»Aber sie haben uns auch zu Verbündeten gemacht«, sagte Fhremus.
Talquists Miene verlor ein wenig von ihrer Freundlichkeit. »Wir sind mit dem cymrischen Bündnis befreundet, aber kein Teil davon«, betonte er mit einer Stimme, die Fhremus die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. »Wir sind ebenfalls mit dem Hintervold und mit Golgarn an der südöstlichen Grenze des Bolg-Reiches befreundet, aber auch zwischen diesen Nationen und Sorbold existiert kein offizielles Bündnis. Das wird sich ändern.«
Fhremus lehnte sich entsetzt vor. »Wir werden ein Abkommen mit Golgarn und dem Hintervold schließen?«, fragte er ungläubig. »Diese drei Nationen kreisen den Mittleren Kontinent ein. Würde das cymrische Bündnis das nicht als Bedrohung empfinden?«
Der Regent lächelte belustigt. »Das würde es, wenn es davon wüsste. Ich will damit sagen, Fhremus, dass unsere großzügige Freundschaft und unsere Handelspraktiken das Bündnis zu dem Glauben gebracht haben, wir wären verwundbar. Sie glauben genau wie der Schöpfer, dass dieser Kontinent zu einem einzigen Reich vereinigt werden sollte. Der Unterschied liegt lediglich darin, dass sie der Meinung sind, sie sollten über ihn herrschen.«
Plötzlich verstummten alle Geräusche außer dem leisen Säuseln des Windes auf dem Balkon.
»Und da das Bündnis weiß, dass es für uns militärisch und strategisch kein Gegner ist«, fuhr Talquist nach kurzer Pause fort, »hat es damit begonnen, sich Waffen zu beschaffen, von denen es sich einen Vorteil in dem Krieg verspricht, den es anzetteln will.«
»Was für Waffen?«, fragte Fhremus nervös. Er setzte das Glas ab. Der Alkohol reizte seine Kehle, statt sie zu besänftigen. Alles, was ihm dieser Mann sagte, der bald der Herrscher über Sorbold sein würde, widersprach Fhremus’ Instinkten, doch er kannte den Blick in Talquists Augen und hütete sich deshalb davor, das Wissen von jemandem in Frage zu stellen, der einen Spion an jeder Tür dieser Welt hatte.
Talquist zog seinen Stuhl näher an den Kommandanten heran.
»Denk immer daran, Fhremus«, sagte er, wirbelte dabei den Rest seines Branntweins im Glas herum und stellte es schließlich auf den Tisch. »Der Mann, der das Bündnis anführt, besitzt mehr als nur eine Art von Macht. Gwydion von Manosse ist der Enkel Gwylliams des Visionärs – des Mannes, der eine der fortschrittlichste Nationen aller Zeiten aus festem Fels gehauen hat. Sein Onkel ist Edwyn Griffyth, der hohe Meeres-Magier aus Gaematria, Gwylliams Sohn und wahrscheinlich der beste Erfinder der bekannten Welt. Daher hat er einige der genialsten Maschinen zur Verfügung, die je ersonnen wurden. Er ist mit dem Firbolg-König Achmed verbündet, von dessen einzigartigen und absolut tödlichen Waffen wir nur durch Spionage einiges erfahren konnten, denn der König weigert sich, sie uns zu verkaufen. Warum ist das wohl so? Warum verkauft der Bolg-König Waffen an das Bündnis, aber nicht an Sorbold?«
Talquist beobachtete, wie Fhremus schweigend die Bedeutung dieser Frage in sich aufnahm; dann ging er zum Schreibtisch und kehrte mit einem großen Pergamentblatt zurück, das er dem Kommandanten vorlegte. Darauf befand sich die ausführliche Zeichnung einer schweren Maschine aus Metall mit Fußstützen, die durch aufrechte Streben mit einem Schaltgestänge verbunden waren.
»Einer unserer Spione bei den Docks von Avonderre hat uns das hier vor ein paar Monaten geschickt. In Port Fallon wurde es ausgeladen; es kam aus Gaematria und wurde mit einem Karren nach Haguefort gebracht, wo der cymrische Herrscher im Augenblick residiert.«
»Was ist das?«, fragte Fhremus, während er die Skizze betrachtete.
Talquist beobachtete ihn eingehend. »Das ist anscheinend ein Gehapparat«, erklärte er, nahm sein Glas wieder auf und atmete das Aroma des Branntweins ein, dann setzte er es abermals ab.
Fhremus nickte. »Vielleicht für Anborn, den Marschall aus dem Großen Krieg«, sagte er. »Er ist gelähmt – und Edwyn Griffyth ist sein Bruder. Zweifellos will Anborns Bruder ihm dabei helfen, wieder gehen zu können, oder ihm zumindest eine gewisse Beweglichkeit verschaffen.«
»Zweifellos«, stimmte Talquist ihm zu. »Aber warum hat der cymrische Herrscher wohl genug Material geordert, um fünfhunderttausend davon zu bauen?« Fhremus sah von dem Pergament auf. »Gibt es etwa eine halbe Million Krüppel in Roland?«
»Fünfhunderttausend?«
Talquist lächelte grimmig. »Ich habe einige Ladungsverzeichnisse der Schiffe gesehen, die jeden Tag aus Manosse und Gaematria eintreffen. Wenn das bereits in den wenigen Schiffen war, die ich gesehen habe, was alles führt er dann sonst noch ein? Und zu welchem Zweck?« Er sah Fhremus eindringlich an und fragte sich, ob dieser seine Lüge durchschaut hatte, doch der Soldat erwiderte seinen Blick nicht.
Der Kommandant warf das Pergamentblatt mitten auf den Tisch.
»Ich weiß es nicht, aber ich glaube kaum, dass Maschinen, die Gelähmten zum Gehen verhelfen, eine Bedrohung für Sorbold darstellen.«
»Auf deine Weise hast du recht«, meinte Talquist geduldig. »Aber du musst weiter denken, Fhremus. Überlege einmal, mit wem der cymrische Herrscher verbündet ist und was du über seine Aktivitäten weißt. Vor nicht langer Zeit ist der gesamte Gipfel eines der inneren Berge in den Zahnfelsen explodiert. Die ganze westliche Welt hat die Erschütterungen gespürt. Ein Berggipfel Fhremus! Es war kein Vulkan, denn es wurde von keinem Lavafluss berichtet. Hast du eine Vorstellung von der Kraft, die nötig ist, um einen Berggipfel in Stücke zu blasen?«
Das hatte Fhremus nicht, aber er verstand, was Talquist damit sagen wollte.
»Der Bolg-König entwickelt hochexplosive Sprengstoffe«, sagte er, »und wir tun das auch. Ich verstehe nicht, was das mit Gehmaschinen für Lahme zu tun hat, Herr.«
Talquists Lächeln wurde grausam. »Es verwirrt mich, dass der Kommandant des Heeres einer ganzen Nation die einzelnen Teile nicht besser zusammensetzen kann, Fhremus. Denk einmal nach. Du bist in großer Eile nach Jierna’sid zurückgekehrt – nicht auf meinen Ruf, sondern wegen der Gerüchte, die du auf der Straße gehört hast. War das nicht so?«
Das Gesicht des Kommandanten wurde ausdruckslos.
»Das ist schon in Ordnung, Fhremus. Wenn ich du wäre und man mir gesagt hätte, dass der Herrscher das Ziel eines gewaltigen steinernen Mörders sei – einer Statue, die doppelt so groß wie ein Mensch ist, sich aus eigener Kraft bewegt und auf dem Weg nach Jierna Tal bereits eine halbe Brigade vernichtet hat –, dann wäre auch ich in aller Eile hergekommen. Ich vermute, du hast selbst die Verwüstungen gesehen. Obwohl die Straßen bei deiner Ankunft schon von den menschlichen Abfällen gesäubert waren, sind dir bestimmt nicht die zerschmetterten Karren und die geborstenen Tore entgangen, oder?« Er deutete auf die frisch instand gesetzte Mauer in der Treppe, die hoch zum südwestlichen Turm führte.
»Ja«, sagte der Kommandant.
»Ich bin gerührt über deine Sorge um mein Wohlergehen und kann dir mit Freude verkünden, dass mir nicht ein einziges Haar gekrümmt wurde. Ich wünschte, ich könnte dasselbe von den achtundachtzig Truppen und den ungezählten Zuschauern sagen.«
»Wie …«
Der Regent hob die Hand, und der Soldat verstummte. »Ich dachte, inzwischen wüsstest du, dass meine Thronbesteigung vom Schöpfer vorherbestimmt war«, sagte Talquist hochmütig. »Die Waage hat mich gesalbt. Ich stehe unter göttlichem Schutz, wie ich bereits vorhin erwähnte, wenn ich mich recht erinnere.« In seinen Augen funkelte es böse. »Es gibt viele Dinge, die du nicht über mich weißt, Fhremus – und viele andere, von denen dir nicht bekannt ist, dass ich sie über dich weiß. Aber vertraue mir: Sorbold, das Land, das wir beide lieben, ist in fähigeren Händen, als du es dir vorstellen kannst.«
»In der Tat, Herr«, murmelte Fhremus und nahm noch einen Schluck Whiskey.
Talquist kniff die Augen zusammen. »Komm«, befahl er. »Ich werde dir zeigen, wozu unser Feind in der Lage ist, sowohl was seine Macht als auch was seine Vorsätze angeht – und was wir dagegen unternehmen werden.«