Aber du musst sie früher einmal geliebt haben.
Nein. Für eine so kluge Frau kannst du bezaubernd naiv sein, Rhapsody.
Warum habt ihr dann geheiratet?
Sie war eine hübsche Frau aus einer alten Familie, und sie hatte hohe Grundsätze. Falls sie mich je betrogen hat, habe ich es nie erfahren, und ich glaube, es wäre mir nicht unbekannt geblieben. Ich habe ihr ebenfalls bis zu ihrem Tod die Treue gehalten.
Dieser ehrliche Zynismus hatte ihr wehgetan.
Das ist alles? Warum?, hatte sie ihn gefragt.
Eine verständliche Frage. Ich fürchte, ich habe keine Antwort darauf.
Hattet ihr Kinder?
Nein. Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, Rhapsody. Du kennst sicherlich meine Familie und weißt, dass wir nicht gerade eine sehr romantische Geschichte haben. Von Anfang an hatten Sex und Paarbildung in unserer Familie etwas mit Macht und Kontrolle zu tun, und so ist es bis heute geblieben. Ich kann nicht vorhersehen, wann sich das ändern wird. Du musst wissen, dass Drachenblut dominant ist.
Die Grausamkeit dieser Bemerkung hatte sie bis heute nicht vergessen.
Ashe zog sie näher an sich heran. »Vergib mir, wenn ich in diesen letzten Augenblicken vor unserer Trennung sage, dass es mir völlig egal ist, wen Anborn je geküsst hat – auch wenn es ziemlich unangenehm war, mit ansehen zu müssen, dass du dazugehörst.«
Sie schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen zu vertreiben, und lächelte ihren Mann an.
»Uns bleiben nur noch ein paar flüchtige Augenblicke – entweder wird der Quartiermeister bald verkünden, dass Tiere und Gepäck bereit sind, oder das Kind wacht schreiend in Grunthors Armen auf, und wir müssen sie beide retten. Vielleicht sollten wir Anborn erst einmal vergessen und uns nur um uns selbst kümmern, solange ich noch hier bin.«
»Einverstanden«, sagte der cymrische Herrscher. Ohne ein weiteres Wort hob er seine Frau hoch und legte sie vorsichtig auf das Hochzeitsbett, dann streckte er sich neben ihr aus. Er nahm ihr kleines Gesicht zwischen seine Hände und schaute hinunter auf sie, als wolle er sich jeden ihrer Züge einprägen, so wie er es jede Nacht während der letzten vier Jahre ihres Zusammenseins getan hatte. Die senkrechten Pupillen in seinen Augen zogen sich unter dem Kerzenschein zusammen, und die himmelblaue Iris glänzte viel stärker, als es bei einem gewöhnlichen Menschen je der Fall sein konnte.
Es war der Drache in seinem Blut, der sie nun betrachtete, wie Rhapsody wusste. Diese Natur war ihr sowohl fremd als auch vertraut; sie wollte jedes Wesen und jeden Gegenstand besitzen, den sie als Schatz erachtete. Rhapsody spürte, wie ihre Haut unter den Schwingungen seiner inneren Sinne prickelte, welche sogar die Länge ihrer Wimpern, die Anzahl ihrer Atemzüge und den Rhythmus ihres Herzens in sich aufnahmen. Sie fühlte seine Besorgnis steigen und wusste, dass ihm klar war, wie sehr die Geburt sie geschwächt und wie viel Blut sie verloren hatte. Ihre Gesundheit war brüchig geworden. Die Drachin Elynsynos, zu deren Nest Rhapsody von Ashe in jenem lange vergangenen wundervollen Frühling geführt worden war, hatte ihr Einsichten in diese Eigenschaften des Mannes verschafft, dessen Seele sie teilte.
Drachen sind nicht habgierig – wir verlangen nicht viel, meine Schöne, und wollen nur das haben, von dem wir glauben, dass es rechtmäßig uns gehört. Wir alle sind Teil eines Schildes, der die gesamte Welt schützt, und doch wünschen wir nichts auf dieser Welt unser Eigen zu nennen. Das, was Teil unseres Hortes, unseres Schatzes ist, ist nicht unser Gefangener. Wir hüten es eifersüchtig, doch nur weil wir es mit allem lieben, was in uns ist. Was die Menschen als besitzergreifend ansehen, ist für die Drachen die reinste Form der Liebe. Das ist so, egal ob es sich bei dem Schatz um eine einzelne Münze, ein lebendes Wesen oder eine ganze Nation handelt.
Aufgrund ihres eigenen unabhängigen Temperaments hatte Rhapsody dieses Element seiner Natur begriffen und wusste, dass er jeden Tag dagegen ankämpfte, damit die Drachenseite seines Selbst sie weder ängstigte noch unterjochte. Als sie nun wieder in seine Augen blickte, sah sie bis in seine Seele, und in ihrer eigenen verspürte sie ein überwältigendes Gefühl drohenden Verlustes. Sie hatte gelernt, ihn auf dieselbe Weise als ihren Schatz zu betrachten.
Ashe sah die Tränen in ihren Augen glitzern, bemerkte den Kloß in ihrem Hals und glitt mit den Fingern tiefer in ihre Haare. Er nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und drückte seinen Mund auf ihren. Die Zeit blieb stehen, als sie einen Atemzug teilten. Dieser musikalische Rhythmus des Ein- und Ausatmens war das Lied ihres gemeinsamen Lebens.
Als sich ihre Lippen trennten, sah er, dass ihr blasses Gesicht voller Tränen war, die sie so lange krampfhaft zurückgehalten hatte. Seine Drachensinne hatten ihr Weinen bereits bemerkt, doch der Anblick ihrer Tränen presste sein Herz jedes Mal stärker zusammen, als er ertragen konnte. Etwas in ihm empfand sie sogar noch schöner, wenn sie weinte, als wenn sie lächelte, und dieser Gedanke beunruhigte ihn sehr. Er zog sie näher an sich heran, während sie das Gesicht in seiner Schulter vergrub, und Ashe war froh, dass er sie nicht mehr ansehen musste.
»Eine Viertelstunde, nicht mehr«, murmelte sie. »Warum haben wir immer so wenig Zeit füreinander? Wir sind andauernd nur ein paar Herzschläge lang zusammen, bevor wir wieder getrennt werden. Wie soll ich es aushalten, unser Kind abermals zu verlieren? Ich habe Angst, Sam. Ich habe wirklich Angst, dass es diesmal mehr sein wird, als du ertragen kannst, ob du nun Mensch oder Drache bist. Ich weiß, dass ich es nicht aushalten würde, wenn du es wärest, der abreist und das Kind mitnimmt.«
Der cymrische Herrscher stieß langsam die Luft aus. Er hatte soeben voller Furcht über dasselbe nachgedacht.
»Ich werde mich an den wenigen Trost halten, der mir bleibt: an das Wissen, dass du und Meridion in Sicherheit seid, was auch immer kommen mag. Wenn der Drache in mir ungeduldig und wütend wird, werde ich mir in Erinnerung rufen, dass ich dich und das Glück, das du mir von Anfang an geschenkt hast, nie verdient hatte.« Er legte die Hand über ihren Mund, um ihre Einwände zu unterdrücken. »Du magst mich lieben, Rhapsody, aber du weißt nicht, wie sehr ich dich liebe. Die Unzulänglichkeit meiner Zunge hält mich davon ab, es in Worte zu kleiden. Jedes Mal, wenn ich dir unrecht getan habe, wenn ich einen Fehler begangen habe, wenn ich es zugelassen habe, dass du leiden musst, hat es ein tieferes Loch des Bedauerns in mich gebohrt, das sich wie alles in mir mit dem beständig größer werdenden Verlangen füllt, in deiner Nähe zu sein. Manchmal glaube ich, dass mein Atem zu Eis erstarren wird, wenn ich dich einmal verletzen sollte, auch wenn es unbeabsichtigt geschähe. Es würde die Gefahr einer solchen Verletzung bedeuten, wenn ich dich jemand anderem als Achmed und Grunthor anvertrauen würde – und das könnte ich weniger als alles andere ertragen. Ich bitte dich um des All-Gottes willen, bring weder dich noch unser Kind in Gefahr. Das Wissen darum, dass ihr in Sicherheit seid, wenn die Welt auseinander bricht, ist das Einzige, das mich davon abhält, meinem Vater in den Äther zu folgen – oder vielleicht an ein Ende zu kommen, das dem seinen nicht unähnlich ist.«
Rhapsody versteifte sich. »Gute Götter, so etwas darfst du niemals laut aussprechen«, keuchte sie, doch in seinen Augen erkannte sie die Wahrhaftigkeit seiner Worte und wusste, dass er nicht übertrieb.
Ashe lächelte und fuhr mit seiner schwieligen Hand durch ihr glänzendes Haar.
»Oh, da ist noch etwas anderes. Ich habe bisher nicht das Versprechen eingelöst, das ich dir vor langer Zeit gegeben habe: dass ich dich an dem Tag, an dem all das hier vorbei ist und andere Personen die Last der Führerschaft übernommen haben – und keinen Tag später – in den Wald und auf die Lichtung deiner Wahl bringen und dir dort die Schäferhütte errichten werde, nach der du dich schon so lange sehnst. Dort werden wir ein einfaches Leben führen, unsere Kinder aufziehen und vergessen, dass es jenseits unserer Hecke noch eine Welt gibt.«