Die Hufe klapperten über den gepflasterten Hof, vorbei an Pechfässern und Eisenspießen, die Cosimo auf die Mauern hatte pflanzen lassen. Immer noch hallte die Burg nachts wider vom Hämmern der Schmiede, und in den Holzverschlägen entlang der Mauer schliefen Cosimos Soldaten, dicht gedrängt wie Larven in einem Ameisennest. Wahrhaftig, einen kriegerischen Engel hatte er da geschaffen, aber waren Engel nicht schon immer kriegerisch gewesen? Tja, aufs Erfinden von friedlichen Figuren versteh ich mich eben einfach nicht!, dachte Fenoglio, während er über den Hof trabte. Meinen Guten folgt entweder das Unglück wie Staubfinger, oder sie gehen unter die Räuber wie der Schwarze Prinz. Hätte er jemanden wie Mortimer erfinden können? Vermutlich nicht.
Als Fenoglio auf das Äußere Tor zuritt, schwang es auf, sodass er im ersten Moment tatsächlich annahm, die Wächter würden endlich etwas Ehrerbietung für den Dichter ihres Fürsten zeigen, doch daran, wie tief sie die Köpfe beugten, erkannte er, dass unmöglich er gemeint sein konnte.
Cosimo kam ihm durch das weit offene Tor entgegen, auf einem weißen Pferd, so weiß, dass es fast unwirklich aussah. In der Dunkelheit erschien er noch schöner als bei Tageslicht, aber war nicht auch das bei allen Engeln so? Nur sieben Soldaten folgten ihm, mehr nahm er nie als Wachen mit auf seine nächtlichen Ausritte. Doch an seiner Seite ritt noch jemand: Brianna, Staubfingers Tochter, nicht länger in einem Kleid ihrer Herrin, der armen Violante, wie es früher so oft gewesen war, sondern in einem der Kleider, die Cosimo ihr geschenkt hatte. Er überhäufte sie mit Geschenken, während er seiner Frau nicht einmal mehr erlaubte, die Burg zu verlassen, ebenso wenig wie ihrem gemeinsamen Sohn. Aber Brianna blickte trotz all der Liebesbeweise nicht sonderlich glücklich drein. Wie auch? Wer war schon fröhlich, wenn der Geliebte plante, in den Krieg zu ziehen?
Cosimos Laune schien diese Aussicht nicht zu trüben. Im Gegenteil. Er blickte so unbeschwert, als könnte die Zukunft nur Gutes bringen. Jede Nacht ritt er aus, schien kaum Schlaf zu brauchen und ritt, wie man Fenoglio berichtet hatte, so halsbrecherisch, dass kaum einer seiner Leibwächter ihm folgen konnte - wie ein Mann, dem man erzählt hatte, dass der Tod ihn ohnehin nicht festhalten konnte. Was machte es da schon, dass er sich weder an den Tod noch an sein Leben erinnerte?
Tag und Nacht versah Balbulus Texte über dieses verlorene Leben mit den wunderbarsten Bildern. Mehr als ein Dutzend Schreiber lieferten ihm die handgeschriebenen Seiten. »Betreten will mein Mann die Bibliothek immer noch nicht!«, hatte Violante bitter festgestellt, als Fenoglio sie das letzte Mal sah. »Aber er füllt alle Lesepulte - mit Büchern über sich selbst.«
Ja, leider war es nur zu deutlich: Die Worte, aus denen Fenoglio und Meggie ihn erschaffen hatten, reichten Cosimo nicht. Es waren einfach nicht genug gewesen. Und alles, was er über sich hörte, schien einem anderen zu gehören. Vielleicht liebte er Staubfingers Tochter deshalb so sehr: weil sie nicht dem Mann gehört hatte, der er angeblich vor seinem Tod gewesen war. Fenoglio musste ihm immer neue inbrünstige Liebeslieder auf Brianna dichten. Meist stahl er sie von anderen Dichtern. Er hatte sich Verse schon immer gut merken können, und Meggie war ja nicht da, um ihn bei diesen Diebstählen zu ertappen. Brianna hatte jedes Mal Tränen in den Augen, wenn ihr einer der Spielleute, die nun wieder gern gesehene Gäste auf der Burg waren, eins der Lieder vortrug.
»Fenoglio!« Cosimo zügelte sein Pferd, und Fenoglio beugte den Kopf so selbstverständlich, wie er es nur vor dem jungen Fürsten tat. »Wo willst du hin, Dichter? Es ist alles zum Aufbruch bereit!« Er klang so ungestüm wie sein Pferd, das hin und her tänzelte und Fenoglios Pferd mit seiner Unruhe anzustecken drohte. »Oder ziehst du es nun doch vor, hier zu bleiben und deine Federn für all die Lieder zu spitzen, die du über meinen Sieg wirst schreiben müssen?«
Aufbruch? Bereit?
Fenoglio sah sich verwirrt um, aber Cosimo lachte. »Denkst du, ich ließe die Truppen in der Burg versammeln? Dafür sind es längst zu viele. Nein, sie lagern unten am Fluss. Ich warte nur noch auf eine Schar Söldner, die ich im Norden habe anwerben lassen. Vielleicht treffen sie morgen schon ein!«
Morgen schon? Fenoglio warf Brianna einen schnellen Blick zu. Also deshalb blickte sie so traurig. »Ich bitte Euch, Euer Gnaden!« Fenoglio konnte die Sorge in seiner Stimme nicht verbergen. »Das ist viel zu früh! Wartet noch!«
Aber Cosimo lächelte nur. »Der Mond ist rot, Dichter! Die Wahrsager halten das für ein gutes Zeichen. Ein Zeichen, das man nicht verstreichen lassen darf, sonst schlägt es in Unheil um.«
Was für ein Unsinn! Fenoglio senkte den Kopf, damit Cosimo ihm den Ärger nicht vom Gesicht ablas. Er wusste ohnehin, dass ihm die Vorliebe des jungen Königs für Wahrsager und Kartenleger ein Ärgernis war, dass er sie alle für eine Bande goldgieriger Betrüger hielt. »Ich sage es noch einmal, Euer Gnaden!« Wie oft hatte Fenoglio die Warnung nun schon wiederholt, langsam schmeckte sie schal. »Das Einzige, was Euch Unglück bringen wird, ist ein zu früher Aufbruch!«
Aber Cosimo schüttelte nur nachsichtig den Kopf. »Ihr seid ein alter Mann, Fenoglio«, sagte er, »Euer Blut fließt schon langsam, aber ich bin jung! Worauf soll ich warten? Dass der Natternkopf ebenfalls Söldner anwirbt und sich auf der Nachtburg verbarrikadiert?«
Vermutlich hat er das längst getan, dachte Fenoglio. Und deshalb musst du auf die Worte warten, auf meine Worte, und dass Meggie sie liest, so wie sie dich hergelesen hat. Warte auf ihre Stimme! »Nur ein, zwei Wochen noch, Euer Gnaden!«, sagte er eindringlich. »Eure Bauern müssen die Ernte einbringen. Wovon sollen sie sonst im Winter leben?«
Aber solche Dinge wollte Cosimo nicht hören. »Das ist wahrlich das Gerede eines alten Mannes!«, sagte er ärgerlich. »Wo sind Eure feurigen Worte hin? Von den Vorräten des Natternkopfes werden sie leben, vom Glück unseres Sieges, von dem Silber auf der Nachtburg, das ich in den Dörfern verteilen lassen werde!«
Silber können sie nicht essen, Euer Gnaden, dachte Fenoglio, aber er sprach die Worte nicht aus. Stattdessen blickte er zum Himmel hinauf. Gott, wie hoch der Mond schon stand!
Aber Cosimo hatte noch etwas anderes auf dem Herzen.
»Was ich Euch schon lange fragen wollte«, sagte er, gerade als Fenoglio sich mit irgendeiner gestammelten Entschuldigung verabschieden wollte. »Ihr habt doch so gute Verbindungen zu den Spielleuten. Alle reden von diesem Feuerspucker, der angeblich mit den Flammen reden kann.«
Fenoglio sah aus dem Augenwinkel, wie Brianna den Kopf senkte. »Redet Ihr von Staubfinger?«
»Ja, so ist sein Name. Ich weiß, er ist Briannas Vater.« Cosimo warf ihr einen zärtlichen Blick zu. »Aber sie will nicht über ihn reden. Außerdem sagt sie, dass sie nicht weiß, wo er ist. Aber vielleicht wisst Ihr es?« Cosimo tätschelte seinem Pferd den Hals. Sein Gesicht schien zu brennen vor Schönheit.
»Warum? Was wollt Ihr von ihm?«
»Nun, liegt das nicht auf der Hand? Er kann mit dem Feuer sprechen! Sie sagen, er kann die Flammen wachsen lassen, meterhoch, ohne dass sie ihn verbrennen.«
Fenoglio begriff, bevor Cosimo es aussprach. »Ihr wollt Staubfinger für Euren Krieg.« Er konnte es nicht verhindern, er lachte laut auf.
»Was ist daran so komisch?« Cosimo runzelte die Stirn.
Staubfinger, der Feuertänzer, als Waffe! Fenoglio schüttelte den Kopf.
»Nun«, sagte er. »Ich kenne Staubfinger recht gut.« Er sah, wie erstaunt Brianna ihn ansah. »Und er ist vieles, aber ganz gewiss kein Krieger. Er würde Euch auslachen.«
»Nun, das sollte er besser nicht.« Der Ärger in Cosimos Stimme war nicht zu überhören. Brianna aber sah Fenoglio an, als hätte sie tausend Fragen auf der Zunge. Als ob dafür jetzt Zeit wäre!