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Farid blickte immer noch zu dem Mädchen hinüber. »Und Meggie? Willst du sie auch nicht sehen?« Seine Stimme klang belegt vor Enttäuschung. »Sie hat nach dir gefragt.«

»Grüß sie von mir. Sie wird schon verstehen. Nun geh schon! Ich seh es dir doch an, du bist immer noch verliebt in sie. Wie hast du damals ihre Augen beschrieben? Kleine Stücke vom Himmel?«

Farid wurde scharlachrot. »Lass das!«, sagte er ärgerlich.

Aber Staubfinger nahm ihn bei den Schultern und drehte ihn um. »Geh!«, sagte er. »Geh und grüß sie von mir. Aber richte ihr aus, dass sie sich unterstehen soll, meinen Namen in ihren zauberkräftigen Mund zu nehmen, verstanden?«

Farid warf dem Bären einen letzten Blick zu, nickte - und schlenderte zurück zu dem Mädchen, betont langsam, als wollte er beweisen, dass er es nicht allzu eilig hatte, zu ihr zurückzukommen. Auch sie gab sich alle Mühe, nicht allzu oft in seine Richtung zu sehen, während sie verlegen an den Ärmeln ihres Kleides zupfte. Sie sah aus, als gehörte sie hierher - eine Magd aus nicht sonderlich reichem Hause, die Tochter eines Bauern oder Handwerkers vielleicht. Nun, ihr Vater war ein Handwerker, oder? Wenn auch einer mit besonderen Talenten. Vielleicht blickte sie etwas zu unbefangen drein. Mädchen taten das hier gewöhnlich nicht, sie hielten den Kopf gesenkt -und manchmal waren sie in ihrem Alter schon verheiratet. Ob seine Tochter schon an so etwas dachte? Roxane hatte nichts erzählt.

»Der Junge ist gut. Er ist schon jetzt besser als der Rußvogel.« Der Prinz streckte die Hand nach dem Marder aus - und zog sie zurück, als Schleicher die winzigen Zähne bleckte.

»Das ist keine Kunst.« Staubfinger ließ den Blick zu Fenoglio wandern. Tintenweber, so nannten sie ihn also. Wie zufrieden er aussah, der Mann, der seinen Tod niedergeschrieben hatte. Ein Messer in den Rücken, so tief hinein, dass es sein Herz fand, das hatte er für ihn vorgesehen gehabt. Staubfinger griff sich unwillkürlich zwischen die Schulterblätter. Ja. Irgendwann hatte er sie schließlich doch gelesen, Fenoglios tödliche Worte, eines Nachts, in der anderen Welt, als er wieder mal wach gelegen und vergebens versucht hatte, sich Ro-xanes Gesicht ins Gedächtnis zu rufen. Du kannst nicht zurück! Immer wieder hatte er Meggies Stimme die Worte sagen hören. Es ist irgendeiner von Capricorns Männern, irgendeiner, der schon auf dich wartet. Sie wollen Gwin töten, und du willst ihm helfen und dafür töten sie dich. Mit bebenden Fingern hatte er das Buch aus seinem Rucksack gezerrt, hatte es aufgeschlagen und auf den Seiten nach seinem Tod gesucht. Und gelesen, wieder und wieder, was dort schwarz auf weiß stand. Danach hatte er beschlossen, Gwin zurückzulassen, falls er je zurückkehren sollte. Staubfinger strich Schleicher über den buschigen Schwanz. Nein, vermutlich war es wirklich nicht klug gewesen, sich wieder einen Marder zu fangen.

»Was ist los? Du machst ja plötzlich ein Gesicht, als hätte dir der Henker zugewunken.« Der Prinz legte ihm den Arm um die Schultern, während sein Bär neugierig an Staubfingers Rucksack schnupperte. »Der Junge hat dir bestimmt erzählt, dass wir ihn im Wald aufgelesen haben, oder? Er war furchtbar aufgeregt, hat behauptet, er sei hier, um dich zu warnen. Als er sagte, vor wem, legte so mancher meiner Männer die Hand ans Messer.«

Basta. Staubfinger fuhr mit dem Finger über seine narbige Wange. »Ja, vermutlich ist auch der zurück.«

»Mitsamt seinem Herrn?«

»Nein. Capricorn ist tot. Ich hab ihn sterben sehen.«

Der Schwarze Prinz griff seinem Bären ins Maul und kraulte ihm die Zunge. »Das ist eine gute Nachricht. Es gäbe auch nicht viel, zu dem er zurückkehren könnte, nur ein paar niedergebrannte Mauern. Die Einzige, die sich dort manchmal herumtreibt, ist die Nessel. Sie schwört, man findet nirgendwo bessere Schafgarbe als in der alten Brandstifter-Festung.«

Staubfinger sah, wie Fenoglio in seine Richtung blickte. Auch Meggie schaute herüber. Rasch kehrte er ihnen den Rücken zu.

»Wir haben jetzt ein Lager dort in der Nähe, du weißt schon, bei den alten Koboldhöhlen«, fuhr der Prinz mit gesenkter Stimme fort. »Seit Cosimo die Brandstifter ausgeräuchert hat, sind die Höhlen wieder ein gutes Quartier. Nur Spielleute wissen davon. Alte, Gebrechliche, Krüppel, Frauen, die es leid sind, mit ihren Kindern auf der Straße zu leben - sie können dort alle eine Weile ausruhen. Weißt du was? Das Geheime Lager wäre ein guter Ort, um mir deine Geschichte zu erzählen! Die, die so schwer zu glauben ist. Ich bin oft wegen des Bären dort, er wird griesgrämig, wenn er allzu lange zwischen festen Mauern ist. Roxane kann dir den Weg erklären, sie kennt sich im Wald inzwischen fast ebenso gut aus wie du.«

»Ich kenne die alten Koboldhöhlen«, sagte Staubfinger. Er hatte sich dort so manches Mal vor Capricorns Männern versteckt. Aber er war nicht sicher, dass er dem Prinzen wirklich von den letzten zehn Jahren erzählen wollte.

»Sechs Fackeln!« Farid stand wieder neben ihm. Er rieb sich an den Hosen den Ruß von den Fingern. »Mit sechs Fackeln hab ich jongliert und nicht eine fallen lassen. Ich glaub, es hat ihr gefallen.«

Staubfinger verkniff sich ein Lächeln. »Vermutlich.« Zwei Gaukler hatten den Prinzen zur Seite gezogen. Staubfinger war nicht sicher, ob er sie kannte, und kehrte ihnen vorsichtshalber den Rücken zu.

»Weißt du, dass alle von dir reden?« Farids Augen waren rund wie Münzen vor Aufregung. »Alle sagen, dass du zurück bist. Und ich glaub, ein paar haben dich schon erkannt.«

»Ach ja?« Staubfinger blickte sich unbehaglich um. Seine Tochter stand immer noch hinter dem Sessel des kleinen Prinzen. Er hatte Farid nichts von ihr erzählt. Es reichte, dass er eifersüchtig auf Roxane war.

»Sie sagen, dass es nie einen Feuerspucker wie dich gab! Der andere da drüben, Rußvogel nennen sie ihn«, Farid schob Schleicher ein Stück Brot ins Maul, »hat mich nach dir gefragt, aber ich wusste nicht, ob du ihn treffen willst. Er sagt, er kennt dich. Stimmt das?«

»Ja, aber treffen will ich ihn trotzdem nicht.« Staubfinger drehte sich um. Der Seiltänzer war doch noch von seinem Seil heruntergestiegen, Wolkentänzer sprach mit ihm und zeigte in seine Richtung. Es wurde Zeit zu verschwinden. Er wollte sie alle gern wiedersehen, aber nicht heute, nicht hier.

»Ich hab genug«, sagte er zu Farid. »Bleib du hier und verdien uns noch ein paar Münzen. Ich bin bei Roxane, wenn du mich suchst.«

Auf der Tribüne hielt die Hässliche ihrem Sohn einen goldbestickten Beutel hin. Der Kleine griff mit seiner runden Hand hinein und warf den Gauklern ein paar Münzen zu. Hastig bückten sie sich und klaubten sie aus dem Staub. Staubfinger aber warf dem Schwarzen Prinzen einen letzten Blick zu und machte sich davon.

Was Roxane wohl sagen würde, wenn sie hörte, dass er nicht ein einziges Wort mit seiner Tochter gewechselt hatte!

Er kannte die Antwort. Lachen würde sie. Sie wusste nur zu gut, was für ein Feigling er manchmal war.

Kalt und weiß

Ich bin wie ein Goldschmied, der hämmert,

Tag und Nacht Nur so kann ich den Schmerz verwandeln In ein goldenes Ornament, zart wie der Flügel einer Zikade.

Xi Murong, Poetry’s Value

Da waren sie wieder. Mo spürte sie näher kommen, sah sie auch mit geschlossenen Augen - Weiße Frauen, die Gesichter so bleich, der Blick farblos und kalt. Das war alles, woraus die Welt noch bestand, weiße Schatten im Dunkel und der Schmerz in seiner Brust, roter Schmerz. Jeder Atemzug brachte ihn zurück. Atmen. War es nicht irgendwann ganz leicht gewesen? Nun fiel es schwer, so schwer, als hätten sie ihn schon begraben, hätten ihm Erde auf die Brust gehäuft, auf den Schmerz, der brannte und klopfte. Er konnte sich nicht bewegen. Sein Körper war nutzlos, ein Gefängnis, das brannte. Er wollte die Augen öffnen, doch seine Lider wogen so schwer, als wären sie aus Stein. Alles war verloren. Nur Worte waren geblieben: Schmerz, Angst, Tod. Weiße Worte. Ohne Farbe, ohne Leben. Nur der Schmerz war rot.