Meggie sah, wie sie Resa in den dunklen Stall stießen, zusammen mit den anderen Frauen, und zwei Soldaten den Prinzen und seinen Bären losbanden.
»Natürlich hab ich genug!«, sagte der fette Wirt mit entrüsteter Stimme. »Und eure Pferde werdet ihr nicht wiedererkennen, so sehr werden sie glänzen.«
»Nun, das will ich hoffen«, erwiderte der Brandfuchs. »Sonst sorgt der Natternkopf dafür, dass du die längste Zeit Besitzer dieser Baracken gewesen bist. Wir reiten morgen bei Tagesanbruch weiter. Meine Männer und die Gefangenen bleiben im Stall, aber ich will ein Bett, und zwar ein eigenes, nicht eins, das ich mit einem Haufen schnarchender, furzender Fremder teilen muss.«
»Natürlich, natürlich!« Der Wirt nickte eilfertig. »Aber was ist mit dem Untier da?« Er wies besorgt auf den Bären. »Er wird mir die Pferde scheu machen. Warum habt ihr ihn nicht getötet und im Wald liegen lassen?«
»Weil der Natternkopf ihn zusammen mit seinem Herrn aufhängen will«, antwortete der Brandfuchs, »und weil meine Männer den Unsinn über ihn glauben - dass er ein Nachtmahr ist, der gern in Bärengestalt herumspaziert, und es deshalb keine gute Idee ist, ihm einen Pfeil in den Pelz zu schießen.«
»Ein Nachtmahr?« Der Wirt kicherte nervös. Offenbar schien er die Geschichte nicht für unmöglich zu halten. »Egal, was er ist, in den Stall kommt er mir nicht. Bindet ihn meinetwegen hinterm Backhaus an. Da riechen die Pferde ihn vielleicht nicht.« Der Bär brummte dumpf, als einer der Soldaten ihn an der Kette hinter sich herzerrte, aber der Schwarze Prinz sprach beruhigend auf ihn ein, mit leiser Stimme, als müsste er ein Kind trösten, während sie sie hinter das Haupthaus stießen.
Der Karren mit Mo und dem alten Mann stand immer noch auf dem Hof. Ein paar Knechte lungerten darum herum, sie steckten die Köpfe zusammen, vermutlich rätselten sie, wen genau der Natternkopf da hatte einfangen lassen. Ob schon das Gerücht umlief, dass der Mann, der da wie tot auf dem Karren lag, der Eichelhäher war? Der Soldat mit dem bartlosen Gesicht scheuchte die Knechte fort, zerrte das Kind vom Karren und schubste es ebenfalls auf den Stall zu. »Was ist mit den Verwundeten?«, rief er dem Brandfuchs zu. »Sollen wir die zwei einfach auf dem Karren lassen?«
»Damit sie morgen tot oder fort sind? Was redest du da, du Schwachkopf? Schließlich ist einer von ihnen der Grund, weshalb wir in den verfluchten Wald geschlichen sind, oder?« Der Brandfuchs wandte sich wieder dem Wirt zu. »Ist unter deinen Gästen ein Bader?«, fragte er. »Ich hab einen Gefangenen, der am Leben bleiben muss, weil der Natternkopf eine prächtige Hinrichtung für ihn plant. Mit einem Toten macht das keinen rechten Spaß, wenn du verstehst, was ich meine.«
. am Leben bleiben. Farid drückte Meggies Hand und lächelte ihr triumphierend zu.
»O ja, natürlich, natürlich!« Der Wirt warf dem Karren einen neugierigen Blick zu. »Es ist sicher ärgerlich, wenn einem die Verurteilten noch vor der Hinrichtung wegsterben. Dieses
Jahr soll das ja schon zweimal passiert sein, wie man erzählt. Trotzdem, mit einem Bader kann ich nicht dienen. Aber ich hab ein Moosweibchen, das in der Küche hilft. Sie hat schon so manchen Gast wieder hinbekommen.«
»Gut! Lass sie holen!«
Der Wirt winkte ungeduldig einem Jungen, der neben der Stalltür lehnte. Der Brandfuchs aber rief zwei seiner Soldaten zu sich: »Los, die Verwundeten auch in den Stall!«, hörte Meggie ihn sagen. »Doppelte Wachen vor die Tür, und vier von euch bewachen heute Nacht den Eichelhäher, verstanden? Kein Wein, kein Met, und wehe, einer schläft!«
»Der Eichelhäher?« Der Wirt bekam große Augen. »Ihr habt den Eichelhäher auf dem Karren?« Als der Brandfuchs ihm einen warnenden Blick zuwarf, presste er sich rasch die fetten Finger auf den Mund. »Kein Wort!«, stieß er hervor. »Kein Wort, von mir erfährt es keiner.«
»Das will ich dir auch geraten haben«, knurrte der Brandfuchs und sah sich um, als wollte er sichergehen, dass niemand sonst seine Worte gehört hatte.
Als die Soldaten Mo von dem Karren hoben, machte Meggie unwillkürlich einen Schritt vor, aber Farid zog sie mit sich. »Meggie, was ist los mit dir?«, zischte er. »Wenn du so weitermachst, sperren sie dich gleich auch ein. Denkst du, das hilft ihnen?«
Meggie schüttelte den Kopf. »Er lebt wirklich noch, Farid, nicht wahr?«, flüsterte sie. Sie hatte fast Angst, es zu glauben.
»Ja, sicher. Hab ich dir doch gesagt. Und nun guck nicht so traurig. Alles wird gut, du wirst sehen!« Farid strich ihr über die Stirn, küsste ihr die Tränen von den Wimpern.
»He, ihr da, Turteltäubchen, weg von den Pferden!«
Der Pfeifer stand vor ihnen. Meggie senkte den Kopf, auch wenn sie sicher war, dass er sie nicht erkennen würde. Sie war nur ein Mädchen in einem schmutzigen Kleid gewesen, das er auf dem Marktplatz von Ombra fast niedergeritten hätte. Auch heute war er prächtiger gekleidet als alle Spielleute, die Meggie bislang unter die Augen gekommen waren. Seine seidenen Kleider schillerten wie ein Pfauenschwanz - und die Ringe an seinen Fingern waren ebenso aus Silber wie die Nase in seinem Gesicht. Ganz offenbar zahlte der Natternkopf gut für Lieder, die ihm gefielen.
Der Pfeifer zwinkerte ihnen noch einmal zu, dann schlen-derte er hinüber zum Brandfuchs. »Sieh an, du bist also aus dem Wald zurück!«, rief er ihm schon von weitem zu. »Und mit fetter Beute. Da hat ja wohl einer deiner Spitzel ausnahmsweise keine Lügen erzählt. Endlich mal eine gute Nachricht für den Natternkopf.«
Der Brandfuchs antwortete, aber Meggie hörte nicht zu. Der Junge kam mit dem Moosweibchen zurück, einer kleinwüchsigen Frau, die ihm kaum bis zur Schulter reichte. Ihre Haut war grau wie Buchenrinde und ihr Gesicht runzlig wie ein verschrumpelter Apfel. Moosweibchen, Heilerinnen. Bevor Farid begriff, was sie vorhatte, war Meggie ihm davongeschlüpft. Das Moosweibchen würde wissen, wie es um Mo stand. ganz nah schob sie sich an die kleine Frau heran, bis nur noch der Junge zwischen ihnen stand. Der Kittel des Weibchens war fleckig von Bratensaft, und ihre Füße waren nackt, aber sie musterte die Männer, die sie umstanden, mit furchtlosen Augen.
»Tatsächlich, ein echtes Moosweibchen«, brummte der Brandfuchs, während seine Soldaten vor der winzigen Frau zurückwichen, als wäre sie so gefährlich wie der Bär des Schwarzen Prinzen. »Dachte, die kommen nie heraus aus dem Wald. Aber gut, angeblich verstehen sie ja was vom Heilen. Diese alte Hexe, die Nessel, soll die nicht ein Moosweibchen zur Mutter haben?«
»Ja, aber ihr Vater taugte nichts.« Die kleine Frau musterte den Brandfuchs so eindringlich, als versuchte sie herauszufinden, welches Blut in seinen Adern floss. »Du trinkst zu viel!«, stellte sie fest. »Sieh dir dein Gesicht an. Wenn du so weitermachst, platzt deine Leber bald wie ein zu reifer Kürbis.«
Gelächter erhob sich bei den Umstehenden, aber ein Blick des Brandfuchses ließ es verstummen. »Hör zu, du bist nicht hier, um mir Ratschläge zu geben, Wichtelfrau!«, fuhr er das Moosweibchen an. »Ich will, dass du dir einen meiner Gefangenen ansiehst, denn er muss lebend auf der Burg des Natternkopfs ankommen.«
»Ja, ja, das weiß ich schon«, erwiderte das Moosweibchen, während es immer noch mürrisch sein Gesicht musterte. »Damit dein Herr ihn nach allen Regeln der Kunst umbringen kann. Holt mir Wasser, warmes Wasser und saubere Tücher. Außerdem soll mir jemand helfen.«
Der Brandfuchs gab dem Jungen einen Wink. »Wenn du einen Helfer willst, such dir einen aus«, brummte er und betastete unauffällig seinen Bauch, vermutlich, weil er dort seine Leber vermutete.
»Einen von deinen Männern? Nein, danke.« Das Moosweibchen rümpfte verächtlich die kurze Nase und sah sich um, bis ihr Blick an Meggie hängen blieb. »Die da«, sagte das Weibchen. »Die sieht nicht allzu dumm aus.«
Und bevor Meggie wusste, wie ihr geschah, packte einer der Soldaten sie unsanft bei der Schulter. Das Letzte, was sie sah, bevor sie dem Moosweibchen in den Stall nachstolperte, war Farids erschrockenes Gesicht.