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Eins der Kinder weinte im Schlaf. Seine Mutter strich ihm tröstend übers Haar - und Resa musste an Meggie denken. War sie allein oder war der Junge noch bei ihr? War sie glücklich, traurig, krank, gesund? Wie oft hatte sie sich diese Fragen schon gestellt, als hoffte sie, irgendwann von irgendwoher eine Antwort zu erhalten.

Eine Frau brachte ihr frisches Wasser. Dankbar lächelte sie ihr zu - und fragte sie nach Wolkentänzer. »Der schläft lieber unter freiem Himmel«, sagte sie und wies nach draußen. Resa hatte lange keine Weiße Frau mehr gesehen, doch trotzdem weckte sie eine der Frauen, die ihr angeboten hatten, sie in der Nacht abzulösen. Dann stieg sie über die Schlafenden und ging nach draußen.

Der Mond schien heller als jede Fackel durch das dichte Blätterdach. Ein paar Männer saßen um ein Feuer herum. Zögernd ging Resa auf sie zu, in dem Kleid, das so gar nicht hierher passte, das selbst für eine Spielfrau zu hoch über den Knöcheln endete und dazu noch zerrissen war.

Die Männer starrten sie an, misstrauisch und neugierig zugleich.

»Ist einer von euch Wolkentänzer?«

Ein kleiner, hagerer Mann, zahnlos und vermutlich nicht halb so alt, wie er aussah, stieß dem Spielmann, der neben ihm saß, den Ellbogen in die Seite.

»Wozu fragst du?« Das Gesicht war freundlich, aber der Blick wachsam.

»Die Nessel sagt, dass er vielleicht eine Nachricht für mich überbringen würde.«

»Eine Nachricht? An wen?« Er streckte sein linkes Bein aus, rieb sich das Knie, als ob es ihn schmerzte.

»Er ist ein Feuerspucker. Staubfinger ist sein Name. Sein Gesicht.«

Wolkentänzer fuhr sich mit dem Finger über die Wange. ». drei Narben, ich weiß. Was willst du von ihm?«

»Ich möchte, dass du ihm das hier bringst!« Resa kniete sich neben das Feuer und griff in die Tasche ihres Kleides. Etwas Papier und einen Bleistift hatte sie immer dabei, jahrelang hatten sie ihr die Zunge ersetzt. Nun war ihre Stimme zurück, doch für die Nachricht an Staubfinger war eine hölzerne Zunge nützlicher. Mit bebenden Fingern begann sie zu schreiben, ohne die misstrauischen Augen zu beachten, die ihrer Hand folgten, als täte sie etwas Verbotenes.

»Sie kann schreiben«, stellte der Zahnlose fest. Die Missbilligung in seiner Stimme war unüberhörbar. Es war lange, sehr lange her, dass Resa in Orten jenseits des Waldes auf den Märkten gesessen hatte, in Männerkleidern, das Haar kurz geschoren, weil sie keine andere Art gewusst hatte, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen als durchs Schreiben - ein Handwerk, das Frauen verboten war in dieser Welt. Sklaverei war die Strafe, und eine Sklavin hatte es aus ihr gemacht, Mortolas Sklavin. Denn sie war es gewesen, die ihre Verkleidung entdeckt und sie zum Lohn hatte mitnehmen dürfen, mit auf Capricorns Festung.

»Staubfinger wird das nicht lesen können«, stellte Wolkentänzer mit ruhiger Stimme fest.

»Doch, das wird er. Ich hab es ihm beigebracht.«

Wie ungläubig sie sie anblickten. Buchstaben. Rätselhafte Dinger, Werkzeuge der Reichen, nicht gedacht für Gaukler und bestimmt nicht für Frauen.

Nur Wolkentänzer lächelte. »Nun sieh einer an. Staubfinger kann lesen«, sagte er leise. »Gut, aber ich kann es nicht. Also sag mir besser, was du geschrieben hast, damit ich ihm die Worte auch noch überbringen kann, falls dein Zettel verloren geht. Mit geschriebenen Worten geschieht das leicht, viel leichter als mit denen, die man im Kopf hat.«

Resa blickte Wolkentänzer ins Gesicht. Du traust den Leuten viel zu schnell... Wie oft hatte Staubfinger ihr das gesagt, aber welche Wahl hatte sie? Mit leiser Stimme wiederholte sie, was sie geschrieben hatte: »Lieber Staubfinger, ich bin mit Mo im Lager der Spielleute, tief im Weglosen Wald. Mortola und Basta haben uns hergebracht und Mortola - «, die Stimme versagte ihr, als sie es aussprach, »- Mortola hat auf Mo geschossen. Meggie ist auch hier, ich weiß nicht, wo, aber bitte, such sie und bring sie zu mir! Beschütze sie, so wie du es bei mir versucht hast. Aber hüte dich vor Bastal Resa.«

»Mortola? War das nicht der Name der Alten, die bei den Brandstiftern hauste?« Dem Spielmann, der das fragte, fehlte die rechte Hand. Ein Dieb - für ein Brot verlor man die linke, für ein Stück Fleisch die rechte.

»Ja, man sagt, sie hat mehr Männer vergiftet, als der Natternkopf Haare auf dem Kopf hat!« Wolkentänzer stieß ein Stück Holz zurück ins Feuer. »Und Basta hat Staubfinger damals das Gesicht aufgeschlitzt. Die beiden Namen wird er nicht gern hören.«

»Aber Basta ist tot!«, warf der zahnlose Spielmann ein. »Und von der Alten haben sie dasselbe gesagt!«

»Das erzählen sie den Kindern«, sagte einer, der Resa den

Rücken zukehrte, »damit sie besser einschlafen. So eine wie Mortola stirbt nicht. Die lässt nur sterben.«

Sie werden mir nicht helfen!, dachte Resa. Nicht, nachdem sie die beiden Namen gehört haben. Der Einzige, der sie halbwegs freundlich ansah, war ein Mann, der das Schwarz und Rot der Feuerspucker trug. Wolkentänzer aber musterte sie immer noch, als wüsste er nicht, was er von ihr halten sollte, von ihr und ihrer Botschaft. Doch schließlich zog er ihr den Zettel wortlos aus den Fingern und schob ihn in den Beutel, den er am Gürtel trug. »Also gut, ich werd Staubfinger deine Nachricht ausrichten«, sagte er, »ich weiß, wo er ist.«

Er half ihr. Resa konnte es kaum glauben.

»Ich danke dir.« Schwankend vor Müdigkeit richtete sie sich wieder auf. »Was denkst du, wann er die Nachricht bekommt?«

Wolkentänzer strich sich übers Knie. »Erst muss es meinem Bein besser gehen.«

»Sicher.« Resa schluckte die Worte hinunter, die um Eile betteln wollten. Nur nicht drängen, sonst überlegte er es sich womöglich anders, und wer dann würde Staubfinger für sie suchen. Ein Stück Holz zerbarst in den Flammen und spuckte ihr glühende Funken vor die Füße. »Ich habe nichts, um dich zu bezahlen«, sagte sie, »aber vielleicht nimmst du das hier.« Sie zog sich den Ehering vom Finger und hielt ihn Wolkentänzer hin. Der Zahnlose betrachtete den goldenen Ring so begehrlich, als würde er zu gern selbst die Hand danach ausstrecken, aber Wolkentänzer schüttelte den Kopf.

»Nein, vergiss es«, sagte er. »Dein Mann ist krank, da bringt es Unglück, den Ehering wegzugeben, oder?«

Unglück. Resa schob den Ring hastig zurück auf den Finger. »Ja«, murmelte sie. »Ja, du hast Recht. Ich danke dir. Ich danke dir wirklich sehr!«

Sie wandte sich um.

»He, du!« Der Spielmann, der ihr den Rücken zugekehrt hatte, sah sie an. Er hatte bloß zwei Finger an der rechten Hand. »Dein Mann. er hat dunkles Haar. Dunkel wie das

Fell eines Maulwurfs. Und er ist groß, sehr groß.«

Verwirrt blickte Resa ihn an. »Ja?«

»Und dann die Narbe. Genau dort, wo die Lieder es sagen. Ich hab sie gesehen. Jeder weiß, wie er sie bekommen hat: Die Hunde vom Natternkopf haben ihn dort gebissen, als er bei der Nachtburg gewildert und einen von den Hirschen erlegt hat, den weißen Hirschen, die nur der Natternkopf selbst töten darf.«

Wovon redete er? Die Worte der Nessel fielen Resa ein: Und wenn du klug bist, lässt du nicht allzu viele die Narbe an seinem Arm sehen.

Der Zahnlose lachte. »Hört euch den Zweifinger an. Er glaubt, dass der Eichelhäher dort in der Höhle liegt. Seit wann glaubst du an Kindermärchen? Hatte er etwa auch seine Federmaske dabei?«