Выбрать главу

»Ich hab gehört, dass Roxane dich wieder in ihr Bett gelassen hat«, sagte die Nessel, »sag ihr, sie ist dümmer, als ich dachte. Und jetzt geh hinters Haus. Wolkentänzer ist dort, er wird dir mehr über die Frau sagen können. Sie hat ihm eine Nachricht für dich mitgegeben.«

Wolkentänzer stand neben einem verkrüppelten Oleanderbusch, der zwischen den Färberhütten wuchs.

»Das arme Kind, hast du es gesehen?«, fragte er, als Staubfinger auf ihn zutrat. »Ich kann es einfach nicht sehen, wenn sie krank sind. Und die Mütter. man denkt, sie weinen sich die Augen aus dem Kopf. Ich erinnre mich noch, wie Roxane

- « Er brach abrupt ab. »Entschuldige«, murmelte er und schob die Hand unter seinen schmutzigen Kittel, »ich hab ganz vergessen, dass es auch dein Kind war. Hier, das ist für dich.« Er zog einen Zettel unter dem Kittel hervor, Papier so fein und lilienweiß, wie Staubfinger es in dieser Welt noch nie gesehen hatte. »Eine Frau hat mir das für dich gegeben. Die Nessel hat sie und ihren Mann im Wald gefunden, bei Capricorns alter Festung, und sie ins Geheime Lager gebracht. Der Mann ist verwundet, ziemlich schlimm.«

Zögernd faltete Staubfinger das Papier auseinander. Er erkannte die Handschrift sofort.

»Sie sagt, sie kennt dich. Ich hab ihr gesagt, dass du nicht lesen kannst, aber - «

»Ich kann lesen«, unterbrach Staubfinger ihn. »Sie hat’s mir beigebracht.«

Wie kam sie hierher? Das war das Einzige, was er denken konnte, während Resas Buchstaben vor seinen Augen tanzten. Das Papier war so zerknittert, dass es mühsam war, die Worte zu entziffern. Nicht, dass ihm das Lesen je leicht gefallen wäre.

»Ja, das hat sie auch gesagt: >Ich hab’s ihm beigebracht<.« Wolkentänzer blickte ihn neugierig an. »Woher kennst du die Frau?«

»Das ist eine lange Geschichte.« Er schob den Zettel in seinen Rucksack. »Ich muss los«, sagte er.

»Wir gehen heute noch zurück, die Nessel und ich!«, rief Wolkentänzer ihm nach. »Soll ich der Frau etwas ausrichten?«

»Ja. Sag ihr, ich bring ihr ihre Tochter.«

In der Gasse der Schmiede standen immer noch Cosimos Soldaten. Sie begutachteten ein Schwert, unerschwinglich für einen einfachen Soldaten. Von dem Pfeifer war nichts zu entdecken. Aus den Fenstern hingen bunte Stoffstreifen auf die Gasse, Ombra feierte die Rückkehr seines toten Fürsten - aber Staubfinger war nicht nach Feiern zumute. Die Worte in seinem Rucksack wogen schwer. Auch wenn er zugeben musste, dass es ihn mit bitterer Genugtuung erfüllte, dass Zauberzunge mit dieser Welt offenbar noch weniger Glück hatte, als ihm in der seinen zuteil geworden war. Wusste er nun, wie es sich anfühlte, in der falschen Geschichte zu stecken? Oder hatte er gar keine Zeit gehabt, irgendetwas zu fühlen, bevor Mortola auf ihn geschossen hatte?

Auf der Gasse, die zur Burg hochführte, drängten sich die Menschen wie an einem Markttag. Staubfinger blickte hinauf zu den immer noch schwarz beflaggten Türmen. Was dachte seine Tochter darüber, dass der Mann ihrer Herrin zurück war? Selbst wenn du sie fragen würdest, sie würde es dir nicht sagen!, dachte er, während er sich wieder dem Tor zuwandte. Es wurde Zeit fortzukommen. Bevor er dem Pfeifer noch einmal über den Weg lief. Oder gar seinem Herrn.

Meggie wartete schon mit Farid unter den leeren Galgen. Der Junge flüsterte ihr etwas zu und sie lachte. Feuer und Asche!, dachte Staubfinger. Sieh dir an, wie glücklich die zwei aussehen, und du musst wieder mal der Überbringer schlechter Nachrichten sein. Warum immer du? Ganz einfach, gab er sich selbst zur Antwort. Weil sie besser zu deinem Gesicht passen als die guten.

Tintenmedizin

Die Erinnerung an meinen Vater ist eingewickelt In weißes Papier, wie ein Brot, das man mit zur Arbeit nimmt. So wie ein Zauberer Tücher und Kaninchen Hervorzieht aus seinem Hut,

entlockte er seinem schmalen Körper Liebe.

Yehuda Amichai, My Father

Meggie hörte auf zu lachen, sobald sie Staubfinger auf sich zukommen sah. Warum war sein Gesicht so ernst? Farid hatte doch gesagt, dass er glücklich war. War es ihr Anblick, der ihn so grimmig dreinschauen ließ? War er böse auf sie, weil sie ihm in seine Geschichte gefolgt war und mit ihrem Gesicht an Jahre erinnerte, die er bestimmt vergessen wollte? »Worüber will er mit mir sprechen?«, hatte sie Farid gefragt. »Wahrscheinlich über Fenoglio«, hatte er geantwortet, »und über Cosimo. Er will wissen, was der Alte vorhat!« Als ob sie Staubfinger das hätte sagen können.

Als er vor ihr stehen blieb, war auf seinem Gesicht keine Spur des Lächelns zu entdecken, von dem sie sich so oft gefragt hatte, was es bedeutete.

»Hallo, Meggie«, sagte er. Aus seinem Rucksack blinzelte schläfrig ein Marder, aber es war nicht Gwin. Der saß auf Farids Schultern und fauchte, als die Nase seines Artgenossen sich über Staubfingers Schulter zeigte.

»Hallo«, antwortete sie verlegen. »Wie geht es dir?«

Es fühlte sich seltsam an, ihn wiederzusehen. Sie spürte Freude und Misstrauen zugleich.

Hinter ihnen strömten die Menschen auf das Stadttor zu, unentwegt, Bauern, Händler, Gaukler, Bettler, alle, die von Cosimos Rückkehr gehört hatten. Die Neuigkeiten wanderten schnell in dieser Welt, auch wenn es weder Telefon noch Zeitung gab und nur die Reichen Briefe schrieben.

»Gut. Ja, wirklich gut!« Nun lächelte er doch und keineswegs so rätselhaft, wie er es sonst immer getan hatte. Ja, Farid hatte nicht gelogen. Staubfinger war glücklich. Es schien ihn fast verlegen zu machen. Sein Gesicht sah so viel jünger aus, trotz der Narben, doch dann plötzlich wurde es wieder ernst. Der andere Marder sprang zur Erde, als sein Herr sich den Rucksack von der Schulter zog und ein Stück Papier hervorzog.

»Eigentlich wollte ich mit dir über Cosimo reden, unseren so überraschend vom Tod zurückgekehrten Fürsten«, sagte er, während er das zerknitterte Papier auseinander faltete. »Aber nun muss ich dir wohl zuerst das hier zeigen.«

Verwirrt nahm Meggie den Zettel entgegen. Als sie die Handschrift darauf sah, blickte sie Staubfinger ungläubig an. Wie kam er an einen Brief von ihrer Mutter? Hier, in dieser Welt?

Aber Staubfinger sagte nur: »Lies.« Und Meggie las. Die Wörter legten sich ihr um den Hals wie eine Schlinge, die sich mit jedem Wort enger zog, bis sie kaum noch atmen konnte.

»Was ist?«, fragte Farid beunruhigt. »Was steht da?« Er sah Staubfinger an, aber der antwortete nicht.

Meggie aber starrte auf Resas Worte. »Mortola hat auf Mo. geschossen?«

Hinter ihnen drängten sich die Menschen, um Cosimo zu sehen, den nagelneuen Cosimo, doch was interessierte sie das? Nichts interessierte sie mehr. Nur eines wollte sie wissen.

»Wieso«, verzweifelt sah sie Staubfinger an, »wieso sind sie hier? Und wie geht es Mo? Es ist doch nicht schlimm, oder?«

Staubfinger wich ihrem Blick aus. »Ich weiß auch nur, was dort steht«, sagte er. »Dass Mortola auf deinen Vater geschossen hat, dass Resa mit ihm im Geheimen Lager ist und ich dich suchen soll. Ein Freund hat mir ihren Zettel gebracht. Er kehrt heute noch in das Lager zurück, zusammen mit der Nessel. Sie - «

»Die Nessel? Resa hat mir von ihr erzählt!«, unterbrach Meggie ihn. »Sie ist eine Heilerin, eine sehr gute. sie wird Mo gesund machen, oder?«

»Sicher«, sagte Staubfinger, aber er sah sie immer noch nicht an.

Farids Blick wanderte verwirrt von ihm zu Meggie. »Mortola hat auf Zauberzunge geschossen?«, stammelte er. »Dann ist die Wurzel für ihn! Aber du hast gesagt, sie ist gefährlich!«

Staubfinger warf ihm einen warnenden Blick zu - und Farid verstummte.