Gwydion ap Lianron ap Gwylliam tuatha d’Anwynen o Manosse, ich vermisse dich, stimmte sie an und lenkte die langen Klangwellen in den Wind, an die mit einem unsichtbaren Faden sein Name gebunden war. Ich liebe dich – vergiss mich nicht.
Dann rollte sie sich mit ihrem Kind zusammen, küsste es und fiel in einen Schlaf voller verwirrender Träume.
Weit entfernt, in der Festung von Haguefort, stand ihr Gemahl auf dem Balkon der Bibliothek und beobachtete den östlichen Himmel.
Der Wind fuhr ihm durch die Haare und brachte eine Wärme mit, die bisher noch nicht bis zu dem vom Winter eingehüllten Land vorgedrungen war. In diesem Wind lag ein Lied – ein Lied, das er vor langer Zeit gehört hatte, als Rhapsody ihn zu der Grotte von Elysian gerufen hatte, um ihm ein verloren geglaubtes Stück seiner Seele, das sie gefunden hatte, zurückzugeben.
In dieser Erinnerung hörte er ihre Stimme.
Gwydion ap Llauron ap Gwylliam tuatha d’Anwynen o Manosse, ich vermisse dich.
Ashe lächelte.
»Ich vermisse dich ebenfalls, Emily«, sagte er, auch wenn er wusste, dass sie ihn nicht würde hören können. »Aber ich werde dich heute Nacht in meinen Träumen wieder sehen. Mögen die deinen süß sein.«
Ich liebe dich – vergiss mich nicht.
»Als ob ich dich je vergessen könnte.« Der cymrische Herrscher stand lange unter dem Sternenhimmel, aber keine weitere Botschaft erreichte ihn.
Schließlich seufzte er und ging zu Bett, umhüllt von den warmen Erinnerungen an ein Mädchen auf einer Wiese – auf der anderen Seite der Zeit.
17
Melisande war schon fast einen ganzen Tag gereist, als sie allmählich befürchtete, dass sie sich im Kreis bewegte.
Und sie war schon fast zwei Tage gereist, als sie befürchtete, dass sie verfolgt wurde.
In der Ferne hörte sie das Plätschern von Wasser und trieb ihr Pferd vorwärts, denn sie wusste, dass es durstig war. Unter einem Baum befand sich ein teilweise zugefrorener Teich, der von einer Quelle gespeist wurde. Sie glaubte, hier bereits am vergangenen Tag Rast gemacht zu haben. Melisande schluckte ihre Verzweiflung herunter, stieg ab und führte das Pferd zum Wasser. Während es trank, füllte sie ihren Wasserschlauch.
Aus den Augenwinkeln heraus glaubte sie eine Bewegung in nördlicher Richtung zu sehen, die kaum weiter als einen Steinwurf entfernt war, aber als sie genauer hinschaute, erkannte sie nichts als den verschneiten Wald, die immergrünen Bäume, deren Zweige sich schwer unter der eisigen Last beugten, und die Hecken sowie das Unterholz, das von kürzlich gefallenem Schnee überzogen war.
Melisande stand aufrecht da. Sie blickte noch angestrengter in das Grün, sah aber immer noch nichts. Trotzdem zog sie ihr Messer aus dem Stiefel und hielt es drohend vor sich.
»Zeigt euch«, verlangte sie von den Bäumen und Hügeln.
Nichts als der Wind antwortete ihr.
Sie wartete lange, dann kam sie sich närrisch vor und trank aus dem Teich. Sie bekämpfte die Stiche des Hungers und der Verzweiflung, kehrte zu ihrem Pferd zurück und wollte sich wieder auf den Weg machen.
Hinter ihr stand in einem Dickicht aus jungen Bäumen ein Mann, dem Aussehen nach ein Bauer oder Jäger. Er war mittleren Alters, hatte einen Bart und schaute düster drein. Sein Gesicht und seine Kleidung waren unauffällig. Er trug einen Mantel aus grobem braunem Tuch minderer Qualität und Stiefel aus Hirschleder. Wenn er nicht aus dem Dickicht getreten wäre, hätte sie ihn nicht bemerkt, so einfach und farblos war sein Äußeres. Ein langer, unten spitz zulaufender Weidenkorb und ein Köcher mit Pfeilen waren an seinem Rücken festgezurrt, und er trug einen Bogen in der Hand, doch andere Waffen waren nicht zu erkennen. Er sagte nichts, sondern beobachtete sie mit dunklen Augen, deren Blick scharf und ein wenig einschüchternd war.
Rasch zog Melisande wieder ihren Dolch.
»Bleib da, wo du bist«, sagte sie mit einer Stimme, von der sie hoffte, dass sie bedrohlich klang.
Der Fremde regte sich nicht.
Melisande ergriff die Zügel. »Keine Bewegung«, sagte sie.
Der Mann gehorchte und schwieg.
Das Mädchen drehte sich um und wollte gerade aufsteigen, doch da erinnerte es sich an sein Messer. Melisande umfasste es mit der rechten Hand und dachte noch einmal nach. Falls der Mann sie angreifen sollte, wäre sie im Nachteil, denn sie war Linkshänderin. Der Fremde sah ihr einfach nur zu, während sie überlegte. Schließlich steckte sie sich das Messer wie ein Pirat zwischen die Zähne und kletterte in den Sattel.
Der Mann beobachtete sie immer noch.
Melisande nahm das Messer aus dem Mund und zog an den Zügeln. Als sie bereit zur Abreise war, sagte der Fremde endlich etwas. Seine Stimme klang kehlig, als spreche er nicht oft.
»Bist du verletzt?«
Wenn ich es wäre, würde ich es dir sicherlich nicht sagen, dachte Melisande. »Nein«, antwortete sie, »aber du wirst es bald sein, falls du versuchen solltest, mich aufzuhalten.«
Der Mann zuckte die Achseln. »Du hast dich verirrt.«
»Ich bin die Herrin Melisande von Navarne, und inzwischen sucht bereits eine große Zahl Soldaten nach mir«, erwiderte Melisande und kämpfte hart darum, weiterhin tapfer zu wirken. »Du wirst dich jetzt wieder auf den Weg machen, genau wie ich selbst.«
Der Mann faltete die Hände.
»Und wohin seid Ihr unterwegs, Herrin Melisande Navarne? Ich kann Euch den Weg zeigen, es sei denn, Ihr wandert gern ziellos durch den Winterwald.« Der Mann schluckte, als wäre es für ihn unangenehm, so viele Wörter hintereinander hervorzubringen.
Melisande atmete tief ein. Sie würde ihm gern vertrauen, aber da sie vor kurzer Zeit noch die Freundlichkeit von Fremden im Wald hatte erleben dürfen, wollte sie diesen Mann nicht zu nahe an sich heranlassen.
»Ich bin auf dem Weg zum Kreis und will mit dem Fürbitter Gavin sprechen«, sagte sie schließlich.
Der Mann zog die Augenbrauen zusammen. »Da seid Ihr aber auf dem falschen Weg. Der Kreis liegt westlich von hier, und Ihr reitet nach Süden.«
Melisande seufzte erbarmungswürdig.
»Ich könnte Euch dorthin bringen«, bot ihr der Mann an.
Das Pferd tänzelte auf der Stelle. Melisande rutschte im Sattel hin und her; ihre Beinmuskeln hatten sich verkrampft und schmerzten. »Warum sollte ich dir vertrauen?«, fragte sie und hoffte insgeheim, er werde ihr einen guten Grund nennen.
Der Mann schien gehen zu wollen. »Kommt mit mir, wenn Ihr wollt. Lasst es sein, wenn es Euch lieber ist. Wenn Ihr recht habt, werden die Soldaten Euch bald finden.« Er machte sich auf den Weg durch das Unterholz.
»Bist … bist du jemals dort gewesen?«, rief sie ihm nach.
»Wo?«
»Beim Kreis. Bist du schon einmal dorthin gegangen?«
Der Fremde blieb stehen und dachte nach. »Gelegentlich. Allerdings nicht oft.« Dann wandte er sich wieder ab und verschwand zwischen zwei Baumstämmen.
Melisande zögerte zunächst, doch da sie keine andere Möglichkeit sah, trieb sie ihr Pferd vorwärts, hielt allerdings einigen Abstand zu der braunen Gestalt, die auf verwirrende Weise mit dem Wald verschmolz.
Nach einigen Stunden fragte sich Melisande allmählich, ob der Fremde wollte, dass sie sich in diesem Wald noch mehr verirrte.
Er war zwar zu Fuß unterwegs, während sie ritt, doch er bewegte sich viel schneller als sie durch das Gehölz.
Ihr Magen knurrte und schnürte sich zusammen; seit dem Abendessen vor ihrem Aufbruch hatte sie nichts mehr zu sich genommen und war schwach vor Hunger. Als der Mann endlich zur Nacht anhielt, nahm sie all ihren Mut zusammen und redete ihn so höflich wie möglich an.
»Hast du … etwas zu essen, das du entbehren könntest?«
Der Fremde drehte sich zu ihr um und bedachte sie mit einem scharfen Blick. Kurz darauf nahm er den Weidenkorb von seinem Rücken, fischte darin herum und nahm ein in Stoff eingewickeltes Päckchen heraus. Er wickelte es aus, und es kam ein kleiner Laib hart gebackenen Schwarzbrotes zum Vorschein. Er trat auf sie zu und bot es ihr an. Rasch zog Melisande ihr Messer.