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»Wir sind dazu bereit, Herr«, sagte Fhremus.

»Nein, das seid ihr nicht«, widersprach Talquist düster. »Du unterschätzt unsere Feinde und die Kräfte, die zu ihrer Verfügung stehen. Pass auf.«

Er trat vor die Statue und hob die Hand.

»Wach auf, Faron«, befahl er.

In den blinden Augen der Statue erschienen zwei blaue Irisse; zuerst waren sie milchig, doch dann nahmen sie einen Ausdruck der Bedrohung an. Unwillkürlich wich Fhremus einen Schritt zurück.

»Bewege den Schrank«, befahl Talquist und deutete auf eine mächtige Anrichte aus reich geschnitztem Holz, die so viel wie drei Männer wog.

Die Statue starrte ihn kurz an und warf dann einen drohenden Blick auf den Kommandanten. Schließlich reckte sie sich, als ob ihre Glieder eingeschlafen wären, streckte die Arme vor und ging zur Anrichte, die sie packte und durch den Raum gegen die Wand warf. Dabei brach eines ihrer Beine ab.

Talquist wandte sich an den erschütterten Kommandanten und lächelte.

»Das, Fhremus, ist das Werk unserer Feinde. Was eigentlich nur eine leblose Steinstatue sein sollte, ist in Wirklichkeit eine Maschine, die durch irgendeinen cymrischen Zauber belebt wurde. Ich habe sie meinem Willen unterworfen, und nun folgt sie meinen Befehlen. Was eigentlich mein Mörder hätte sein sollen, wird nun der Fahnenträger deines Heeres sein. Wenn ich nicht der wäre, der ich bin, und wenn ich vom Schöpfer weniger gesegnet wäre, dann läge ich jetzt im Grab, und Sorbold befände sich sehr wahrscheinlich im Krieg.«

»Sorbold wird sich sowieso bald im Krieg befinden, Herr«, sagte Fhremus. »Es darf Gwydion von Manosse nicht erlaubt sein, Mörder auf unseren zukünftigen Herrscher zu hetzen und dabei ungestraft zu bleiben. Dafür muss Rache geübt werden, ansonsten könnte er versucht sein, es noch einmal zu wagen.«

»Jetzt siehst du vielleicht einen – und nur einen -Grund dafür, dass wir handeln müssen, anstatt abzuwarten, bis wir angegriffen werden«, sagte Talquist, nahm sein Glas und trank es leer. »Du übersiehst, dass Gwydion von Manosse nicht nur der Herr des Mittleren Kontinents und ein Mann mit festen Wurzeln in Manosse und Gaematria ist, sondern auch der Abkömmling eines verdammten Drachen. Er besitzt die mythische Macht der serenischen Abstammung, die alle Cymrer mehr oder weniger haben; er kennt die schrecklichen Überlieferungen der Meeres-Magier, die die Strömungen und Gezeiten der sieben Meere so lange studiert haben, dass es heißt, sie könnten diese beeinflussen; und ihm stehen die Kenntnisse seines Großvaters über Maschinenbau und andere Erfindungen zur Verfügung. Wenn man noch die Magie hinzunimmt, die ihm seine Drachenabstammung hinterlassen hat, ist es dann wirklich so schwer vorstellbar, dass der cymrische Herrscher, der einen Weg gefunden hat, um festen Stein zu beleben, auch auf eine Möglichkeit gestoßen ist, Feuer schleudernde, unbemannte Maschinen zu bauen, die über die Grenze und vielleicht sogar über die Berge marschieren können, um dann in unseren Städten, unseren Außenposten und unseren heiligen Stätten zu explodieren?«

»Was sollen wir dagegen tun, Herr?«, fragte Fhremus.

»Wir werden mit dem Patriarchen beginnen«, antwortete Talquist, der insgeheim hocherfreut war, dass der Kommandant die Lüge geschluckt hatte. »Zuerst werden wir Sepulvarta einnehmen, das sowieso der nördlichste Punkt unserer Grenze sein sollte. Dieses Land liegt im Vorgebirge der Manteiden, und sobald es uns gehört liegt die Weite der Krevensfelder im Norden vor uns. Sie sind unmöglich zu verteidigen. Dort werden wir damit anfangen, uns das zurückzuholen, was rechtmäßig uns gehört.«

»Die heilige Stadt?«, fragte Fhremus nervös. »Ihr habt vor, der Hauptstadt des All-Gottes den Krieg zu erklären?«

»Er heißt der Schöpfer«, berichtigte Talquist ihn; seine Stimme hatte nun einen stählernen Tonfall angenommen. »Es waren die Cymrer, die ihn All-Gott genannt haben, aber was für ein närrischer Name ist das! Wir werden das Unrecht von Jahrhunderten aufheben; unser Ziel ist heilig.« Er seufzte verdrossen. »Niemand will den Krieg weniger als ich, Fhremus. Ich bin von Haus aus Kaufmann; ich hatte gehofft, meine Regierung würde eine des Friedens und Wohlstands sein und unsere Güter würden neue Märkte auf der ganzen Welt erreichen. Krieg unterbricht den Handel, und ich will nichts weniger als das. Im Gegensatz zu den cymrischen Anführern des Bündnisses – nicht nur Gwydion von Manosse, sondern auch seine lirinische Frau und der Bolg-König, von dem man nicht sagen kann, wie lange er leben wird – bin ich ein einfacher Sterblicher, Fhremus. Ich werde eine normale menschliche Lebensspanne haben. Selbst Leitha ist mit ihrer außerordentlichen Langlebigkeit nur einundneunzig Jahre alt geworden. Die Zeit hat keine Macht über die Nachkommen der Drachen und über all jene, die von der verfluchten Insel Serendair gekommen sind. Unsere Enkel werden schon Staub in ihren Gräbern sein, wenn diese Tyrannen noch immer in der Blüte ihrer Jugend stehen! Unsere Zeit ist begrenzt; wir müssen das Beste daraus machen. Das schulden wir dem Schöpfer.«

Eine schrille Glocke erklang in Fhremus’ Hinterkopf. Er versuchte sich zu erinnern, ob er den zukünftigen Herrscher je bei einem Gottesdienst im örtlichen Kloster oder in einer der Kapellen gesehen hatte, in welche die in Jierna’sid stationierten Soldaten gingen, und er kam zu dem Ergebnis, dass er Talquist dort nie bemerkt hatte. Der Kommandant nahm jede Gelegenheit wahr, von den örtlichen Priestern gesegnet zu werden, so wie es die meisten Mitglieder des Heeres taten. Doch er sagte sich, dass das eigentlich nicht seltsam war, denn der zukünftige Herrscher hatte sicherlich seine Privatkapellen und Andachtsorte im Palast.

Außerdem spielte es keine Rolle.

»Ich bin breit, Eure Befehle zu empfangen, Herr«, sagte er schließlich.

»Dann komm mit mir, Fhremus«, sagte Talquist, dessen Miene seine Zufriedenheit widerspiegelte. »Ich werde dir zeigen, wie man eine Nation verteidigt.«

23

Fhremus hatte in den vielen Jahren, die er bereits in dem Heer zugebracht hatte, viele schreckliche Gerüche wahrgenommen. Der beißende Rauch der Stahlfeuer in den Schmieden, die ekelhaften Ausdünstungen der Latrinen und Abfallgruben, die bei jedem großen Soldatenlager zurückblieben, und der Gestank der Leichen, die unter der gleißenden Sonne Sorbolds verdorrten, waren seiner Nase vertraut; er nahm sie kaum mehr wahr.

Doch all dies konnte ihn nicht auf das vorbereiten, was ihn nun in den Tunneln unter Jierna Tal bestürmte.

Als er Talquist durch den höhlenartigen Schacht folgte, waren seine durch ungezählte Schlachten geschärften Sinne in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Er spürte das Gefühl von Gefahr im Bauch, das jeden guten Soldaten vor einem Feind oder einer Bedrohung in der Dunkelheit warnte. Fhremus hatte den neuen Standartenträger des Regenten gesehen, der ihnen nun schweigend folgte und trotz seiner steinernen Gestalt und gewaltigen Größe fast unsichtbar war, und daher konnte er nur Vermutungen darüber anstellen, was ihn am Ende des Tunnels erwarten mochte.

Der Geruch der Verwesung, der sogar den Stein der Wände zu durchdringen schien, verschaffte ihm das Gefühl, als atme er den Tod selbst ein, obwohl er sich einen dicht gewebten Leinenschal vor die Nase hielt.

Je tiefer sie hinabstiegen, desto dichter und undurchdringlicher wurde die Finsternis, und der Tunnel weitete sich immer mehr. Die kleine Laterne in Talquists Hand vermochte nicht einmal das Zwielicht zu zerstreuen, das auf ihren Schultern lastete. Sie war kaum mehr als ein weißlicher Ball aus kaltem Licht, der zögernd in der Schwärze unmittelbar vor ihnen glimmerte; alles dahinter wurde von den Schatten verschluckt. In gewisser Weise war Fhremus dankbar dafür. Er konnte nicht erkennen, was an den Höhlenwänden am Rande seines Gesichtsfelds lauerte, doch mehr als einmal erhaschte er aus den Augenwinkeln einen Blick auf huschende Bewegungen über die feuchte Steinfläche. Er riss sich zusammen und konzentrierte sich darauf, den Regenten nicht aus den Augen zu verlieren.