»Hab da ’ne Neuigkeit, die du vielleicht hören willst«, sagte Grunthor gelassen, als Rhapsody und Ashe sich Lebewohl sagten. »Während du weg warst, hat sich die Großmama vom alten Ashe, diese verdammte Drachin Anwyn, auf den Weg zum Bolgland gemacht und versucht, bei uns reinzukommen. Mach dir aber keine Sorgen, wir haben sie ganz leicht zurückgeschlagen.«
»Wie ist denn das gelungen?«, fragte Achmed ungläubig. »Ich besitze die einzige Waffe im ganzen Bolgland, die in der Lage ist, Drachenhaut zu durchdringen, und die trage ich bei mir. Wie habt ihr sie vertrieben?«
»Wir haben die Fließrichtung im Abwasserkanal umgedreht und sie mitsamt dem ganzen Hrekin aus den Tunneln gepumpt«, antwortete Grunthor. »War ungefähr hunderttausend Gallonen Inhalt von Bolg-Hintern, das war wohl ’ne angemessene Waffe. Außerdem haben Drachen ziemlich scharfe Sinne, wenn ich mich richtig erinnere. Das hat sie ziemlich verblüfft. Hat ’ne richtige Sauerei gegeben, die wir eigentlich aufräumen wollten, bevor du nach Hause kommst, aber wir haben uns entschieden, dass es ’ne nette Verteidigung abgibt. Also haben wir ’ne Barriere draus gemacht, die jetzt den Ort hübsch einstinkt. Dieses Biest kommt so schnell nicht wieder zurück.«
»Und du hast vergessen, das auf dem Kriegskonzil zu erwähnen?«, fragte Achmed erheitert.
»Jawoll«, meinte Grunthor. »Wenn alle gewusst hätten, dass die Drachin schon im Bolg-Land war, dann hätte Rhapsodys Mann sie bestimmt nich’ gehen lassen. Doch meiner Meinung nach ist sie bei uns am sichersten, Drachin hin oder her.«
»Da stimme ich dir zu«, sagte Achmed und stieg auf sein Pferd. »Es wird interessant sein, ihre Reaktion auf deine neue Barrikade zu beobachten. Rhapsody erachtet Sauberkeit als heilig. Wir sollten jetzt aufbrechen, sobald Ashe seine Lippen von ihr und dem kreischenden Balg losreißen kann.«
14
Die Kohorte der Zweiten Bergwacht von Sorbold hielt an jener Stelle an, wo die nach Norden in die Provinz Canderre hineinführende Straße die waldige Handelsroute kreuzte, die von Osten und den Waldländern von Navarne bis zur Hauptstadt von Bethania führte.
Der Wind war kalt, aber der Himmel war klar. Wegen der Dunkelheit und den im Winter kaum anzutreffenden Reisenden war ihre Reise von der südlichen Heimat bis hierher kaum bemerkt worden. Sie hatten sich jedes verirrten Kaufmanns oder Bauern mit Leichtigkeit entledigt, was wie erwartet in dem nur spärlich besiedelten Gebiet zu keinerlei größerem Aufruhr geführt hatte.
Als sie sich allmählich der Festung in dem ummauerten Dorf Haguefort näherten, gab der Kommandant still den Befehl, heimlich über die Waldstraße zu gehen und sich in Einer- und Zweierreihen im Schutz des Waldrandes zu halten, wobei sie keinesfalls die Aufmerksamkeit der Patrouillen erregen durften, die sicherlich im ganzen Gebiet verteilt waren und das Heim von Gwydion von Manosse, dem cymrischen Herzog, bewachten.
Und das seiner Familie.
Schweigend gab der Kommandant seinen Truppen ein Zeichen, und sie folgten ihm beinahe lautlos in den Wald. Ihre Reittiere hatten einen sicheren Tritt und verursachten kaum ein Geräusch.
Sie hatten bereits den größten Teil einer Meile hinter sich gebracht, als sie Pferde im Wald nördlich von ihnen herannahen hörten.
Rasch gab der Kommandant zweien seiner Späher ein Zeichen und stieg ab. Sie folgten ihm und glitten ebenfalls aus dem Sattel, während der Rest der Kohorte tiefer im Wald leise zum Halten kam.
Der Kommandant und die Späher überquerten die Waldstraße und krochen durch das Unterholz, das trocken und tot vom Schnee war, der diesen Teil des Kontinents noch im Griff hielt. Hier war es so anders als in ihrer trockenen und unfruchtbaren Bergheimat. Mühelos huschten sie durch den Wald, denn dazu waren sie unter großem Aufwand ausgebildet worden. Im dichten Unterholz aus Immergrün blieben sie stehen und warteten.
Hinter den Bäumen am Rande ihres Blickfelds befand sich ein Waldpfad, eine schmale Route, auf der die Bauern reisten, wenn sie die Hauptstraße vermeiden oder die Früchte des Waldes, nämlich Beeren und Kräuter, ernten oder jagen wollten. Nun war von Westen das Geräusch einiger Pferde im vollen Galopp zu vernehmen. Die drei Soldaten duckten sich tiefer und warteten.
Nach einigen Augenblicken kamen die Pferde und ihre Reiter in Sichtweite. Es waren vier Tiere, zwei leichte Reitpferde und zwei schwere. Auf je einem von ihnen saßen Reiter, die anderen beiden trugen das Gepäck. Der Mann auf dem schweren Pferd war unglaublich groß und breit; sein Tier atmete keuchend.
Die Reisenden verloren keine Zeit. Sie überquerten den Waldpfad und wurden schneller, als sich der Wald ausdünnte; dann verschwanden sie in der Ferne.
Der Kommandant stand rasch auf.
»Nimm das dritte Fähnlein und folge ihnen«, sagte er zum ersten Späher. »Es mag vielleicht nicht von Bedeutung sein, aber mein Instinkt sagt mir, dass diese Reiter uns nicht entkommen dürfen. Bringt ihre Pferde mit, wenn es euch möglich ist; sie werden uns bei der Heimreise nützlich sein.«
Der Späher nickte, und alle drei Männer machten sich eilends zurück zur Hauptstraße durch den Wald.
Die Kohorte teilte sich rasch und leise auf. Das dritte Fähnlein preschte nach Norden, um die Reiter zu verfolgen, das zweite wich nach Südwesten zurück, um als Flanke zu dienen, und das erste machte sich auf den Weg nach Westen.
Nach Haguefort.
15
Der kleine Wagen stand am Westtor bereit, kurz nachdem die neiden Firbolg und die cymrische Herrscherin durch dis Nordtor davongeritten waren.
Gerald Owen hustete, als die fallenden Temperaturen in seiner Lunge ein stechendes Gefühl verursachten. Er schaute vom Innenhof, der nur von einer einzelnen Blendlaterne erhellt wurde, hoch in den kalten Nachthimmel und zu den Sternen, die sich hinter dem Baldachin jener Bäume erstreckten, welche den Beginn des Waldes westlich von Haguefort bezeichneten. Im Norden ging er allmählich in den heiligen Gwynwald und den Kreis über, der ihr Ziel darstellte. Obgleich die bittere Kälte zurückgekehrt war, war der Himmel klar, und es herrschte nur eine sanfte Brise. Es schien, dass sie angenehmes Wetter haben und die Reise recht rasch hinter sich bringen würden.
Leise unterhielt er sich mit den Fahrern und ihren beiden Begleitern, dann gab er das Zeichen, das Fenster zu schließen.
Einige Augenblicke später öffnete sich die Tür zur Vorratskammer, und die beiden Navarne-Kinder erschienen. Sie waren in dunkle Hemden und Hosen und in graue Mäntel gekleidet, die mit der Nacht verschmolzen. Gwydion Navarne schloss leise die Tür zur Speisekammer, nahm dann die Hand seiner Schwester und führte sie durch den Kräutergarten und quer durch den von Kieselsteinen bedeckten Hof bis zu der Baumreihe, vor welcher der Wagen wartete.
»Oh, gut, sie haben die Rotschimmel angespannt«, flüsterte Melisande. »Das wird eine schnelle Fahrt werden.«
»Ist alles fertig, Gerald?«, fragte der junge Herzog nervös, während er Melisandes Hand losließ und den Sack mit ihren letzten Vorräten dem Kutscher übergab. Melisande entwand ihm den Wasserschlauch und befestigte ihn an ihrem Gürtel.
»Es ist alles bereit, Herr«, antwortete der Kammerherr. »Die cymrische Herrin hat durch einen Wintervogel eine Nachricht zu Gavin beim Kreis geschickt, also wird er uns zweifellos erwarten. Ich werde dafür sorgen, dass die Herrin Melisande schnell und sicher dorthin gelangt.«
Gwydion nickte und unterdrückte ein flaues Gefühl. Melly war damals zu klein gewesen, um sich nun daran erinnern zu können, wie sie ihre Mutter zum letzten Mal gesehen hatten, doch für Gwydion war es, als ob es nicht vor neun Jahren, sondern erst gestern geschehen wäre. Damals war er acht Jahre alt und ein stiller Bücherwurm gewesen, der überdies genau wie seine Mutter die Wälder geliebt hatte. Auch hatte sie seine Neigung zur Schüchternheit geteilt und damit im Gegensatz zu seinem Vater und seiner Schwester gestanden, die herzlich und gesellig waren. Er vermisste sie immer noch – den Duft von Lavendel oder Limonen in ihrem Haar, die Sanftheit ihrer Hände, wenn sie nachts die Laken um ihn herum geglättet hatte, die Art, wie sich ihre Mundwinkel beim Lachen nach oben gezogen hatten. Wenn er sich diesen Erinnerungen hingab, verursachten sie ihm jedes Mal Magenschmerzen.