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Am Leben.

Resa wandte den Kopf ab, damit Mortola das Lächeln nicht sah, das sich auf ihre Lippen stahl, aber die Elster sah ihr nicht ins Gesicht. Sie musterte voll Genuss das zerrissene Kleid, die blutigen, nackten Füße.

»Der Eichelhäher!« Mortola senkte die Stimme. »Natürlich habe ich den Natternkopf nicht darüber aufgeklärt, dass er den falschen Mann hinrichten wird, wozu sollte ich? Es kommt alles so, wie ich es wollte. Und deine Tochter bekomme ich auch noch.«

Meggie. Das Glücksgefühl, das Resa für einen Moment das Herz gewärmt hatte, verschwand ebenso abrupt, wie es gekommen war. Neben ihr setzte sich Mina auf, geweckt von Mortolas heiserer Stimme.

»Ja. Ich habe mächtige Freunde in dieser Welt«, fuhr die Elster mit selbstzufriedenem Lächeln fort. »Der Natternkopf hat deinen Mann für mich eingefangen, warum soll er nicht dasselbe auch mit deiner Hexentochter tun? Weißt du, wie ich ihn davon überzeugt habe, dass sie eine Hexe ist? Indem ich ihm ein Foto von ihr gezeigt habe. Ja, Resa, ich habe Basta die Fotos deiner Kleinen mitnehmen lassen, all die schönen silbergerahmten Fotos, die bei der Bücherfresserin herumstanden. Der Natternkopf hält sie natürlich für Zauberbilder, Spiegelbilder, auf Papier gebannt. Seine Soldaten haben Angst, sie anzufassen, aber sie müssen sie überall herumzeigen. Nur schade, dass wir sie nicht vervielfältigen können, wie es in deiner Welt möglich war! Aber deine Tochter hat sich ja glücklicherweise mit Staubfinger zusammengetan, und von dem braucht man kein Zauberbild. Jeder Bauer hat von ihm gehört, von ihm und seinen Narben.«

»Er wird sie beschützen!«, sagte Resa. Irgendetwas musste sie sagen.

»Ach ja? So wie er dich beschützt hat, damals, als dich die Schlange gebissen hat?«

Resa krallte die Finger in ihr schmutziges Kleid. Es gab niemanden, weder in dieser noch in der anderen Welt, den sie so sehr hasste wie die Elster. Nicht einmal Basta. Mortola hatte sie das Hassen erst gelehrt. »Hier ist alles anders«, brachte sie hervor. »Hier gehorcht ihm das Feuer, und er ist nicht allein, wie er es in der anderen Welt war. Er hat Freunde.«

»Freunde! Ach, du meinst wohl die anderen Gaukler, den Schwarzen Prinzen, wie er sich nennt, und all die anderen abgerissenen Gestalten!« Verächtlich musterte die Elster die übrigen Gefangenen. Fast alle waren aufgewacht. »Sieh sie dir an, Resa!«, sagte Mortola hämisch. »Wie sollen sie dir hier heraushelfen? Mit ein paar bunten Bällen oder ein paar rührseligen Liedern? Einer von ihnen hat euch verraten, wusstest du das? Und Staubfinger - was soll er tun? Soll er das Feuer loslassen, um dich zu retten? Es würde dich auch verbrennen, und das wird er doch sicherlich nicht riskieren, so verliebt, wie er immer in dich war.« Mit einem Lächeln beugte sie sich vor. »Hast du deinem Mann eigentlich je erzählt, was für gute Freunde ihr zwei wart?«

Resa antwortete ihr nicht. Sie kannte Mortolas Spiele. Sie kannte sie so gut.

»Nun, was meinst du? Soll ich es ihm erzählen?«, raunte Mortola ihr zu, lauernd wie die Katze vor dem Mauseloch.

»Sicher«, flüsterte Resa zurück. »Erzähl es ihm. Du kannst ihm nichts sagen, was er nicht schon weiß. Ich habe ihm die Jahre zurückgegeben, die ihr uns gestohlen habt, Wort für Wort, Tag für Tag. Mo weiß auch, dass dein eigener Sohn dich in seinem Keller hat wohnen lassen und alle Welt glauben ließ, du seist seine Haushälterin.«

Mortola versuchte sie zu schlagen, wie sie es so oft getan hatte, wie sie es bei all ihren Mägden getan hatte, ins Gesicht, mitten ins Gesicht, aber Resa wehrte ihre Hand ab.

»Er lebt, Mortola!«, flüsterte sie der Elster zu. »Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende, und sein Tod steht nirgendwo geschrieben, aber deinen wird meine Tochter dir ins Ohr flüstern für das, was du ihrem Vater angetan hast. Du wirst es sehen. Eines Tages. Und dann werde ich dir beim Sterben zusehen.«

Diesmal konnte sie Mortolas Hand nicht festhalten, und ihre Wange brannte noch lange, nachdem die Elster wieder fort war. Sie spürte die Blicke der anderen Gefangenen wie Finger auf ihrem Gesicht, als sie sich wieder auf den kalten Boden hockte. Mina war die Erste, die etwas sagte. »Woher kennst du die Alte? Das ist Capricorns Giftmischerin.«

»Ich weiß!«, antwortete Resa tonlos. »Ich gehörte ihr. Viele Jahre lang.«

Ein Brief von Fenoglio

Es gibt also eine Welt, deren unabhängiges Schicksal ich bestimme?

Eine Zeit, die ich mit Ketten von Zeichen binde? Eine Existenz, die beständig ist durch meine Verfügung?

Wislawa Szymborska, Freude am Schreiben

Staubfinger schlief, als Roxane kam. Draußen war es schon dunkel. Farid und Meggie waren an den Strand gegangen, aber er hatte sich hingelegt, weil sein Bein schmerzte. Als er Roxa-ne in der Tür stehen sah, dachte er zuerst, seine Phantasie würde ihm einen Streich spielen, wie sie es bei Nacht so gerne tat. Schließlich war er vor langer Zeit schon einmal mit ihr hier gewesen. Die Kammer damals hatte fast genauso ausgesehen, und er hatte auf genau so einem Strohsack gelegen, das Gesicht zerschnitten und verklebt vom eigenen Blut.

Roxane trug das Haar offen. Vielleicht brachte sie deshalb die Erinnerung zurück an jene andere Nacht. Sein Herz begann immer noch zu stolpern, wenn er nur daran dachte. Rasend vor Schmerz und Angst war er gewesen, hatte sich verkrochen wie ein verwundetes Tier, bis Roxane ihn gefunden und hierher gebracht hatte. Der Schleierkauz hatte ihn zuerst kaum erkannt. Er hatte ihm etwas eingeflößt, das ihn schlafen ließ, und als er wieder erwacht war, hatte Roxane in der Tür gestanden, genau wie sie es jetzt tat. In den Wald war sie mit ihm gegangen, als die Schnitte trotz der Kunst des Baders nicht hatten heilen wollen, tiefer und tiefer hinein zu den Feen - und war bei ihm geblieben, bis sein Gesicht so weit verheilt war, dass er sich wieder unter Menschen traute. Es gab wohl nicht viele Männer, denen man die Liebe zu einer Frau mit einem Messer ins Gesicht geschrieben hatte.

Aber wie begrüßte er sie, als sie plötzlich dastand?

»Was machst du hier?«, fragte er. Die Zunge hätte er sich abbeißen können. Warum sagte er nicht, dass er sie vermisst hatte, so sehr, dass er ein Dutzend Mal fast umgekehrt wäre?

»Ja, was mache ich hier?«, fragte Roxane zurück. Früher hätte sie ihm für die Frage den Rücken zugekehrt, aber nun lächelte sie nur, so spöttisch, dass er verlegen wie ein Junge wurde.

»Wo hast du Jehan gelassen?«

»Bei einer Freundin.« Sie küsste ihn. »Was ist mit deinem Bein? Fenoglio hat mir schon gesagt, dass du verwundet bist.«

»Es wird schon besser. Was hast du mit Fenoglio zu schaffen?«

»Du magst ihn nicht. Warum?« Roxane strich ihm übers Gesicht.

Wie schön sie aussah. So schön.

»Sagen wir, er hatte Pläne für mich, die ich gar nicht mochte. Hat der Alte dir zufällig etwas für Meggie mitgegeben? Einen Brief vielleicht?«

Wortlos zog sie ihn unter dem Umhang hervor. Da waren sie, die Worte - Worte, die Wahrheit werden wollten. Roxane hielt ihm das versiegelte Pergament hin, aber Staubfinger schüttelte den Kopf. »Den gibst du besser Meggie«, sagte er. »Sie ist am Strand.«

Verwundert sah Roxane ihn an. »Du siehst fast so aus, als hättest du Angst vor einem Stück Pergament.«

»Ja«, sagte Staubfinger und griff nach ihrer Hand. »Ja, das habe ich wohl. Vor allem, wenn Fenoglio es beschrieben hat. Komm, lass uns Meggie suchen.«

Meggie schenkte Roxane ein verlegenes Lächeln, als sie ihr den Brief reichte, und sah für einen Moment neugierig von ihr zu Staubfinger, doch dann hatte sie nur noch Augen für Fenoglios Brief. Sie brach das Siegel so hastig, dass sie das Pergament fast einriss. Es waren drei Bögen, dicht beschrieben.