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Staubfinger musterte erst ihn und dann Meggie mit ungläubigem Gesicht. »Du hast ihr nichts erzählt?«, hörte Meggie ihn mit gesenkter Stimme fragen.

Mo schüttelte den Kopf.

»Aber etwas musst du ihr sagen! Es ist gefährlich, wenn sie nichts weiß. Schließlich ist sie kein kleines Kind mehr.«

»Es ist auch gefährlich, wenn sie es weiß«, antwortete Mo. »Und es würde nichts ändern.«

Meggie stand immer noch auf der Straße. »Ich hab alles gehört, was ihr da redet!«, rief sie. »Was ist gefährlich? Ich steige nicht ein, bevor ich es nicht weiß.«

Mo sagte immer noch nichts.

Staubfinger sah ihn einen Moment lang unschlüssig an, dann stellte er seine Taschen wieder ab. »Also gut«, sagte er. »Dann erzähle ich ihr von Capricorn.«

Langsam kam er auf Meggie zu. Sie machte unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Du bist ihm schon begegnet«, sagte Staubfinger. »Es ist lange her, du wirst dich nicht erinnern, du warst noch so klein.« Er hielt die Hand auf Kniehöhe. »Wie soll ich dir erklären, wie er ist? Wenn du sehen müsstest, wie eine Katze einen jungen Vogel frisst, würdest du vermutlich weinen, nicht wahr? Oder versuchen ihm zu helfen. Capricorn würde den Vogel an die Katze verfüttern, nur um zu sehen, wie sie ihn mit ihren Krallen zerreißt, und das Schreien und Zappeln des kleinen Dings würde ihm schmecken wie Honig.«

Meggie stolperte noch einen Schritt zurück, aber Staubfinger kam weiter auf sie zu.

»Ich nehme nicht an, dass du Spaß daran hast, Menschen Angst zu machen, bis ihre Knie so sehr zittern, dass sie kaum noch stehen können?«, fragte er. »Capricorn findet an nichts mehr Vergnügen. Du glaubst vermutlich auch nicht, dass du dir alles, was du willst, einfach nehmen kannst, egal wie, egal wo. Capricorn glaubt das schon. Und bedauerlicherweise besitzt dein Vater etwas, das er unbedingt haben will.«

Meggie blickte zu Mo hinüber, aber der stand nur da und sah sie an.

»Capricorn kann keine Bücher binden wie dein Vater«, führ Staubfinger fort. »Er versteht sich auf nichts besonders gut, nur auf das eine: das Angstmachen. Darin ist er der Meister. Er lebt davon. Obwohl ich glaube, dass er selbst gar nicht weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Angst einem die Glieder lähmt und klein macht. Aber er weiß ganz genau, wie man sie ruft und verbreitet, in Häusern und Betten, in Herzen und Köpfen. Seine Männer tragen die Angst aus wie schwarze Post, sie schieben sie unter die Türen und in die Briefkästen, pinseln sie an Mauern und Stalltüren, bis sie sich ganz von selbst verbreitet, lautlos und stinkend wie die Pest.« Staubfinger stand jetzt ganz dicht vor Meggie. »Capricorn hat viele Männer«, sagte er leise. »Die meisten sind bei ihm, seit sie Kinder waren, und sollte Capricorn einem von ihnen befehlen, dir ein Ohr oder die Nase abzuschneiden, so wird der es ohne ein Wimpernzucken tun. Sie kleiden sich gern schwarz wie die Saatkrähen, nur ihr Anführer trägt ein weißes Hemd unter der rußschwarzen Jacke, und solltest du jemals einem von ihnen begegnen, dann mach dich klein, ganz klein, damit sie dich vielleicht übersehen. Verstanden?«

Meggie nickte. Sie konnte kaum atmen, so heftig schlug ihr Herz.

»Ich kann verstehen, dass dein Vater dir nie von Capricorn erzählt hat«, sagte Staubfinger und blickte sich zu Mo um. »Ich würde meinen Kindern auch lieber von netten Menschen erzählen.«

»Ich weiß, dass es nicht nur nette Menschen gibt!« Meggie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme vor Ärger zitterte. Vielleicht war auch etwas Angst dabei.

»Ach ja? Woher?« Da war es wieder, das rätselhafte Lächeln, traurig und überheblich zugleich. »Hast du es etwa schon einmal mit einem richtigen Bösewicht zu tun gehabt?«

»Ich hab von ihnen gelesen.«

Staubfinger lachte auf. »Nun, stimmt, das ist fast dasselbe«, sagte er. Sein Spott brannte wie Brennnesselgift. Er beugte sich zu Meggie herunter und sah ihr ins Gesicht. »Ich wünsche dir trotzdem, dass es beim Lesen bleibt«, sagte er leise.

Mo verstaute Staubfingers Taschen ganz hinten im Bus. »Ich hoffe, du hast da nichts drin, was uns um die Ohren fliegen könnte«, sagte er, während Staubfinger sich hinter Meggies Sitz hockte. »Bei deinem Handwerk würde mich das nicht wundern.«

Bevor Meggie fragen konnte, was für ein Handwerk das war, öffnete Staubfinger seinen Rucksack und hob behutsam ein verschlafen blinzelndes Tier heraus. »Da wir offenbar eine längere gemeinsame Reise vor uns haben«, sagte er zu Mo, »möchte ich deiner Tochter jemanden vorstellen.«

Fast so groß wie ein Kaninchen war das Tier, aber viel schlanker, mit einem Schwanz, der buschig wie ein Pelzkragen gegen Staubfängers Brust drückte. Es bohrte schmale Krallen in seinen Ärmel, während es Meggie mit glänzend schwarzen Knopfaugen musterte, und als es gähnte, entblößte es nadelspitze Zähne.

»Das ist Gwin«, erklärte Staubfinger. »Wenn du willst, kannst du ihm die Ohren kraulen. Er ist gerade sehr schläfrig, da wird er schon nicht beißen.«

»Tut er das sonst?«, fragte Meggie.

»Allerdings«, sagte Mo, während er sich wieder hinter das Steuer schob. »Wenn ich du wäre, würde ich die Finger von dem kleinen Biest lassen.«

Aber Meggie konnte von keinem Tier die Finger lassen, selbst wenn es noch so spitze Zähne hatte. »Es ist ein Marder oder so was, stimmt's?«, fragte sie, während sie vorsichtig mit den Fingerspitzen über eins der runden Ohren strich.

»So etwas in der Art.« Staubfinger griff in die Hosentasche und schob Gwin ein Stück trockenes Brot zwischen die Zähne. Meggie kraulte den kleinen Kopf, während er kaute - und stieß mit den Fingerspitzen auf etwas Hartes unter dem seidigen Felclass="underline" winzige Hörner, gleich neben den Ohren. Erstaunt zog sie die Hand zurück. »Marder haben Hörner?«

Staubfinger zwinkerte ihr zu und ließ Gwin zurück in den Rucksack klettern. »Der hier schon«, sagte er.

Meggie beobachtete verwirrt, wie er die Riemen zuzog. Sie glaubte Gwins Hörnchen immer noch unter den Fingern zu spüren.

»Mo, wusstest du, dass Marder Hörner haben?«, fragte sie.

»Ach was, die hat Staubfinger dem bissigen kleinen Teufel angeklebt. Für seine Vorstellungen.«

»Was für Vorstellungen?« Meggie sah erst Mo und dann Staubfinger fragend an, aber Mo ließ nur den Motor an und Staubfinger zog seine Stiefel aus, die eine ebenso weite Reise hinter sich zu haben schienen wie seine Taschen, und streckte sich mit einem tiefen Seufzer auf Mos Bett aus. »Kein Wort, Zauberzunge«, sagte er, bevor er die Augen schloss. »Ich verrate nichts über deine Geheimnisse, aber dafür plauderst du auch nicht die meinen aus. Außerdem muss es für dieses erst dunkel werden.«

Meggie zerbrach sich bestimmt eine Stunde lang immer noch den Kopf darüber, was diese Antwort bedeuten könnte. Aber noch mehr beschäftigte sie eine andere Frage.

»Mo«, fragte sie, als Staubfinger hinter ihnen zu schnarchen begann, »was will dieser ... Capricorn von dir?« Sie senkte die Stimme, bevor sie den Namen aussprach, als könnte sie ihm damit etwas von seiner Bedrohlichkeit nehmen.

»Ein Buch«, antwortete Mo, ohne den Blick von der Straße zu wenden.

»Ein Buch? Warum gibst du es ihm nicht?«

»Das geht nicht. Ich werd es dir bald erklären, aber nicht jetzt. In Ordnung?«

Meggie blickte aus dem Busfenster. Die Welt, die vorbeizog, sah schon jetzt fremd aus - fremde Häuser, fremde Straßen, fremde Felder, selbst die Bäume und der Himmel sahen fremd aus, aber daran war Meggie gewöhnt. Noch nie hatte sie sich an einem Ort wirklich zu Hause gefühlt. Mo war ihr Zuhause, Mo und ihre Bücher und vielleicht noch dieser Bus, der sie von einem fremden Ort zum anderen brachte.

»Diese Tante, zu der wir fahren«, fragte sie, als sie durch einen endlos langen Tunnel fuhren, »hat sie Kinder?«

»Nein«, antwortete Mo. »Und ich fürchte, sie mag sie auch nicht besonders. Aber wie gesagt, du wirst schon mit ihr klarkommen.«