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Er wartete dennoch in den Schatten, bis er sich vergewissert hatte, dass niemand auf der Mauer ihn sehen konnte. Als kurz darauf noch immer keinerlei Anzeichen von Bewachung zu sehen waren, lief er rasch zu der Mauer und kletterte von einem Halt zum nächsten.

Auf der Mauer befanden sich Metallstachel, doch Mardel war für solche Aufgaben ausgebildet worden. Er betrachtete die Mauer kurz und glitt zwischen zwei Stacheln hindurch, ging in die Hocke und ließ sich auf der anderen Seite in die Tiefe fallen. Am Boden rollte er sich ab, um die Wucht des Aufpralls aus zwölf Fuß Höhe zu mildern, und sprang schließlich auf die Beine.

Er schaute sich um und sah nichts als dichte Schatten in dem ummauerten Gelände. Rasch drückte er sich gegen die Wand und duckte sich für den Fall, dass sich jemand auf dem Balkon der fernen Festung befand, doch die Lichter in der kleinen Burg brannten nur gedämpft; vermutlich hatte sich das ganze Haus für die Nacht zurückgezogen.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er den größten Teil des inneren Bereichs durchquert hatte. Von draußen hörte er leise Geräusche, die kaum zu bemerken gewesen wären, wenn er nicht gewusst hätte, dass sich der Rest der Kohorte mit ungefähr der gleichen Geschwindigkeit wie er außerhalb der Bollwerke bewegte. Sein Herz schlug vor Erregung, als er an dem niedrigen, zweigeschossigen Gebäude vorbeikam, welches der Aufklärungstrupp als das cymrische Museum beschrieben hatte, das der frühere Eigentümer der Festung, ein berühmter Historiker, angelegt und geführt hatte.

Das Tor befand sich schon fast in Reichweite. Mardel schaute ein letztes Mal zu den Balkonen und Fenstern in der Ferne hoch, und da er dort niemanden bemerkte, lief er auf das Tor zu.

Ein schallendes Geräusch zerriss die Luft, gefolgt von einem Summen, und den Bruchteil einer Sekunde später drangen pulsierende Wellen aus blauem Licht in die Nacht hinaus.

Mardel drehte sich langsam um.

Eine Armeslänge hinter ihm hob sich der dunkle Umriss eines Mannes vor dem gleißenden Licht ab, das von dem Schwert in seiner Hand ausging. Dieses Schwert hatte eine Klinge, über die blaue Kräuselungen vom Griff bis zur Spitze liefen; es sah aus, als ströme Wasser den Schaft hinunter und versickere im Nichts.

Der Umriss war mit glänzendem, metallisch wirkendem rot-goldenem Haar bekrönt, das wie poliertes Kupfer schien. Dies und die blau leuchtenden Augen im Gesicht waren das Einzige, was von dem Mann nicht in Finsternis gehüllt war.

»Oh, lass mich raten … Man hat dich hergeschickt, damit du das Tor öffnest. Habe ich recht?«

Die Stimme, die aus den Schatten drang, klang beinahe gelangweilt – als ob es ein zu großer Aufwand wäre, wenn die Gestalt sich ärgere.

Mardel stand stocksteif da.

Gebannt beobachtete er, wie die wässerig blaue Schwertspitze an seinen Hals gehalten wurde.

»Noch einmaclass="underline" Hat man dich geschickt, um das Tor zu öffnen? Antworte, oder ich schneide dir die Kehle durch.«

»Ja«, flüsterte Mardel.

Die dunkle Gestalt senkte die Waffe.

»Es gibt eines viel näher am Haupteingang. Das hätte dir eine Menge Lauferei erspart.«

Mardel schluckte, sagte aber nichts. Von der ganzen Kohorte der Zweiten Bergwacht war er der am wenigsten Erfahrene, auch wenn er schon fast die Hälfte seines kurzen Lebens im Militärdienst der Krone zugebracht hatte. Zwar hatte er schon an blutigen Überfällen teilgenommen und war mehrfach in äußerst unangenehme Situationen geraten, doch er war noch nie bei einem Überfall erwischt worden, vor allem nicht von jemandem, der so vollkommen mit der Finsternis verschmelzen konnte.

»Wie viele?« Der Mann steckte sein Schwert zurück in die Scheide. Das Licht wurde gelöscht, und im Innenhof wurde es wieder dunkel.

»Fünfzig Männer«, log Mardel.

Der verborgene Mann schnaubte. »Nur fünfzig?« Er rollte mit den blau glänzenden Augen und deutete verächtlich auf die Mauer »Öffne das Tor.«

Ein metallisches Gerassel ertönte in geringer Entfernung.

»Hilfe gefällig?«, rief eine barsche Stimme.

Der Mann schüttelte den Kopf; das Licht aus der Festung fing sich in seinem rot-goldenen Haar.

»Nur wenn du Langeweile hast, Onkel. Dieser Knabe hier sagt, er will das Tor für fünfzig Mann öffnen, aber in Wirklichkeit sind es siebenundzwanzig.«

Ein noch gröberes Schnauben ertönte aus geringer Entfernung.

»Nur fünfzig? Öffne das Tor und lass sie herein. Ich sollte bald fertig damit sein, meine Eingeweide zu bewegen.«

Die blauen Augen richteten sich wieder auf Mardel.

»Du trägst die Farben meines Regiments«, sagte der schattenhafte Mann langsam mit eher gelangweiltem als drohendem Tonfall. »Ihr Dumpfbacken seid in meine Ländereien eingedrungen, die unter der Friedensflagge stehen, habt euch in meine Uniformen gekleidet und seid mitten in der Nacht zu meinem Haus gekommen, um meine Familie zu bedrohen, und da behauptest du, du hättest nur fünfzig Männer bei dir. Das sehe ich als Beleidigung an.«

Mardel spürte, wie sinnlos es war, etwas dagegen einzuwenden oder abzuwarten, also zog er sein Schwert.

Bevor er es in die Waagerechte bringen konnte, war die glühende blaue Klinge schon aus ihrer Scheide gesprungen und ihm mit einem sauberen Schnitt über die Kehle gefahren. Mardel fiel zu Boden und blutete sein Leben auf dem verschneiten Rasen aus.

Ashe steckte das Schwert wieder in die Scheide und schlenderte zum Tor. Er packte die Seile des Fallgitters und zog es langsam in der Dunkelheit hoch.

»Kommt«, flüsterte er auf Sorboldisch. »Im Haus schlafen alle.«

Der Kommandant hörte ihn und nickte zustimmend, dann gab er der verbliebenen Kohorte ein Zeichen, die daraufhin leise durch das Tor ritt. Rasch wurde es hinter ihnen wieder geschlossen.

Noch bevor die Kohorte Gelegenheit hatte, sich neu zu formieren, durchschnitt das blau glühende Schwert die Riemen der beiden Sattel, sie sich ihm an nächsten befanden, und der Schatten schlug mit dem Knauf auf die fallenden Reiter ein.

Ein Kreischen erhob sich unter ihnen, und drei weitere Reiter gingen zu Boden. Armbrustbolzen waren aus der Finsternis herangeschossen und hatten sie durchbohrt.

»Hattest du Gelegenheit, dir die Waffe des Bolg-Königs anzusehen?«, rief Anborn durch den Lärm der wiehernden Pferde, als er noch eine Salve abfeuerte und damit drei weitere Soldaten niederstreckte.

»Ich habe sie schon früher einmal gesehen«, erwiderte Ashe und kreuzte kurz die Klinge mit einem Soldaten aus der Kohorte, bevor er diesen aus dem Sattel zerrte und ihm die Kehle mit einem Blitz aus blau und weiß gekräuseltem Licht aufschlitzte. »Warum?«

»Ganz netter Rückstoß«, meinte Anborn und feuerte abermals. »Brauchst du noch weitere Hilfe? Ich glaube, ich habe meinen heißen Grog in der Bibliothek gelassen, und vermutlich wird er allmählich kalt.«

»Nein, wirklich nicht«, sagte Ashe, während er den Piken zweier Reiter auswich. »Ich leiste dir Gesellschaft, sobald ich hier fertig bin. Ich habe mir einen aufgespart, damit wir ihn befragen können – du kannst mir später dabei helfen, bei einem Glas Branntwein, wenn du möchtest.« Sein letztes Wort wurde vom Stoß seines Schwertes durch eine sorboldische Brust unterstrichen.

Gwydion Navarne, der aus einem Winkel heraus das Geschehen beobachtete, schüttelte nur den Kopf, als sein Namensvetter den Rest der Soldaten erledigte und dann den Bewusstlosen ergriff, den er zuvor niedergeschlagen hatte, und ihn in der Dunkelheit auf die Festung zuschleifte. Gwydion wandte sich um und folgte Ashes Schatten im flackernden Licht von Hagueforts Laternen.

21

Jierna Tal, Jierna’sid Sorbold

»Guten Tag, Fhremus«, sagte der Regent, als sich die Türen hinter dem großen Mann in der Uniform der Dunklen Erde schlossen, der dynastischen Linie der Herrscherin vor Talquist. Der Regent zuckte unwillkürlich beim Anblick des Wappens der toten Herrscherin zusammen, wie er es immer tat. Er rief sich in Erinnerung, dass er sich entschlossen hatte, die Uniformen von Leitha und der Dynastie der Dunklen Erde nur noch bis zum Frühling beizubehalten, bis er als Herrscher inthronisiert werden würde. Dennoch wurde er wie bei vielen anderen Entscheidungen, die er in dem Bemühen getroffen hatte, bescheiden zu wirken, immer wieder zornig, wenn er das Bild der goldenen, von einem Schwert geteilten Sonne sah.