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»Man kann es nur am Meer zeigen«, antwortete Staubfinger, »aber da müssen wir sowieso hin, denn wir brauchen beide einen Bader. Und der beste wohnt am Meer. Im Schatten der Nachtburg.«

Sie beschlossen, abwechselnd Wache zu halten. Farid übernahm die erste, und während Meggie und Staubfinger hinter ihm schliefen, unter den tief herabhängenden Zweigen einer Steineiche, saß er im Gras und sah hinauf zum Himmel, an dem die Sterne zahlreicher leuchteten als die Glühwürmchen, die über dem Fluss schwirrten. Farid versuchte sich an eine Nacht zu erinnern, irgendeine, in der er sich so gefühlt hatte wie in dieser, so ganz und gar zufrieden mit sich selbst, aber nicht eine fiel ihm ein. Diese war die beste - trotz all der Schrecken, die hinter ihm lagen, trotz seiner verbrannten Finger, die immer noch schmerzten, obwohl Staubfinger sie mit Feenpulver und der kühlenden Paste bestrichen hatte, die Roxane ihm angerührt hatte.

Er fühlte sich so lebendig. Lebendig wie das Feuer.

Er hatte Staubfinger gerettet. Er war stärker gewesen als die Wörter. Alles war gut.

Hinter ihm stritten die beiden Marder, vermutlich um irgendeine Beute. »Wenn der Mond über dem Hügel da steht, dann weckst du mich!«, hatte Staubfinger gesagt, doch als Farid zu ihm ging, schlief er tief und fest, das Gesicht so friedvoll, dass Farid beschloss, ihn schlafen zu lassen, und zurückkehrte zu seinem Platz unter den Sternen.

Als er kurz darauf Schritte hinter sich hörte, war es nicht Staubfinger, sondern Meggie, die hinter ihm stand. »Ich wache immer wieder auf«, sagte sie. »Ich kann einfach nicht aufhören zu denken.«

»Wie Fenoglio dich nun finden soll?«

Sie nickte.

Wie sehr sie immer noch an die Wörter glaubte. Farid glaubte an andere Dinge, an sein Messer, an List und Mut. Und an Freundschaft.

Meggie lehnte den Kopf gegen seine Schulter und sie schwiegen beide, wie die Sterne über ihnen. Irgendwann kam ein Wind auf, kalt und böig, salzig wie Meerwasser, und Meggie setzte sich auf und schlang fröstelnd die Arme um ihre Knie.

»Diese Welt«, sagte sie. »Gefällt sie dir eigentlich?«

Was für eine Frage. Farid stellte sich nie solche Fragen. Es gefiel ihm, wieder bei Staubfinger zu sein. Wo das war, war ihm egal.

»Sie ist grausam, findest du nicht?«, fuhr Meggie fort. »Mo hat das oft zu mir gesagt: dass ich zu leicht vergesse, wie grausam sie ist.«

Farid strich ihr mit seinen verbrannten Fingern über das helle Haar. Selbst in der Dunkelheit schimmerte es. »Sie sind alle grausam«, sagte er. »Die, aus der ich komme, die, aus der du stammst, und diese hier. In deiner Welt sieht man die Grausamkeit vielleicht nicht gleich, sie ist versteckter, aber da ist sie trotzdem.«

Er schlang seinen Arm um sie, spürte ihre Angst, ihre Sorge, ihren Zorn, es war fast, als könnte er ihr Herz flüstern hören, deutlich wie die Stimme des Feuers.

»Weißt du, was seltsam ist?«, fragte sie. »Selbst wenn ich es genau jetzt könnte - ich würde nicht zurückgehen. Das ist verrückt, oder? Es ist fast, als wollte ich immer hierher, an einen Ort wie diesen. Warum? Er ist schrecklich!«

»Schrecklich und schön«, sagte Farid und küsste sie. Es schmeckte gut, sie zu küssen. Viel besser als Staubfingers Feuerhonig. Viel besser als alles, was er je geschmeckt hatte. »Du kannst sowieso nicht zurück«, flüsterte er ihr zu. »Sobald wir deinen Vater befreit haben, werde ich ihm das erklären.«

»Was erklären?«

»Na, dass er dich leider hier lassen muss. Weil du jetzt zu mir gehörst und ich bei Staubfinger bleibe.«

Sie lachte und presste verlegen das Gesicht gegen seine Schulter. »Davon will Mo sicher nichts hören.«

»Na und? Sag ihm, hier heiraten die Mädchen, wenn sie so alt sind wie du.«

Sie lachte noch einmal, doch dann wurde ihr Gesicht wieder ernst. »Vielleicht bleibt Mo ja auch«, sagte sie leise. »Vielleicht bleiben wir alle. Resa und Fenoglio. Und Elinor und Darius holen wir auch noch nach. Und dann leben wir glücklich bis an unser Lebensende.« Die Traurigkeit hatte sich zurück in ihre Stimme geschlichen. »Sie dürfen Mo nicht aufhängen, Farid!«, flüsterte sie. »Wir retten ihn, ja? Und meine

Mutter und die anderen. In den Geschichten ist es doch auch immer so: Es passieren schlimme Sachen, aber dann geht alles gut aus. Und das hier ist eine Geschichte.«

»Sicher!«, sagte Farid, auch wenn er sich dieses gute Ende beim besten Willen noch nicht vorstellen konnte. Glücklich war er trotzdem.

Irgendwann schlief Meggie neben ihm ein. Und er saß da und bewachte sie - sie und Staubfinger, die ganze Nacht hindurch. Die beste aller Nächte.

Die richtigen Worte

In solchem Tempel kann nichts Böses wohnen.

Denn hätt das Böse solche schöne Wohnung,

Dann würd das Gute bei ihm leben wolln.

William Shakespeare, Der Sturm

Der Stallknecht war ein dummer Kerl, brauchte eine Ewigkeit, um das verfluchte Pferd zu satteln. Einen wie den hätte ich nie erfunden!, dachte Fenoglio. Ein Glück, dass ich so gute Laune habe. O ja, er hatte die allerbeste Laune. Seit Stunden schon pfiff er leise vor sich hin, denn er hatte es geschafft. Er hatte die Lösung gefunden! Die Wörter waren ihm aufs Papier geflossen, als hätten sie nur darauf gewartet, dass er sie endlich aus dem Meer der Buchstaben fischte. Die richtigen. Die einzig richtigen. Nun konnte die Geschichte weitergehen und alles würde sich zum Guten wenden. Er war eben doch ein Zauberer, ein Wortzauberer allererster Güte. Keiner konnte ihm das Wasser reichen, nun ja, ein paar wenige vielleicht, aber nicht in dieser Welt, in seiner Welt. Wenn dieser dumme Knecht sich nur etwas beeilen würde. Schließlich wurde es allerhöchste Zeit, dass er zu Roxane kam, sonst würde sie doch noch ohne den Brief losreiten - und wie sollte Meggie ihn dann bekommen? Schließlich gab es von dem jungen Heißsporn, den er ihr nachgeschickt hatte, immer noch kein Lebenszeichen. Hatte sich vermutlich im Weglosen Wald verirrt, der Milchbart.

Er tastete nach dem Brief unter seinem Umhang. Nur gut, dass Wörter eine federleichte Sache waren, selbst die gewichtigsten.

Roxane würde nicht schwer zu tragen haben, wenn sie Meggie das Todesurteil für den Natternkopf brachte. Und noch etwas würde sie hinübertragen in das Fürstentum am Meer -den sicheren Sieg für Cosimo. Falls der nicht loszog, bevor Meggie überhaupt etwas zu lesen bekam!

Cosimo brannte vor Ungeduld, er fieberte dem Tag entgegen, an dem er seine Soldaten auf die andere Seite des Waldes führen würde. »Weil er herausfinden will, wer er ist!«, flüsterte die leise Stimme in Fenoglios Kopf (oder saß sie in seinem Herzen?). »Weil er leer ist wie eine Schachtel ohne Inhalt, dein schöner Racheengel. Ein paar geliehene Erinnerungen, ein paar steinerne Abbilder, das ist alles, was der arme Junge hat, und deine Geschichten über seine Heldentaten, nach deren Echo er so verzweifelt in seinem leeren Herzen sucht. Du hättest eben doch versuchen müssen, den echten Cosimo zurückzuholen, geradewegs aus dem Reich des Todes, aber das hast du dich nicht getraut!«

Still! Fenoglio schüttelte unmutig den Kopf. Warum kamen diese lästigen Gedanken nur immer wieder? Alles würde gut sein, wenn Cosimo nur erst auf dem Thron des Natternkopfes saß. Dann würde er seine eigenen Erinnerungen haben und neue hinzubekommen mit jedem Tag. Und bald würde die Leere vergessen sein.

Na endlich. Sein Pferd war gesattelt. Mit spöttisch verzogenem Mund half der Stallknecht ihm in den Sattel. Was für ein Dummkopf! Fenoglio wusste genau, dass er keine sonderlich gute Figur auf einem Pferd machte. Na und? Unheimliche Biester waren sie, diese Pferde, viel zu stark für seinen Geschmack, aber ein Dichter, der auf der Burg seines Fürsten lebte, ging eben nicht zu Fuß wie ein Bauer. Außerdem war er auf diese Weise nun mal schneller - wenn das Biest in die gleiche Richtung wollte wie er. Was für einen Aufstand man allein machen musste, um es in Bewegung zu setzen.