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»Woher soll ich das wissen?«, fuhr der Zweifinger ihn an. »Hab ich ihn hergebracht? Aber ich sag euch, er ist es!«

Resa spürte, wie der Feuerspucker sie nachdenklich musterte. »Ich weiß nicht, wovon ihr redet«, sagte sie. »Ich kenne keinen Eichelhäher.«

»Ach ja?« Der Zweifinger griff nach der Laute, die neben ihm im Gras lag. Resa hatte das Lied noch nie gehört, das er mit leiser Stimme sang:

Aus dunklem Wald kommt Hoffnung hell, die Fürsten tut’s verbittern.

Sein Haar ist schwarz wie Maulwurfsfell, er lässt die Mächt’gen zittern.

Verbirgt mit Federn sein Gesicht, stiehlt sie dem Eichelhäher, stellt Mörder endlich vor Gericht.

Narrt jeden Fürstenspäher.

Er jagt ihr Wild, er stiehlt ihr Gold, doch wenn sie ihn verfluchen, verschwindet er, ein Schatten nur,

den sie vergebens suchen.

Wie sie sie alle ansahen. Resa tat einen Schritt zurück.

»Ich muss wieder zu meinem Mann«, sagte sie. »Dieses Lied. es hat nichts mit ihm zu tun, glaubt mir.«

Sie spürte ihre Blicke im Rücken, als sie wieder auf die Höhle zuging. Vergiss sie, Resa!, dachte sie. Staubfinger wird deine Nachricht bekommen, das ist alles, was zählt.

Die Frau, die ihren Platz eingenommen hatte, erhob sich wortlos und legte sich wieder zu den anderen. Resa war so erschöpft, dass sie taumelte, als sie sich auf den laubbedeckten Boden kniete. Erneut kamen die Tränen. Sie wischte sie mit dem Ärmel fort, verbarg das Gesicht in dem Stoff, der so vertraut roch. nach Elinors Haus. nach dem alten Sofa, auf dem sie mit Meggie gesessen und ihr von dieser Welt erzählt hatte. Sie begann zu schluchzen, so laut, dass sie fürchtete, einen der Schlafenden geweckt zu haben. Erschrocken presste sie die Hand auf den Mund.

»Resa?« Es war kaum mehr als ein Flüstern.

Sie hob den Kopf. Mo sah sie an. Er sah sie an.

»Ich hab deine Stimme gehört«, flüsterte er.

Sie wusste nicht, was sie zuerst tun sollte, lachen oder weinen. Sie beugte sich über ihn, bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Und tat beides.

Fenoglios Plan

Ich brauche nichts als ein Stück Papier und ein Schreibwerkzeug, und ich werde die Welt aus den Angeln heben.

Friedrich Nietzsche

Zwei Tage waren seit dem Fest auf der Burg vergangen, zwei Tage, in denen Fenoglio Meggie jeden Winkel von Ombra gezeigt hatte. »Aber heute«, sagte er, bevor sie sich nach dem Frühstück bei Minerva wieder einmal auf den Weg machten, »heute zeig ich dir den Fluss. Es ist ein steiler Abstieg, etwas unangenehm für meine alten Knochen, aber nirgends kann man ungestörter reden. Außerdem kannst du dort, wenn wir Glück haben, ein paar Nixen sehen.«

Meggie hätte gern eine Nixe gesehen. Im Weglosen Wald hatte sie nur eine einzige in einem trüben Tümpel entdeckt, und sobald Meggies Spiegelbild auf das Wasser gefallen war, war sie davongehuscht. Doch worüber wollte Fenoglio in Ruhe reden? Die Antwort war nicht schwer.

Was sollte sie diesmal herbeilesen? Wen sollte sie herbeilesen - und woher? Aus einer anderen Geschichte, die Fenoglio auch geschrieben hatte? Der Weg, den er sie hinabführte, wand sich an steil abfallenden Feldern entlang, auf denen die Bauern gebückt in der Morgensonne arbeiteten. Wie mühsam es sein musste, der steinigen Erde genug abzuringen, um damit den Winter zu überstehen. Und dann all die heimlichen Mitesser, die sich über die wenigen Vorräte hermachten: Mäuse, Mehlwürmer, Maden und Asseln. Das Leben war so viel schwieriger in Fenoglios Welt, und doch schien es Meggie, als spinne seine Geschichte mit jedem anbrechenden Tag einen

Zauber um ihr Herz, klebrig wie Spinnenfäden und gleichzeitig betörend schön.

Alles um sie her schien inzwischen so wirklich. Ihr Heimweh war fast verschwunden.

»Komm!« Fenoglios Stimme schreckte sie aus ihren Gedanken. Vor ihnen lag der Fluss, schimmernd in der Sonne, die Ufer gesäumt von welken Blüten, die auf dem Wasser trieben. Fenoglio griff nach ihrer Hand und zog sie zwischen die großen Steine am Ufer. Hoffnungsvoll beugte Meggie sich über das träge dahinfließende Wasser, doch es war keine Nixe zu entdecken.

»Tja, sie sind scheu. Zu viele Menschen!« Fenoglio wies missbilligend auf die Frauen, die nur wenige Schritte entfernt ihre Wäsche wuschen. Er winkte Meggie weiter, bis die Stimmen verklangen und nur noch das Rauschen des Wassers zu hören war. Hinter ihnen ragten die Dächer und Türme von Ombra in den blassblauen Himmel. Die Häuser drängten sich zwischen den Mauern wie Vögel in einem zu engen Nest, und darüber flatterten die schwarzen Banner der Burg, als wollten sie den Kummer des Speckfürsten in den Himmel schreiben.

Meggie kletterte auf einen flachen Stein, der weit ins Wasser hineinragte. Der Fluss war nicht breit, doch er schien tief zu sein, das Wasser war dunkler als die Schatten am gegenüberliegenden Ufer.

»Siehst du eine?« Fenoglio rutschte fast aus auf dem feuchten Stein, als er neben sie trat. Meggie schüttelte den Kopf. »Was ist mit dir?« Fenoglio kannte sie gut nach all den Tagen und Nächten, die sie gemeinsam in Capricorns Haus verbracht hatten. »Hast du etwa wieder Heimweh?«

»Nein, nein.« Meggie kniete sich hin und fuhr mit den Fingern durch das kalte Wasser. »Ich hatte nur wieder diesen Traum.«

Am Tag zuvor hatte Fenoglio ihr die Gasse der Bäcker gezeigt, die Häuser, in denen die reichen Gewürz- und Tuchhändler wohnten, und jede Fratze, jede Blume, jeden reich verzierten Fries, mit dem die kunstfertigen Steinmetze von Ombra die Häuser der Stadt geschmückt hatten. Fenoglio schien das alles für sein ureigenes Werk zu halten, dem Stolz nach zu urteilen, mit dem er Meggie an jeden noch so verborgenen Winkel der Stadt führte - »nun ja, nicht jeden«, hatte er eingestanden, als sie ihn einmal in eine Gasse hatte ziehen wollen, die sie noch nicht gesehen hatten. »Natürlich hat auch Ombra seine hässlichen Seiten, aber wozu soll dein hübscher Kopf sich damit belasten?«

Es war schon dunkel gewesen, als sie in die Kammer unter Minervas Dach zurückgekehrt waren, und Fenoglio hatte sich mit Rosenquarz gestritten, weil der Glasmann die Feen mit Tinte bespritzt hatte. Meggie war trotzdem eingenickt, obwohl die Stimmen der beiden immer lauter geworden waren, auf dem Strohsack unter dem Fenster, den Minerva für sie die steile Treppe hatte hinaufschaffen lassen - und plötzlich war da dieses Rot gewesen, ein stumpfes, feucht schimmerndes Rot, und ihr Herz hatte begonnen, schneller und schneller zu schlagen, immer schneller, bis das heftige Klopfen sie hatte aus dem Schlaf fahren lassen.

»Da, sieh doch!« Fenoglio fasste nach ihrem Arm.

Bunte Schuppen schillerten unter der feuchten Haut des Flusses. Im ersten Augenblick hätte Meggie sie fast für Blätter gehalten, doch dann sah sie die Augen, Augen, die sie anblickten, menschenähnlich und doch so anders, denn es gab kein Weiß in ihnen. Die Arme der Nixe wirkten zart und zerbrechlich, fast durchscheinend. Noch ein Blick, dann schlug der geschuppte Schwanz das Wasser, und nichts war mehr zu sehen, nur ein Schwarm Fische, der vorbeiglitt, silbrig wie Schneckenschleim, und eine Schar Feuerelfen, wie sie sie mit Farid im Wald gesehen hatte. Farid. er hatte eine Feuerblume vor ihren Füßen blühen lassen, nur für sie. Staubfinger hatte ihm wirklich viel beigebracht, wunderbare Dinge.

»Ich glaub, es ist immer derselbe Traum, aber ich kann mich nicht erinnern. Nur an die Angst. als wäre etwas Schreckliches passiert!« Sie wandte sich zu Fenoglio um. »Glaubst du, es gibt so etwas?«