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Und überall um sie herum schwärmten schreiende Heuschrecken, von denen die meisten so groß wie Fhremus’ Hand oder sogar noch größer waren. Sie nährten sich gierig von dem Korn und dem Kadaver selbst.

Doch im Gegensatz zu den Jungtieren in der Zisterne schienen diese wirklich fliegen zu können.

Talquist drehte sich zu dem Giganten um. »Faron, bitte bring uns eine.«

Der Titan schaute kurz auf das grüne, schleimige Wasser hinunter und watete dann hindurch. Fhremus hielt unwillkürlich den Atem an, als der Gigant an ihm vorbeischritt, wobei das Wasser an seinen Stiefeln hochschwappte. Die Statue ging weiter und ließ sich von dem Angriff der ausschwärmenden Kreaturen nicht beeindrucken. Schließlich hatte der Gigant deren Futterplatz erreicht. Er streckte mit erschreckender Geschwindigkeit eine Hand aus und packte eines der Insekten. Ein furchtbares Knacken hallte durch die Kaverne. Fhremus zuckte zusammen. Dann watete der Titan zurück zu der Stelle, wo der Kaufmann stand. »Streck deine Hand aus, Fhremus«, sagte Talquist leise.

Der Kommandant atmete tief durch und gehorchte.

Der Riese starrte auf ihn hinunter; seine milchigblauen Augen glommen im Licht der Laterne. Er warf Fhremus die Heuschrecke auf die Handfläche und kehrte dann zum Ufer zurück.

»Sieh sie dir an«, flüsterte Talquist mit ehrfürchtiger Stimme.

Fhremus schluckte seinen Abscheu herunter und hielt den Körper der Heuschrecke näher ans Licht. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Wie das kleinere Insekt, das am Rand der Zisterne gegen ihn geflogen war, hatte auch dieses Geschöpf scharfe, kantige Umrisse und rasiermesserscharfe Kiefer und Beine. Doch sein Erscheinungsbild unterschied sich stark von dem des kleineren Tieres. Dieses hier hatte einen schlangenartigen Schwanz, die Flügel waren groß und ähnelten Schwimmhäuten, die Augen hatten senkrechte Pupillen, und der Mund war eher wie der einer Schlange als wie der eines Insekts.

Beinahe drachenartig.

»Bist du jemals in Terreanfor gewesen?«, fragte Talquist, während er beinahe liebevoll mit einem behandschuhten Finger über den zerdrückten Leib fuhr.

»Nur einmal, zur Beerdigung der Herrscherin und ihres Sohnes«, antwortete Fhremus.

»Dann hast du vielleicht die wundervollen Statuen dort gesehen. In der ewigen Dunkelheit, die den Lebendigen Stein der Kathedrale beherbergt, steht eine ganze Menagerie lebensgroßer Statuen: Bäume, die so hoch wie die Kathedralendecke sind, und unter denen Antilopen und Gazellen, Elefanten und Löwen grasen, allesamt in vollkommener Perfektion ausgeführt. Hast du sie gesehen?«

»Ja, Herr.«

»Sie sind ein wunderbarer Anblick, nicht wahr, Fhremus? Vollkommen bis in die kleinste Einzelheit; nichts wurde vergessen. Die Bildhauer, die sie geschaffen haben, müssen Künstler mit unvergleichlichen Fähigkeiten gewesen sein, nicht wahr?«

»Zweifellos, Herr«, antwortete Fhremus und bemühte sich dabei, geduldig und respektvoll zu klingen.

Der Regent sagte verächtlich: »Zweifellos, ja, Fhremus, denn du begreifst nicht, dass die Erde selbst diese Statuen erschaffen hat. Unsere Vorfahren, die Eingeborenen dieses Landes, die schon hier gelebt haben, lange bevor die verfluchten Cymrer mit ihren Erfindungen, ihren Krankheiten und Kriegen kamen, wussten um die Rolle, die der Lebendige Stein bei der Unsterblichkeit spielt. Sie begruben Exemplare von allen Tieren, Blumen und Bäumen im geheiligten Boden von Terreanfor, und aus diesem Boden wuchsen die steinernen Statuen – mit den genauen Abmaßen der Tiere und Pflanzen, die in ihm beerdigt waren.« Er liebkoste die Flügel des Insekts. Es waren auch Soldaten darunter, von denen viele wahre Riesen waren – wie der, den ich geerntet habe, um daraus Faron zu erschaffen, dachte er.

Fhremus sog leise die Luft ein.

»Ihre Eigenschaften überlebten die Kreaturen in mehr als einer Hinsicht, Fhremus«, fuhr Talquist fort. »Die Tiere zum Beispiel wurden nicht nur zu Statuen, sondern sie behielten auch das bei, was an ihnen einzigarig war. Noch immer steckt in den Elefanten eine gigantische Stärke und in den Raubtieren ungeheure Gewandtheit und Schnelligkeit, auch wenn sie für immer erstarrt dastehen. Sogar die Blumen haben ein wenig von ihrem Duft behalten und riechen entfernt noch so wie damals vor vielen Jahrtausenden, als sie in voller Blüte standen. Das ist sicherlich eine Art wahrer Unsterblichkeit.«

Fhremus blieb weiterhin still und kämpfte darum, die vielen Fragen in seinem Kopf zu unterdrücken. Die drängendste lautete, wie der Herrscher wohl zu seinem Wissen gekommen war. Bevor Terreanfor vor kurzem durch ein Erdbeben unzugänglich geworden war, hatten nur die Priester aus dem Kolleg in Jierna’sid Zutritt gehabt, und lediglich die höchstrangigen waren hineingegangen und hatten sich um die Erhaltung der Kathedrale gekümmert. Fhremus war nicht klar, wie Talquist so viel über die Geschichte und das Aussehen dieses Ortes wissen konnte, doch er unterdrückte alle misstrauischen Gedanken, indem er sich wie immer sagte, dass der All-Gott den Herrscher erwählt hatte, und als Soldat war es Fhremus’ Pflicht, die Visionen des Herrschers zu unterstützen und seine Befehle auszuführen. Sein Widerstreben hätte man als Zweifel an der Weisheit des All-Gottes auslegen können.

»Dieser Drache war einmal ein solches Wesen, und nun ist er eine Statue, geformt aus Lebendigem Stein. Zu seinen Lebzeiten hatte er dieselben Fähigkeiten und Kräfte wie alle anderen seiner Art – einschließlich der Fähigkeit des Fliegens. Die Heuschrecken haben das Korn gefressen, das aus seinem Rücken wächst, und daher haben sie ein wenig von seinem Leben und seinen Eigenschaften in sich aufgenommen – einschließlich seiner Flugfähigkeit. Es sind jetzt kleine Halbblute, kleine Mutanten, die sowohl den ihnen eigenen Appetit als auch die Macht haben, lange Strecken im Flug zurückzulegen. Ich nenne sie Iacxsis, denn ich glaube, so hieß der tote Drache. Fass ihn an, Fhremus. Zieh deinen Handschuh aus und befühle seine Haut.« Er kicherte, als er das Entsetzen des gehorchenden Soldaten sah. »Weil sie mit Lebendigem Stein genährt wurden, sind sie hart und haben sogar einen besseren Panzer als ihren eigenen Insektenschild oder die Schuppen eines Wyrms. Und ihr Schrei ist hundertmal lauter als der eines Jungschwarms; er ist Musik in meinen Ohren.«

»Vergebt mir Herr, aber wozu ist das alles gut?«, fragte Fhremus. Die Worte schossen geradezu aus ihm heraus. »Die Gegenwart dieser Geschöpfe in unserem Land bringt doch nur Unheil, oder? Diejenigen, die man in der Natur vorfindet, verursachen Hungersnöte, Seuchen, und Tod. Warum also seid Ihr so froh, sie in noch schrecklicherer Gestalt zu sehen?«

Talquist lächelte. »Auch du wirst bald froh über diese hier sein, Fhremus – wenn du erst die Ausgewachsenen gesehen hast. Komm.«

Er watete aus dem schleimigen Wasser, schüttelte seine Stiefel aus und führte den Kommandanten durch einen weiteren Tunnel, in dem die Feuchtigkeit der Luft sowie das schreckliche Surren allmählich nachließen. Der Steintitan folgte ihnen immer noch lautlos.

Schließlich kamen sie ans Licht. Hier roch die Luft wie in Bergesnähe. Am Ende dieses Tunnels befand sich eine breite, offen stehende Steintür, vor der Talquist stehen blieb. Er konnte sich kaum noch beherrschen.

»Erinnerst du dich daran, wie ich dich vor einigen Monaten gebeten habe, mir ein paar deiner schlankeren Soldaten zu leihen, die die Lungenstärke und die Fähigkeit bewiesen hatten, in unserem Hochgebirge zurechtzukommen?«

»Ja, Herr. Ich hoffe, sie haben Euch gut gedient.«

Der Herrscher grinste breit und trat neben die Tür. »Sieh selbst.«

Fhremus riss sich zusammen und trat auf die Schwelle.

Zuerst war der Kommandant von dem Anblick, der sich ihm bot, verwirrt. Er begriff nicht, was er da sah. Ganz hinten in der Kammer befand sich eine Öffnung; sie glich dem Eingang einer Höhle. Diese Öffnung überblickte den tiefen Abgrund, der die Erde neben Jierna Tal durchschnitt. Seine fernen Spalten und Klüfte lagen in den Schatten der herannahenden Nacht. Nahebei waren einige Tierpferche zu sehen; sie wirkten wie Pferdestallungen und zählten zu Dutzenden. Soldaten schritten die Gänge zwischen den Pferchen ab, besprachen sich miteinander und gingen auf den Koppeln ein und aus.