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Sie schmiegte sich an seinen Hals, trieb es zuerst zu einem Trab und dann zum leichtfüßigen Galopp über den Waldweg an.

Melisande behielt diesen Galopp fast eine halbe Meile bei und fiel dann wieder in einen langsameren Trab. Der Weg wurde zu einem bloßen Pfad, und der Nachthimmel färbte sich grau in der frühen Morgendämmerung. Als die Wolken rosig wurden, hatte sie den Weg bereits verlassen und reiste so direkt wie möglich nordwärts, angetrieben von Panik und einer inneren Stimme, die ihr angesichts des Grauens, dessen Zeugin sie geworden war, die schnellstmögliche Flucht gebot.

Als die Sonne schließlich über den Horizont stieg und den eisigen Wald mit schwachem Licht erfüllte, in dessen Strahlen die Bäume silbern und weiß erschienen, hielt Melisande endlich an. Sie lauschte, hörte aber nichts hinter ihr außer den Lauten des Waldes, dem knirschenden Eis an den Zweigen, dem Rascheln der Kiefernnadeln im Morgenwind und den Rufen der Wintervögel, die nun allmählich aufwachten.

Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Sie hatte sich vollkommen verirrt.

Als sie schließlich wieder durchatmen konnte, stieg sie ab und sah sich um. Dann kamen die Empfindungen, die sie während ihres Überlebenskampfes ausgeblendet hatte, mit großer Macht zurück. Sie spürte durch die Stiefel und die dicken Wollsocken ihre frierenden Füße; sie bebte vor Kälte, Angst und Hunger, hatte aber keinerlei Vorräte außer dem Wasserschlauch an ihrem Gürtel und keine Gerätschaften mit Ausnahme des Messers in ihrem Stiefel.

Sie sah sich in dem schier endlosen Wald um und bemerkte, dass sie nicht einmal mehr mit Sicherheit sagen konnte, wo sich der Pfad befand. Der Kreis sollte nördlich von hier liegen, schloss sie, oder vielleicht westlich. Ihr Kinn zitterte, aber sie zwang es zur Ruhe. Dann reckte und streckte sie sich, packte die Zügel des Pferdes und machte sich auf den Weg nach Norden.

Sie hatte etwa tausend Schritte zurückgelegt, als sie von Kummer überwältigt wurde. Melisande setzte sich auf den unebenen Boden unter einem hohen, struppigen Nussbaum und schluchzte so heftig, als breche ihr das Herz.

Nach einiger Zeit hatte sie sich wieder beruhigt. Sie stand auf, ging zurück zum Pferd und durchschritt weiter den Wald auf der Suche nach dem Kreis und nach Gavin.

16

Am Rande der Krevensfelder

Auch wenn diejenigen, die in der Oberwelt lebten, den Schlummer der Dhrakier nicht als richtigen Schlaf ansahen, war er doch für diese Rasse etwas Entsprechendes, eine Zeit des Stillstands von Denken und Handeln, eine Schläfrigkeit, die es ihrem Körper erlaubte, auszuruhen und sich zu erholen, so wie es jedes lebende Wesen tat – ein Heilmittel der Wiederbelebung, dessen alle Kreaturen mit einem schlagenden Herz bedurften. Selbst die annähernde Unsterblichkeit, die ihnen als zum Anbeginn der Zeit geborenen Söhnen des Windes verliehen war, ersparte ihnen nicht die Notwendigkeit einer Rast.

Rath schloss die Augen, während er darüber nachdachte. Er hatte Unterschlupf an der windabgewandten Seite eines grasbewachsenen Hügels gefunden, und das Donnern des Windes um ihn herum lullte ihn ein. Zwar befreite die uranfängliche Elementarmacht ihrer Rasse und all jener, die ihnen ähnlich und in der Sprache der Menschenwelt als die Erstgeborenen bekannt waren, sie von vielen Beschränkungen, mit denen die später gekommenen Völker geschlagen waren; aber es lag etwas Unausweichliches in der Notwendigkeit des Ausruhens, selbst wenn sie auf der endlosen Jagd nach ihrer Beute durch die Oberwelt streiften. Manchmal fragte sich Rath müßig, ob Tod und Verdammnis dieser andauernden Wachsamkeit vorzuziehen wären, die von ihm und seinen Gefährten verlangt wurde – dieser drängenden, grenzenlosen Notwendigkeit, die jeden anderen Lebenszweck ausschloss und sich in dem Wunsch nach der Vernichtung der Feuerdämonen manifestierte, welche als die F’dor bekannt waren.

Sicherlich wäre es einfacher, sterblich zu sein.

Aber es machte keinen Unterschied, ob es einfacher oder einem Leben als Jäger vorzuziehen war.

Es war unausweichlich.

Als er in einen Zustand der Entspannung hinüberglitt, wurde Rath von dem heimgesucht, was man unter seinesgleichen als Träume bezeichnete. Es war dieselbe Art von Bildern und Erinnerungen, die seinen Geist jede Nacht erfüllten, wenn er den letzten seiner Kirai ausgesandt hatte und nicht mehr den Wind nach Spuren von F’dor-Gestank absuchte – wenn seine Pflichten für wenige Stunden aufgehoben waren, während der Rest der Welt schlief. Wie die anderen seiner Rasse hatte er irgendwann alle sieben Kontinente durchschritten, alle Sieben Meere befahren, war über beinahe jeden Fußpfad und jede Nebenstraße gereist, war durch Bereiche der Welt gewandert, die sonst nur von den Vögeln gesehen oder von Bergziegen bewohnt wurden, ständig auf der Suche nach den Entkommenen, die ihnen immer wieder entwischten.

Es war eine erbarmungslose Jagd, eine nie endende Suche, und all die vergangenen Jahrhunderte hatten nur wenig gute Erinnerungen hinterlassen.

Rath rollte sich in seinem Schlummer auf die Seite. Trotz aller Anblicke, die seine Augen in dieser Welt in sich aufgenommen hatten, lag in seinem Geist eine deutliche Erinnerung an einen anderen Ort, den er seit Tausenden von Jahren nicht mehr gesehen hatte. Während sein Atmen tiefer und langsamer wurde, besuchte er diesen Ort wieder, wie er es jede Nacht getan hatte, seit er von dort fortgegangen war.

Aus den Tiefen seines Geistes drangen Gedanken an eine Zeit, lange bevor die Menschheit den Planeten bevölkert und unterjocht hatte, als hier nur fünf Rassen lebten und seine eigene eine von ihnen war.

Sein Muttervolk, das die Menschen die Kith nannten, glaubte an die Geschichten über die Schöpfung der Welt, die ihnen von den Seren erzählt worden waren, der einzigen anderen Rasse, die älter als sie war. Die Sänger der Seren berichteten von der Geburt der Erde als einem Sternenstück, das von seiner Mutter abgebrochen und durch das Universum gesegelt war, bis es in einer Umlaufbahn um jenes gleißende Wesen, das ihm zu Leben verholfen hatte, zur Ruhe gekommen war. Die Seren sagten, der Stein hätte weiterhin mit Flammen aus weltlichem Feuer gebrannt, dem ersten Element, das der Erde eigen war. Als es bereits den Anschein hatte, dass die Flammen den neuen Planeten verschlucken würden, sanken sie allmählich in den Kern der neuen Welt zurück, wo sie weiterhin heiß und rein brannten. Es hieß, dass der neue Planet dann vom Element des Wassers überzogen worden war, und die lebende See hatte sich bald über den ganzen Globus ausgebreitet und vor erwachendem Leben gebrodelt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte das Bewusstsein seiner Rasse begonnen. Die Legende besagte, dass sich aus der Bewegung des Wassers ein Wind erhoben und die Wellen zurückgeblasen hatte, bis schließlich das Land, das letzte Element, enthüllt wurde. Von diesem Wind stammten die Wesen ab, die unter der Bezeichnung Kith bekannt waren. Rath erinnerte sich deutlich an die Geschichten, die ihm in der Dunkelheit erzählt worden waren und die davon berichteten, wie die Welt zu jener Zeit gewesen war, als die Söhne des Windes frei, unbehindert und ledig aller Pflichten über die Erde wandeln konnten. Es war eine raue Rasse ohne jedes Interesse an einer Verbindung oder Gemeinsamkeit mit den Wesen, die aus den anderen Elementen hervorgekommen waren – den großen, dünnen, goldenen Kreaturen, die angeblich aus dem Äther, dem Element des Sternenlichts, geboren und als die Seren bekannt waren; den flüchtigen, membranartigen Wesen, die Mythlin genannt wurden, deren Haut porös und deren Fleisch beinahe gallertartig war und die sich im Meer ausbreiteten, aus dem sie stammten; den Wyrmril oder ›Drachen‹ in der Menschensprache, jenen schlangenartigen Bestien, die eine andere Gestalt als die gewählt hatten, welche der Schöpfer ihnen eigentlich zugedacht hatte, und die eifersüchtig die Erde bewachten, aus der sie gemacht waren. ’Sie trugen die Spuren aller anderen Elemente in sich, die mit der Erde in Berührung gekommen waren. Die Kith waren stärkere Einzelgänger als jede andere Rasse, die am glücklichsten waren, wenn sie auf den Armen des Windes die weite Welt durchstreifen konnten.