Выбрать главу

»Meggie, glaub mir«, sagte Fenoglio. »Du würdest etwas wahrhaft Gutes tun. Du würdest einem Vater seinen Sohn zurückgeben, einer Frau ihren Mann, einem Kind seinen Vater

- gut, es ist kein sonderlich nettes Kind, aber trotzdem! Und du würdest helfen, die Pläne des Natternkopfes zu durchkreuzen. Wenn das nicht ehrenhaft ist! Bitte, Meggie!« Fast flehend sah er sie an. »Hilf mir. Es ist doch meine Geschichte! Glaub mir, ich weiß, was das Beste für sie ist! Leih mir deine Stimme, nur noch ein Mal!«

Leih mir deine Stimme. Meggie blickte immer noch hinauf zur Burg, aber sie sah nicht länger die Türme und die schwarzen Banner, sondern den Schatten und Capricorn, wie er tot im Staub gelegen hatte.

»Gut, ich denk darüber nach«, sagte sie. »Aber jetzt wartet Farid auf mich.«

Fenoglio blickte sie so verblüfft an, als wären ihr aus heiterem Himmel Flügel gewachsen. »So, tut er das?« Die Missbilligung in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Aber ich wollte mit dir zur Burg, um der Hässlichen den Stein zu bringen. Ich wollte, dass du hörst, was sie über Cosimo erzählt.«

»Ich hab es ihm versprochen!« Sie hatten sich vor dem Stadttor verabredet, damit Farid nicht an den Wachen vorbeimusste.

»Versprochen? Na, und? Du wärst nicht das erste Mädchen, das einen Verehrer warten lässt.«

»Er ist nicht mein Verehrer!«

»Umso besser! Da dein Vater nicht hier ist, muss ich schließlich auf dich aufpassen!« Fenoglio musterte sie mit mürrischer Miene. »Du bist wirklich groß geworden! Die Mädchen hier heiraten, wenn sie in deinem Alter sind. Ja, sieh mich nicht so an! Minervas Zweitälteste Tochter ist seit fünf Monaten verheiratet, und sie ist gerade vierzehn geworden. Wie alt ist dieser Junge? Fünfzehn? Sechzehn?«

Meggie antwortete ihm nicht. Sie wandte ihm einfach den Rücken zu.

Violante

Schon am nächsten Tag begann meine Großmutter, mir Geschichten zu erzählen.

Das tat sie wahrscheinlich, um uns beide aus unserer großen Traurigkeit zu holen.

Roald Dahl, Hexen hexen

Fenoglio überredete Farid einfach, mit ihnen auf die Burg zu kommen. »Na, das passt doch bestens!«, flüsterte er Meggie zu. »Er kann dieses verzogene Balg von einem Fürstensohn unterhalten, damit wir Gelegenheit haben, Violante in aller Ruhe zum Plaudern zu bringen.«

Der Äußere Burghof lag an diesem Morgen wie ausgestorben da. Nur ein paar vertrocknete Zweige und zertretene Kuchen erinnerten noch an das Fest, das hier stattgefunden hatte. Knechte, Schmiede, Stallknechte, sie alle gingen längst wieder ihrer Arbeit nach, aber eine drückende Stille schien zwischen den Mauern zu hängen. Die Wachen ließen sie wortlos passieren, als sie Fenoglio erkannten, und unter den Bäumen des Inneren Hofes kam ihnen eine Gruppe Männer in grauen Gewändern entgegen. »Bader!«, murmelte Fenoglio, während er ihnen besorgt nachsah. »Und mehr als genug, um ein Dutzend Männer totzukurieren. Das kann nichts Gutes bedeuten.«

Der Diener, den Fenoglio vor dem Thronsaal abfing, sah blass und übernächtigt aus. Der Speckfürst, raunte er Fenoglio zu, habe sich schon während des Festes für seinen Enkel zu Bett begeben und sei seither nicht wieder aufgestanden. Er esse und trinke nicht mehr, und zu dem Steinmetz, der an seinem Sarkophag meißele, habe er einen Boten geschickt, um ihn zur Eile zu mahnen.

Zu Violante ließ man sie trotzdem. Der Speckfürst wollte weder seine Schwiegertochter noch seinen Enkel sehen. Selbst die Bader hatte er fortgeschickt. Nur Tullio, seinen pelzgesich-tigen Pagen, duldete er in seiner Nähe.

»Sie ist wieder dort, wo sie nicht sein darf!« Der Diener flüsterte, als könnte der kranke Fürst ihn in seinen Gemächern hören, während er sie durch die Burg führte. In jedem Korridor blickte ein Abbild Cosimos auf sie herab. Seit Meggie von Fenoglios Plänen wusste, beunruhigten die steinernen Augen sie noch mehr. »Die Figuren haben ja alle dasselbe Gesicht!«, flüsterte Farid ihr zu, doch bevor Meggie erklären konnte, warum das so war, winkte der Diener sie wortlos eine Wendeltreppe hinauf.

»Lässt Balbulus sich immer noch so gut dafür bezahlen, dass er Violante in die Bibliothek lässt?«, fragte Fenoglio mit leiser Stimme, als ihr Führer vor einer mit Messingbuchstaben beschlagenen Tür stehen blieb.

»Die Ärmste hat ihm bereits fast all ihren Schmuck gegeben«, flüsterte der Diener zurück. »Aber wen wundert’s, er war mal auf der Nachtburg zu Hause. Alle, die von der anderen Seite des Waldes stammen, sind gierig, das weiß jeder. Mit Ausnahme der Herrin.«

»Herein!«, rief auf sein Klopfen hin eine mürrische Stimme. Der Raum, den sie betraten, war so hell, dass Meggie blinzeln musste nach all den dunklen Gängen und Treppen. Das Tageslicht fiel durch hohe Fenster auf eine Ansammlung kostbar geschnitzter Schreibpulte. Der Mann, der vor dem größten stand, war weder jung noch alt, mit schwarzem Haar und braunen Augen, die wenig freundlich dreinblickten, als er sich ihnen zuwandte.

»Ah, der Tintenweber!«, sagte er und legte unwillig die Hasenpfote zur Seite, die er in der Hand hielt. Meggie wusste, wozu sie diente, Mo hatte es ihr oft genug erklärt. Es machte das Pergament geschmeidig, wenn man es mit einer Hasenpfo-te rieb. Und dort waren die Farben, deren Namen Mo stets aufs Neue für sie hatte wiederholen müssen. »Sag sie noch mal!« Wie oft hatte sie ihn mit dieser Aufforderung gequält, weil sie sich nicht satt hören konnte an ihrem Klang: Rauschgelb, Lapislazuliblau, Violett und Malachitgrün. »Wieso leuchten sie immer noch so, Mo?«, hatte sie gefragt. »Sie sind doch schon so alt! Woraus sind sie gemacht?« Und Mo hatte es ihr erklärt - hatte ihr erzählt, wie man sie herstellte, all die wunderbaren Farben, die selbst nach Hunderten von Jahren leuchteten, als hätte man sie dem Regenbogen gestohlen, weil die Buchseiten sie schützten vor Licht und Luft. Dass man für Malachitgrün die Blüten der wilden Iris zerstampfte und sie mit gelbem Bleioxyd versetzte, dass das Rot von Purpurschnecken und Läusen stammte. Wie oft hatten sie sich zusammen die Bilder in einer der kostbaren Handschriften angesehen, die Mo vom Schmutz vieler Jahre befreien musste. »Sieh dir nur diese feinen Ranken an!«, hatte er dann gesagt. »Kannst du dir vorstellen, wie fein die Pinsel und Federn sein müssen, mit denen man so etwas malt, Meggie?« Wie oft hatte er sich darüber beklagt, dass keiner sich mehr darauf verstand, solche Werkzeuge herzustellen - und nun sah sie sie mit eigenen Augen: haarfeine Federn und winzige Pinsel, ganze Bündel in einem glasierten Krug, Pinsel, die stecknadelkopfgroße Blüten und Gesichter auf Pergament und Papier bannen konnten, angefeuchtet mit etwas Gummiarabicum, damit die Farbe besser haftete. Es kribbelte ihr in den Fingern, einen aus dem Bündel zu ziehen und mitzunehmen, für Mo. Nur dafür hätte er mitkommen müssen!, dachte sie. Um in diesem Raum zu stehen.

Die Werkstatt eines Buchmalers, eines Illuminators. Fenoglios Welt schien doppelt, dreifach wunderbar. Elinor würde ihren kleinen Finger dafür geben, hier zu sein, dachte Meggie und wollte auf eins der Pulte zugehen, alles noch etwas näher betrachten, Pinsel, Farben, Pergament, doch Fenoglio hielt sie zurück.

»Balbulus!« Er deutete eine Verbeugung an. »Wie fühlt sich der Meister heute?« Der Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören.

»Der Tintenweber sucht die Herrin Violante«, erklärte der Diener mit schleppender Stimme.

Balbulus wies auf eine Tür in seinem Rücken. »Nun, Ihr wisst, wo die Bibliothek ist. Vielleicht sollte man sie besser umbenennen, in >die Kammer der vergessenen Schätze<.« Er lispelte etwas. Seine Zunge stieß gegen die Zähne, als hätte sie nicht genug Raum in seinem Mund. »Violante sieht sich gerade meine neueste Arbeit an, das heißt das, was sie davon erkennen kann. Es ist meine Abschrift der Geschichten, die Ihr für ihren Sohn geschrieben habt. Ich hätte das Pergament, wie ich zugeben muss, lieber für andere Texte verwandt, doch Violante hat darauf bestanden.«