aber es ist besser, wenn Ihr schneidet.«

Meggie sah, wie Farid blass wurde.

»Ich komme gleich!«, sagte der Schleierkauz. »Geh schon vor.«

»Ich hoffe, dass ich deinen Vater eines Tages in diesem Raum begrüßen kann«, sagte er zu Meggie, während er zur Tür ging. »Denn du hast Recht: Meine Bücher könnten wahrlich einen Arzt gebrauchen. Hat der Schwarze Prinz irgendeinen Plan, was die Gefangenen betrifft?« Fragend sah er Staubfinger an.

»Nein. Nein, ich glaube nicht. Hast du irgendetwas über die anderen Gefangenen gehört? Meggies Mutter ist unter ihnen.« Es gab Meggie einen Stich, dass nicht sie, sondern Staubfinger nach Resa fragte.

»Nein, über die anderen weiß ich nichts«, antwortete der Schleierkauz. »Aber nun müsst ihr mich entschuldigen. Bella hat euch sicherlich schon gesagt, dass ihr euch besser nur in diesem Teil des Hauses aufhaltet. Der Natternkopf gibt immer mehr von seinem Silber für Spitzel aus. Kein Ort ist vor ihnen sicher, nicht einmal dieser.«