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Die Soldaten malten sich lautstark über ihre Köpfe hinweg aus, was ihr Herr mit dem Schwarzen Prinzen anstellen würde, wenn er ihn und seinen verhexten Bären erst wieder eingefangen hatte. Sie hatten deutlich bessere Laune, seit sie wieder auf ihren Pferden saßen. Ab und zu drehte der Pfeifer sich im Sattel um und steuerte eine ganz spezielle Grausamkeit bei. Resa hätte dem Mädchen neben sich zu gern die Ohren zugehalten. Seine Mutter zog ahnungslos mit ein paar Schauspielern durchs Land, im Glauben, ihre Tochter sei sicher im Geheimen Lager.

Das Mädchen würde laufen. Ebenso wie die beiden anderen Kinder samt ihrer Mutter. Auch die Krummfingrige würde es bestimmt versuchen, der Rußvogel und die meisten anderen Männer. Der Spielmann mit dem verletzten Bein, der mit Mo auf dem Karren saß, würde bleiben, ebenso wie der Zweifinger, weil er Angst vor den Armbrüsten hatte, und der alte Stelzenläufer, der seinen Beinen nicht mehr traute. Benedicta, die kaum sehen konnte, wo sie hintrat, würde bleiben, Mina, deren Kind bald zur Welt kommen würde. und Mo.

Die Straße fiel immer steiler ab. Über ihren Köpfen schlangen die Bäume die Zweige ineinander. Es war ein windstiller Morgen, bedeckt und regnerisch, aber Staubfingers Feuer brannten selbst bei Regen. Resa blickte zwischen den Pferden hindurch. Wie dicht die Bäume standen, nichts als Dunkelheit zwischen sich, selbst am helllichten Tag. Nach links sollten sie laufen. Erwartete Meggie, dass sie es auch versuchte? Wie oft hatte sie sich das nun schon gefragt. und sich immer wieder dieselbe Antwort gegeben: Nein, sie weiß, dass ich ihren Vater nicht allein lasse, sie liebt ihn doch ebenso sehr.

Resa ging langsamer. Da war er, der umgestürzte Baum, quer über der Straße, der Stamm grün vom Moos. Das Mädchen blickte mit großen Augen zu ihr hoch. Sie hatte Angst gehabt, dass eins der Kinder reden würde, aber sie waren stumm wie die Fische geblieben, den ganzen Morgen über.

Der Brandfuchs fluchte, als er den Baum entdeckte. Er zügelte sein Pferd, befahl den ersten vier Reitern abzusteigen und das Hindernis aus dem Weg zu räumen. Mit mürrischen Gesichtern gehorchten sie, drückten die Zügel ihrer Pferde einem anderen in die Hand und stiefelten auf den Baumstamm zu. Resa wagte nicht, zum Straßenrand zu blicken, aus Angst, Staubfinger oder Meggie mit ihren Blicken zu verraten. Sie glaubte, ein Schnipsen zu hören und dann, kaum wahrnehmbar, ein Flüstern. Keine Menschenworte. Feuerworte. Staubfinger hatte sie einmal für sie gesprochen, in der anderen Welt, in der sie nicht wirkten, in der das Feuer taub und stumm war. »Es klingt viel besser, wenn ich es dort mache«, hatte er gesagt und ihr von dem Feuerhonig erzählt, den er sich von den Elfen holte. An den Klang erinnerte sie sich dennoch sehr gut - als bissen sich Flammen durch schwarze Kohle, als fräßen sie hungrig an weißem Papier. Niemand sonst hörte das Flüstern im Rauschen der Blätter, im Tropfen des Regens, zwischen Vogelzwitschern und Grillengezirp.

Das Feuer züngelte unter der Baumrinde hervor wie ein Nest von Schlangen. Sie bemerkten es nicht. Erst als die erste Flamme emporschoss, gefräßig und heiß, so hoch, dass sie fast die Blätter der Bäume versengte, stolperten sie zurück, erschrocken, ungläubig. Die reiterlosen Pferde bäumten sich auf und versuchten sich loszureißen, während das Feuer zischte und tanzte.

»Lauf!«, flüsterte Resa, und das Mädchen lief los, leichtfüßig wie ein Rehkitz. Kinder, Frauen, Männer, sie liefen auf die Bäume zu, vorbei an den scheuenden Pferden, hinein in das schützende Dunkel des Waldes. Zwei Soldaten schossen ihnen nach, aber auch ihre Pferde bäumten sich auf wegen des Feuers, und die Pfeile bohrten sich in Baumrinde statt in Menschenfleisch. Einen nach dem anderen sah Resa zwischen den Bäumen verschwinden, während die Soldaten sich anschrien, und es tat weh, stehen zu bleiben, so weh.

Der Baum brannte weiter, seine Rinde färbte sich schwarz. Rennt, dachte Resa, rennt!, während sie dastand, obwohl ihre Füße doch eigentlich nur laufen wollten, fortlaufen, hin zu ihrer Tochter, die irgendwo zwischen den Bäumen wartete. Aber sie blieb. Blieb stehen und versuchte, nur an eins nicht zu denken: dass sie sie wieder einsperren würden. Denn sonst würde sie laufen, trotz Mo. Würde laufen und laufen und niemals wieder stehen bleiben. Zu lange war sie eine Gefangene gewesen, zu lange hatte sie nur von Erinnerungen gelebt, Erinnerungen an Mo, Erinnerungen an Meggie. Sie hatte sich von ihnen ernährt in all den Jahren, die sie erst Mortola und dann Capricorn hatte dienen müssen.

»Komm nicht auf falsche Ideen, Eichelhäher!«, hörte sie einen der Soldaten hinter sich schreien. »Oder ich spieß dich auf!«

»Was für Ideen meinst du?«, antwortete Mo. »Sehe ich aus, als wäre ich dumm genug, vor deiner Armbrust wegzurennen?«

Fast hätte sie gelacht. Er hatte sie schon immer so leicht zum Lachen gebracht.

»Worauf wartet ihr? Holt sie zurück!«, brüllte der Pfeifer. Die silberne Nase war ihm verrutscht, und sein Pferd scheute immer noch, sosehr er auch an den Zügeln riss. Einige Männer gehorchten, stolperten halbherzig in den Wald und wichen wieder zurück, als ein Schatten sich brummend im Unterholz regte.

»Der Nachtmahr!«, schrie einer, und schon standen sie alle wieder auf der Straße, mit blassen Gesichtern und zitternden Händen, als taugten die Schwerter, die sie hielten, nichts gegen die Schrecken, die zwischen den Bäumen lauerten.

»Nachtmahr? Es ist heller Tag, ihr Idioten!«, schrie der Brandfuchs sie an. »Das ist ein Bär, nichts als ein Bär!«

Zögernd stiefelten sie wieder auf den Wald zu, dicht beieinander wie ein Kükenschwarm, der sich hinter der Mutter verbirgt. Resa hörte, wie sie sich fluchend mit den Schwertern einen Weg bahnten, durch Teufelszwirn und Brombeeren, während ihre Pferde schnaubend und zitternd an der Straße zurückblieben. Der Brandfuchs und der Pfeifer steckten die Köpfe zusammen - während die Soldaten, die immer noch auf der Straße standen, um die übrig gebliebenen Gefangenen zu bewachen, mit weit aufgerissenen Augen in den Wald stierten, als würde schon bald der Nachtmahr herausspringen, der so täuschend einem Bären glich, und sie allesamt verschlingen, mit Haut und Haar und allem, was sie sonst ausmachte, wie Geister es eben so tun.

Resa sah, wie Mo zu ihr herüberblickte, sah die Erleichterung auf seinem Gesicht, als er sie entdeckte - und die Enttäuschung, dass sie noch da war. Blass war er immer noch, aber nicht mehr so bleich, als hätte der Tod ihm übers Gesicht gestrichen. Sie machte einen Schritt auf den Karren zu, wollte zu ihm, seine Hand fassen, sehen, ob sie immer noch heiß vom Fieber war, aber einer der Soldaten stieß sie grob zurück.

Der Baum brannte immer noch. Die Flammen knisterten, als sängen sie ein Spottlied auf den Natternkopf, und als die Männer aus dem Wald zurückkamen, brachten sie nicht einen geflohenen Gefangenen zurück.

Arme Meggie

»Hallo«, ertönte eine sanfte, musikalische Stimme, und Leonardo blickte auf.

Vor ihm stand das schönste junge Mädchen, das er je gesehen hatte, ein Mädchen, das ihn vielleicht erschreckt hätte, wäre da nicht der traurige Ausdruck in ihren blauen Augen gewesen; mit Traurigkeit kannte er sich aus.

Eva Ibbotson, Das Geheimnis der siebten Hexe

Meggie sprach kein Wort. Sosehr Farid auch versuchte, sie aufzuheitern, sie saß nur da, zwischen den Bäumen, die Arme um die Beine geschlungen, und schwieg. Ja, sie hatten viele befreit, aber ihre Eltern waren nicht darunter.