Fenoglio nickte hastig. »O ja, ja, natürlich, Euer Gnaden. Ich werde alles aufzeichnen. Geschichten aus Eurer Kindheit, als Euer ehrenwerter Vater noch lebte, Geschichten von Euren ersten Ausritten in den Weglosen Wald, alles über den Tag, als Eure Frau auf diese Burg kam, und über den, an dem Euer Sohn geboren wurde.«
Cosimo nickte. »Ja. Ja!«, sagte er mit erleichtert klingender Stimme. »Ich sehe, Ihr versteht. Und vergesst nicht meinen Sieg über die Brandstifter und meine Zeit bei den Weißen Frauen.«
»Keineswegs.« Fenoglio betrachtete das schöne Gesicht so unauffällig wie möglich. Wie hatte das passieren können? Natürlich hatte er nicht nur glauben sollen, er sei der wahre Cosimo, er hatte auch alle Erinnerungen mit dem Toten teilen sollen.
Cosimo erhob sich aus dem Thronsessel, in dem vor noch nicht allzu langer Zeit sein Vater gesessen hatte, und begann auf und ab zu schreiten. »Einige Geschichten habe ich selbst schon gehört. Von meiner Frau.«
Die Hässliche. Schon wieder sie. Fenoglio sah sich suchend um. »Wo ist Eure Frau?«
»Sie sucht meinen Sohn. Er ist fortgelaufen, weil ich seinen Großvater nicht empfangen habe.«
»Erlaubt mir die Frage, Euer Gnaden - warum habt Ihr ihn nicht empfangen?«
Hinter Fenoglios Rücken öffnete sich die schwere Tür und Tullio huschte herein. Den toten Vogel hielt er nicht mehr in der Hand, als er sich zu Cosimos Füßen auf die Treppe kauerte, doch die Angst war immer noch auf seinem Gesicht zu sehen.
»Ich habe nicht vor, ihn jemals wieder zu empfangen.« Co-simo blieb vor dem Thronsessel stehen und strich über das Wappen seines Hauses. »Ich habe die Wachen am Tor angewiesen, meinen Schwiegervater sowie alle, die ihm dienen, niemals wieder auf diese Burg zu lassen.«
Tullio sah zu ihm hoch, so ungläubig und erschrocken, als spürte er den Pfeil des Natternkopfes schon in der eigenen pelzigen Brust.
Cosimo aber sprach ungerührt weiter. »Ich habe mir berichten lassen, was in meinem Reich vorgegangen ist, während ich - «, wieder zögerte er einen Moment, bevor er weitersprach, » - abwesend war. Ja, nennen wir es so: abwesend. Ich habe meinen Verwaltern zugehört, Jagdaufsehern, Kaufleuten, Bauern, meinen Soldaten und meiner Frau. Auf die Art habe ich höchst interessante Dinge erfahren, beunruhigende Dinge. Und stellt Euch vor, Dichter, fast alles, was mir an Schlimmem berichtet wurde, hatte mit meinem Schwiegervater zu tun! Sagt mir, da Ihr ja angeblich bei den Spielleuten ein und aus geht, was erzählt sich das Bunte Volk über den Natternkopf?«
»Das Bunte Volk?« Fenoglio räusperte sich. »Nun, das, was alle sagen. Dass er sehr mächtig ist, vielleicht etwas zu mächtig?«
Cosimo stieß ein unfrohes Lachen aus. »O ja. Das ist er wohl. Und?«
Worauf wollte er hinaus? Du solltest es wissen, Fenoglio, dachte er beunruhigt. Wenn du nicht weißt, was in seinem Kopf vorgeht, wer dann? »Nun, sie sagen, der Natternkopf regiert mit eiserner Faust«, fuhr er mit zögernder Stimme fort. »Es gibt kein Gesetz in seinem Reich außer seinem Wort und Siegel. Rachsüchtig und eitel ist er, presst seinen Bauern so viel ab, dass sie hungern, schickt aufmüpfige Untertanen, ja, selbst Kinder in seine Silberminen, bis sie dort unten Blut spucken. Wilderer, die man in seinem Teil des Waldes fängt, werden geblendet, Dieben lässt er die rechte Hand abschlagen - was Euer Vater zum Glück schon vor einiger Zeit abgeschafft hat - und der einzige Spielmann, der gefahrlos in die Nähe der Nachtburg kommen kann, ist der Pfeifer - wenn er nicht gerade mit dem Brandfuchs plündernd über die Dörfer zieht.« Himmel, hab ich das alles so niedergeschrieben?, dachte Fenoglio. Vermutlich.
»Ja, all das habe ich auch gehört. Was noch?« Cosimo verschränkte die Arme vor der Brust und begann auf und ab zu gehen, auf und ab. Er war tatsächlich schön wie ein Engel. Vielleicht hätte ich ihn etwas weniger schön machen sollen, dachte Fenoglio. Er sieht fast ein bisschen unecht aus.
»Und? Ja. was noch?« Er runzelte die Stirn. »Der Natternkopf hatte schon immer Angst vor dem Tod, aber mit zunehmendem Alter soll es fast zur Besessenheit geworden sein. In der Nacht liegt er angeblich schluchzend und fluchend auf den Knien, schlotternd vor Angst, dass die Weißen Frauen ihn holen. Er soll sich mehrmals am Tag waschen, aus Angst vor Krankheit und Ansteckung, und Abgesandte mit Kisten voll Silber in ferne Länder schicken, damit sie ihm Wundermittel gegen das Alter kaufen. Außerdem heiratet er immer jüngere Frauen, in der Hoffnung, dass ihm endlich ein Sohn geboren wird.«
Cosimo war stehen geblieben. »Ja!«, sagte er leise. »Ja, all das wurde mir auch berichtet. Aber es gibt noch schlimmere Geschichten. Wann kommt Ihr zu denen - oder muss ich sie erzählen?« Bevor Fenoglio antworten konnte, fuhr er an seiner Stelle fort: »Man sagt, der Natternkopf schicke nachts den Brandfuchs über die Grenze, damit er meine Bauern erpresst. Man sagt, er beansprucht den ganzen Weglosen Wald für sich, lässt meine Kaufleute ausplündern, wenn sie in seinen Häfen landen, erpresst Abgaben von ihnen, wenn sie seine Straßen und Brücken benutzen, und bezahlt Wegelagerer, die meine Straßen unsicher machen. Man sagt, er lässt das Holz für seine Schiffe in meinem Teil des Waldes schlagen und dass er sogar Spitzel in dieser Burg hat und in jeder Gasse von Ombra. Selbst meinen eigenen Sohn soll er dafür bezahlt haben, dass er ihm alles berichtet, was mein Vater in diesem Saal mit seinen Beratern besprach. Und zu guter Letzt - «, Cosimo machte eine wirkungsvolle Pause, bevor er fortfuhr, » - hat man mir versichert, dass der Bote, der die Brandstifter vor meinem bevorstehenden Angriff warnte, von meinem Schwiegervater kam. Er soll, um meinen Tod zu feiern, mit Silber überzogene Wachteln verspeist und meinem Vater zum Trost einen Brief gesandt haben, dessen Pergament so geschickt mit Gift bestrichen war, dass jeder Buchstabe darauf tödlich wie Schlangengift war. Nun. Fragt Ihr immer noch, warum ich ihn nicht empfangen will?«
Vergiftetes Pergament? Himmel, wer kommt denn auf so was?, dachte Fenoglio. Ich bestimmt nicht.
»Haben die Worte Euch verlassen, Dichter?«, fragte Cosimo. »Nun, glaubt mir, es ging mir ähnlich, als man mir all diese Ungeheuerlichkeiten berichtete. Was sagt man zu solch einem Nachbarn? Was sagt Ihr zu dem Gerücht, dass der Natternkopf die Mutter meiner Frau vergiften ließ, weil sie allzu gern einem Spielmann lauschte? Was sagt Ihr dazu, dass er dem Brandfuchs seine Gepanzerten zur Verstärkung schickte, damit ich auch ganz gewiss nicht von der Brandstifter-Festung zurückkehrte? Mein Schwiegervater hat versucht mich auszulöschen, Dichter! Ich habe ein Jahr meines Lebens vergessen, und alles davor ist so undeutlich, als hätte ein anderer es erlebt. Sie sagen, ich war tot. Sie sagen, die Weißen Frauen hätten mich geholt. Sie fragen: Wo warst du, Cosimo? Und ich weiß die Antwort nicht! Aber ich weiß nun, wer meinen Tod wünschte und schuld daran ist, dass ich mich leer fühle wie ein ausgenommener Fisch, jünger als mein eigener Sohn. Sagt mir, was ist die angemessene Strafe für Vergehen so ungeheuerlicher Art gegen mich und andere?«
Fenoglio aber konnte ihn nur ansehen. Wer ist er?, fragte er sich. Um Himmels willen, Fenoglio, du weißt, wie er aussieht, aber wer ist er? »Sagt Ihr es mir!«, antwortete er schließlich heiser.
Und Cosimo schenkte ihm erneut sein Engelslächeln. »Es gibt nur eine angemessene Strafe, Dichter!«, sagte er. »Ich werde Krieg führen, Krieg gegen meinen Schwiegervater, bis die Nachtburg nicht mehr steht und sein Name vergessen ist.«
Fenoglio stand da, in dem abgedunkelten Saal, und hörte das eigene Blut in seinen Ohren rauschen. Krieg? Ich muss mich verhört haben!, dachte er. Von Krieg habe ich nichts geschrieben. Aber in seinem Innern begann es zu flüstern: Große Zeiten, Fenoglio! Hast du nicht etwas von großen Zeiten geschrieben?