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Nach einigen Sekunden wurde sein Kopf klarer, und er konnte wieder denken. Er spürte, dass er sich in der Gewalt von vier Banditen befand – oder eher von vier betrunkenen Taugenichtsen, dem Gestank nach zu urteilen. Zwei von ihnen hieben mit hölzernen Werkzeugen, Rechen oder Hacken, auf ihn ein, damit er auf dem Rücken liegen blieb, während ein Dritter die Tasche seines Umhangs durchsuchte und der Vierte in seinem Gepäck herumwühlte, wobei er Laute der Enttäuschung ausstieß. Rath lag reglos da, stellte sich bewusstlos und sammelte sich, bis der Mann, der mit seiner Kleidung befasst war, das Messer fand. Er zog es aus der Wadenscheide und hielt es unter dem derben Gelächter der anderen hoch.

»Seht euch das mal an, Jungs!«, krähte der Bandit. »Der hat ’n kleines Messerchen! Nein, wie süß! Damit kann man bestimmt ’nen Apfel erschrecken!«

»Du weißt doch, was man über Männer mit kleinen Messerchen sagt, Abner …«

»Ja, der arme Kerl. Verdammt, der hat nich’ mal Schuhe an. Ist auch noch ’n Glatzkopf, hat kein einziges Haar. Wirklich ’n armer Kerl.«

Das Gelächter wurde noch wilder. »Gute Arbeit, Peter. Da haste jemanden zum Ausrauben genommen, der noch weniger hat als wir. Was sollen wir mit dem?«

Einer der Banditen warf seine Hacke zu Boden und ergriff wütend das Messer.

»In einer Minute wird er noch weniger haben«, sagte er nur. Er schob den ersten Mann beiseite und griff nach Raths Robe unterhalb der Hüfte.

Mit windgeborener Schnelligkeit packte Rath den Räuber am Handgelenk und hielt ihn in dem schraubstockartigen Griff, der seiner Art zu eigen war. Mit grimmiger Befriedigung drückte er die Knochen gegeneinander und spürte, wie sie aus den Gelenken sprangen. Der Mann keuchte abgerissen und jaulte dann vor Schmerzen auf. Es war ein scheußlicher Laut, der an Raths Haut kratzte.

Er drehte dem Mann den Arm in einem unmöglichen Winkel um und schlitzte ihm mit seiner eigenen Hand, in der noch das Messer steckte, die Kehle bis zu den Knochen auf.

Die drei anderen Banditen erstarrten, als das Blut aus dem Hals ihres Kameraden spritzte und sie besprengte.

Rath stand vom Boden auf, trat den Leichnam beiseite, der im rosig gefärbten Schnee lag, ergriff sein Bündel und suchte rasch die Luft nach einem passenden Auftrieb ab. Er öffnete den Mund und stieß ein seltsames Summen aus; es war der Ruf, der jede zufällig vorbeiwehende Brise herbeibefahl.

Eine südöstliche Brise erfüllte seine Ohren und ertränkte die tierartigen Laute des Entsetzens, welche die verbliebenen Räuber ausstießen. Rath setzte seine Kapuze auf, bereitete sich auf die Abreise vor und senkte den Blick, um noch einmal seine Angreifer zu betrachten. Stumm verfluchte er sich, weil er von solch kläglichen Vertretern der Menschheit überrascht worden war. Vor seinen Augen verwandelte sich das Gesicht eines der Männer von der Maske des Entsetzens zu einem Ausdruck schwärzester Wut. Er kämpfte sich auf die Beine und sprang Rath wild an, während er sogleich von seinen wehklagenden Gefährten angefeuert wurde. »Pack ihn, Abner! Pack diesen verdammten Bast …« Raths Augen verengten sich in seinem kantigen Gesicht. Er änderte die Art der Schwingung, die er zum Herbeirufen des Windes benutzt hatte, zu einem misstönigen Brummen. Dabei verstärkte er die Modulation und erhöhte die Frequenz, und zusätzlich unterbrach er diesen Ton mit einem harschen Klacken seines Kehldeckels.

Die beiden Männer, die noch auf dem Boden hockten, kreischten vor Schmerz auf und packten sich an die klopfenden Schläfen, an denen die Adern zu platzen drohten. Rath griff nach unten und packte den Mann, der ihn angesprungen hatte, mit eisernem Griff am Nacken; dann trat er in die offene Tür des Windes.

Der Aufwind war sehr stark und hob ihn hoch hinaus. Rath erlaubte ihm, ihn selbst und seinen sich windenden Passagier in eine Höhe von zwanzig Fuß zu tragen. Dann ließ er den Mann los. Abner fiel mit dem Kopf voran auf seine Gefährten. Der Aufschlag hörte sich an, als werde eine Melone gewaltsam geöffnet. Der rosafarbene Schnee unter ihnen färbte sich dunkelrot.

Kein unangenehmer Anblick von hier oben, dachte Rath. Dann glitt er auf der Luftströmung wieder hinunter und über den Boden, wo der Wind kälter war. Er schloss die Augen und erlaubte dem Wind, ihn zuerst nordwärts zu tragen, dann nach Osten, wo er, sobald er wieder am Boden wäre, erneut nach dem Mann mit dem toten Namen suchen würde.

Nach Ysk.

Nach seiner nächsten Beute.

11

Haguefort, Navarne

Sobald sich das Konzil aufgelöst hatte, gingen der Herr und die Herrin der Cymrer gemeinsam zum Kammerherrn von Haguefort.

Gerald Owen war ein älterer Cymrer und hatte bereits mehreren Generationen der Familie von Navarne gedient. Er legte großen Wert auf Tüchtigkeit und Etikette und war stolz auf die übertriebene Genauigkeit, mit der er seine Untergebenen leitete. Er war gerade dabei, die junge Herrin Navarne für das Bett vorzubereiten, als sein Herr und seine Herrin in der Halle erschienen.

»Owen?«, rief Ashe, als sie sich ihm näherten.

Gerald Owen drehte sich überrascht um. »Ja, Herr?«

Ashe nahm den alten Kammerherrn beiseite. »Pack Melisandes Sachen und nimm auch für dich selbst genug für eine kleine Reise mit.« Er sah hinüber zu der jungen Herrin von Navarne, deren Gesicht bei seinen Worten blass geworden war. Rhapsody legte den Arm um die Schulter des Mädchens. »Du wirst sie zum Kreis im Gwynwald bringen, wo du sie in die Obhut Gavins, des Fürbitters der Filiden, geben wirst. Dann kehrst du nach Haguefort zurück, versammelst die Bediensteten und weist sie schriftlich an, sich zum Aufbruch bereit zu machen, bevor du wieder losziehst. Sie werden bei deiner Rückkehr bereits in der Festung in der Hohen Warte sein.«

»Ja, Herr«, sagte der alte Kammerherr sanft, doch seine Hände zitterten. »Wann soll die junge Herrin Navarne aufbrechen?«

Ashe warf Rhapsody einen raschen Blick zu. »Vor Sonnenaufgang«, entschied er, drehte sich um und verließ den Raum. Gerald Owen verneigte sich schnell vor Rhapsody und folgte ihm.

»Ihr … ihr schickt mich weg nach Gwynwald … allein?«, stammelte Melisande.

Rhapsody kniete sich und drehte das zitternde Mädchen so um, das es vor ihr stand.

»Psst«, flüsterte sie. »Ja. Hab keine Angst. Ich schicke dich auf eine Mission.«

Melisandes schwarze Augen, die eben noch vor Schreck geweitet gewesen waren, blinzelten, und in der nächsten Sekunde funkelten sie vor Neugier.

»Auf eine Mission? Eine richtige Mission?«

»Ja«, antwortete Rhapsody ernsthaft. »Warte einen Augenblick, dann werde ich dir alles darüber erzählen.«

Sie schloss die Augen und streckte beide Hände nach Melisande aus, die diese aufgeregt ergriff. Dann begann sie mit einem leisen Lied und sang in einer Sprache, die ihr Lehrer in der Kunst des Gesangs ihr vor mehr als tausend Jahren beigebracht hatte. Dies war eine Wissenschaft, die nur dem Volk ihrer Mutter, den Liringlas, bekannt war, die in der gewöhnlichen Sprache Sternensänger genannt wurden.

Die Luft im Raum wurde plötzlich trocken, als das Wasser aus ihr herausgezogen wurde, und um die beiden bildete sich ein dünner Nebelkreis, der wie Morgentau im Sonnenlicht erglänzte. Einen Moment später drangen Rhapsodys Worte in unregelmäßigen Intervallen durch den Dunst und schichteten sich übereinander, bis der Raum dahinter von einer leisen Kakophonie erfüllt war. Melisande hatte dieses Phänomen schon früher beobachtet. Rhapsody rief einen solchen Kreis aus verhüllendem Lärm immer dann ins Leben, wenn sie beide sich etwas zuflüsterten, miteinander kicherten oder sich Geheimnisse mitteilten, sodass kein Lauscher etwas davon verstehen konnte. Ganz tief in ihrem Innern wusste sie, dass diese Tage nun zu einem Ende gekommen waren.

Als Rhapsody überzeugt war, dass ihre Worte nicht mehr nach draußen dringen konnten, öffnete sie die Augen und schaute auf die kleine Herrin von Navarne hinunter.