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»Was habt ihr mit dem Jungen gemacht?«, fragte Mo.

»Oh, ich glaube, der steckt gleich nebenan. Cockerell wird ihn morgen einer kleinen Feuerprobe unterziehen, danach wissen wir, ob er zu gebrauchen ist.«

Mo setzte sich auf. »Eine Feuerprobe?«, fragte er, seine Stimme klang bitter und höhnisch zugleich. »Na, die kannst du ja wohl kaum gemacht haben. Du fürchtest dich doch sogar vor Staubfingers Streichhölzern.«

»Hüte deine Zunge!«, zischte Basta ihn an. »Noch ein Wort und ich schneid sie dir ab, auch wenn sie noch so wertvoll ist.«

»Nein, das wirst du nicht«, sagte Mo, während er aufstand. Er ließ sich Zeit damit, den Becher mit dampfendem Tee zu füllen.

»Vielleicht nicht.« Basta senkte die Stimme, als hätte er Angst, belauscht zu werden. »Aber dein Töchterchen hat auch eine Zunge und die ist nicht so wertvoll wie deine.«

Mo warf den Becher mit dem heißen Tee nach ihm, doch Basta zog die Tür so schnell zu, dass der Becher daran zerschellte. »Schöne Träume wünsch ich!«, rief er von draußen und schob den Riegel vor. »Ich lass dir einen neuen Becher bringen. Und morgen sehen wir uns wieder.«

Keiner von ihnen sagte ein Wort, als er fort war. Lange, lange Zeit nicht.

»Mo, erzähl mir was!«, flüsterte Meggie irgendwann.

»Was willst du hören?«, fragte er und legte ihr den Arm um die Schultern.

»Erzähl mir, wie wir in Ägypten sind«, wisperte sie, »wie wir nach Schätzen suchen und Sandstürme überstehen und Skorpione und all die furchtbaren Geister, die sich aus ihren Gräbern erheben, um ihre Schätze zu bewachen.«

»Ach, die Geschichte!«, sagte Mo. »Hab ich mir die nicht zu deinem achten Geburtstag ausgedacht? Sie ist ziemlich finster, soweit ich mich erinnere.«

»Ja, sehr!«, sagte Meggie. »Aber sie geht gut aus. Alles geht gut aus, und wir kommen zurück, beladen mit Schätzen.«

»Die will ich auch hören!«, sagte Elinor mit zitternder Stimme. Vermutlich dachte sie immer noch an Bastas Messer.

Und so begann Mo zu erzählen, ohne das Knistern der Seiten, ohne das endlose Labyrinth der Buchstaben.

»Mo, beim Erzählen ist doch noch nie etwas herausgekommen, oder?«, fragte Meggie irgendwann besorgt.

»Nein«, antwortete er. »Dazu braucht es wohl etwas Druckerschwärze und einen fremden Kopf, der sich die Geschichte ausgedacht hat.« Und dann erzählte er weiter und Meggie und Elinor lauschten, bis seine Stimme sie weit, weit fortgebracht hatte. Und irgendwann schliefen sie ein.

Sie alle weckte dasselbe Geräusch. Es machte sich jemand am Schloss der Tür zu schaffen. Meggie glaubte ein unterdrücktes Fluchen zu hören.

»O nein!«, wisperte Elinor. Sie war als Erste auf den Beinen. »Jetzt holen sie mich! Die Alte hat sie überzeugt! Warum uns durchfüttern? Dich vielleicht«, sagte sie mit einem hektischen Blick auf Mo, »aber mich, wozu?«

»Geh da an die Wand, Elinor«, sagte Mo, während er Meggie hinter sich schob. »Bleibt alle von der Tür weg.«

Das Schloss sprang auf, mit einem dumpfen Klicken, und jemand stieß die Tür auf, gerade so weit, dass er sich hindurchschieben konnte. Staubfinger. Er warf einen letzten besorgten Blick nach draußen, dann zog er die Tür wieder hinter sich zu und lehnte den Rücken dagegen.

»Ich hab gehört, du hast es schon wieder getan, Zauberzunge!«, sagte er mit gesenkter Stimme. »Sie sagen, der arme Junge hat noch keinen Laut von sich gegeben. Ich kann es ihm nicht verden-ken. Glaub mir, es ist ein abscheuliches Gefühl, plötzlich in einer anderen Geschichte zu landen.«

»Was wollen Sie hier?«, fuhr Elinor ihn an. Staubfingers Anblick hatte ihr die Angst auf der Stelle vom Gesicht gewischt.

»Lass ihn, Elinor!« Mo schob sie zur Seite und trat auf Staubfinger zu. »Wie geht es deinen Händen?«, fragte er.

Staubfinger zuckte die Achseln. »Sie haben mir irgendeine Salbe draufgeschmiert, aber die Haut ist immer noch so rot wie die Flammen, die an ihr geleckt haben.«

»Frag ihn, was er hier sucht!«, zischte Elinor. »Und falls er nur hier ist, um uns zu erzählen, dass er nichts für den Schlamassel kann, in dem wir stecken, dann dreh ihm doch bitte den verlogenen Hals um.«

Als Antwort warf Staubfinger ihr einen Schlüsselbund zu. »Was denken Sie, warum ich hier bin?«, fuhr er sie an, während er das Licht ausschaltete. »Es war nicht leicht, Basta die Autoschlüssel zu stehlen, und ein Dankeschön wär vielleicht angebracht, doch das können wir gern später erledigen. Jetzt sollten wir nicht länger herumstehen, sondern verschwinden.« Vorsichtig öffnete er die Tür und lauschte nach draußen. »Oben auf dem Kirchturm ist eine Wache«, flüsterte er, »aber der Posten beobachtet die Hügel und nicht das Dorf. Die Hunde sind in ihrem Zwinger, und für den Fall, dass wir doch mit ihnen zu tun bekommen, mögen sie mich zum Glück mehr als Basta.«

»Warum sollten wir ihm plötzlich trauen?«, flüsterte Elinor. »Was, wenn wieder irgendeine Teufelei dahinter steckt?«

»Ihr sollt mich mitnehmen! Das ist alles, was dahinter steckt!«, fuhr Staubfinger sie an. »Ich habe hier nichts mehr zu schaffen! Capricorn hat mich betrogen. Er hat das bisschen Hoffnung, das ich noch hatte, in Rauch aufgehen lassen! Mit mir kann er es ja machen, denkt er, Staubfinger ist nur ein Hund, den man treten kann, ohne dass er zurückbeißt, aber da täuscht er sich. Er hat das Buch verbrannt, also nehme ich ihm den Vorleser wieder weg, den ich ihm gebracht habe. Und was Sie betrifft« - er stieß Elinor den verbrannten Finger vor die Brust - »Sie kommen mit, weil Sie ein Auto haben. Aus diesem Dorf entkommt man nicht zu Fuß, nicht Capricorns Männern und schon gar nicht den Schlangen, die in den Hügeln herumkriechen. Aber ich kann nicht fahren, also ...«

»Na bitte, wusste ich's doch!« Elinor vergaß fast, die Stimme zu senken. »Er will nur seine eigene Haut retten. Deshalb hilft er uns! Er hat nicht etwa ein schlechtes Gewissen, o nein, woher denn?«

»Mir ist egal, warum er uns hilft, Elinor«, unterbrach Mo sie ungeduldig. »Hauptsache, wir kommen hier weg. Aber wir werden noch jemanden mitnehmen.«

»Mitnehmen? Wen?« Staubfinger sah ihn beunruhigt an.

»Den Jungen. Den Jungen, dem ich dasselbe Schicksal beschert habe wie dir«, antwortete Mo, während er sich an ihm vorbei nach draußen schob. »Basta hat gesagt, er steckt gleich nebenan, und für deine geschickten Finger ist ein Schloss ja kein Hindernis.«

»Diese geschickten Finger habe ich mir heute verbrannt!«, zischte Staubfinger verärgert. »Aber wie du willst. Dein weiches Herz wird uns noch den Hals kosten.«

Hinter der Tür mit der 5 war ein leises Rascheln zu hören, als Staubfinger dagegen klopfte. »Sieht so aus, als wollten sie ihn doch am Leben lassen!«, flüsterte er, während er sich an dem Schloss zu schaffen machte. »Die Todeskandidaten sperren sie in die Gruft unter der Kirche. Basta wird jedes Mal blass wie eine Brotmade, wenn Capricorn ihn dort runterschickt, seit ich mir den Spaß gemacht habe, ihm zu erzählen, dass eine Weiße Frau zwischen den Steinsärgen spukt.« Bei der Erinnerung kicherte er leise, wie ein Schuljunge, dem ein besonders guter Streich gelungen ist.

Meggie blickte zur Kirche hinüber. »Töten sie oft jemanden?«, fragte sie leise.

Staubfinger zuckte die Achseln. »Nicht so oft wie früher. Aber es kommt vor ...«

»Hör auf, ihr solche Geschichten zu erzählen!«, raunte Mo. Er und Elinor ließen den Kirchturm nicht aus den Augen. Der Wachtposten hockte hoch oben auf der Mauer, gleich neben der Glocke. Meggie wurde schon schwindelig vom Hinaufsehen.

»Das sind keine Geschichten, Zauberzunge, das ist die Wahrheit! Erkennst du sie schon nicht mehr, wenn du sie siehst? Ja, sie ist ein hässliches Mädchen. Man schaut ihr nicht gern ins Gesicht.« Staubfinger trat von der Tür zurück und verbeugte sich. »Bitte sehr. Das Schloss ist auf. Ihr könnt ihn herausholen.«

»Geh du hinein!«, flüsterte Mo Meggie zu. »Vor dir wird er am wenigsten Angst haben.«