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Vor ihm in den Schatten des Kaminfeuers stand ein junges Kammermädchen, an dessen Namen er sich nicht erinnern konnte; sie zitterte wie ein Blatt im starken Herbstwind. Sie hatte dunkle Haare und Augen, war etwa einen halben Kopf größer als Rhapsody und sah ihr überhaupt nicht ähnlich. Ihr Gesicht war vor Entsetzen weiß geworden, und nun errötete sie in einer Mischung aus Grauen und Verlegenheit.

Genau wie Ashe.

Was alles noch schlimmer machte, war das Wissen, dass so etwas nicht zum ersten Mal geschehen war.

Das Tablett, das sie eben noch in den Händen gehalten hatte, klapperte zu Boden; der Teller mit seinem Abendessen fiel auf den Teppich vor dem Kamin.

Ashe spürte, wie sein Gesicht zu einer Maske erstarrte.

»Ich … ich …«

Der Mund des Kammermädchens stand gleichfalls offen.

»Herr«, flüsterte sie. »Nicht. Bitte.«

Ashe versuchte sich an die Frau zu erinnern. Er glaubte, dass sie aus Bethania stammte und mit einigen weiteren Bediensteten in Gesellschaft von Tristan Steward, dem Regenten von Roland, als Geschenk während Rhapsodys Niederkunft nach Haguefort gekommen war. Die anderen beiden Frauen waren vielleicht Kindermädchen gewesen, doch diese hier war nur eine Dienerin von untergeordnetem Rang, eine Kammermagd, die nun mit Schrecken in den Augen und sichtlich zitternd vor ihm stand.

»Ich … es tut mir so leid«, murmelte er und fuhr sich mit der Hand durch das kupferfarbene Haar, das plötzlich schweißnass war. »Ich … ich fühle mich nicht wohl. Bitte vergib mir.«

Die junge Frau verneigte sich rasch, genau wie Ashe, und sammelte die Speisen auf, die nun über den Boden verstreut lagen.

»Das war mein Fehler, Herr«, flüsterte sie nervös.

»Nein«, sagte Ashe. »Keineswegs. Wie ich schon sagte es tut mir sehr leid.«

Er drehte sich rasch um und schoss aus dem Raum aus der Festung hinaus in die kalte Nacht, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Das Kammermädchen sammelte das Essen auf, beruhigte sich rasch wieder und trug alles zurück in die Küche. Sie blieb stehen, als sie das Bibliotheksfenster passierte, und sah, wie Ashe in den Hof eilte, dann innehielt und den Kopf gegen einen Laternenpfahl lehnte. Das Kerzenlicht fiel auf den metallischen Glanz seines Haares, das wie Kohle in der Nacht erglühte.

25

Am nächsten Morgen fühlte sich Ashe, als litte er unter den Nachwirkungen einer hemmungslosen Zecherei. Nach den ersten Stunden heftigster Kopfschmerzen bereute er es, sich nicht tatsächlich am vergangenen Abend betrunken zu haben, denn auch ein Kater hätte ihm keine größere Pein verursachen können als die Ankunft der Herzöge von Roland.

Er stand auf dem Balkon und hielt eine Tasse mit einem starken Kräutertee in der Hand, den seine Frau oft dazu benutzt hatte, um ihn aus dem tiefen Drachenschlaf zu holen. Er versuchte jeden Wagen zu erkennen, der auf der stark befahrenen Straße dahinfuhr, die von Ost nach West an Hagueforts Toren vorbeiführte. Bogenschützen standen in den kürzlich erneuerten Wachttürmen und boten den Wagen Schutz, während der cymrische Herrscher darüber nachsann, ob er vielleicht den Befehl geben sollte, auf einige der Insassen zu schießen, wenn sie ihre Kutschen verließen.

Der erste der eintreffenden Herzöge wäre ihm wehrlos ausgeliefert gewesen, wie er bemerkte, als Cedric Canderre mit Hilfe seines Lakaien aus der Kutsche kletterte. Aufgrund seines eigenen Verlusts konnte sich Ashe gut in den ältlichen Herzog hineinversetzen. Er war ein Freund, der immer gastfreundlich und höflich gewesen und zwar vielleicht nicht der beste aller Ehemänner, so aber doch ein liebender und hingebungsvoller Vater gewesen war. Hier in Haguefort hatte er beim Winterkarneval, der so viele Menschenleben gekostet hatte, seinen einzigen Sohn und Erben sterben sehen. Sicherlich zerriss es ihm nun das Herz, diesen Ort aufsuchen zu müssen.

Ashe nahm einen Schluck des schlecht schmeckenden Tees und zuckte zusammen. Wenn er nicht so unpässlich gewesen wäre, hätte er das Treffen in der Hohen Warte einberufen, deren Hallen und Verteidigungsanlagen fast fertig waren und wohin sie sehr bald umziehen würden. Auch wenn in der neuen Festung noch nicht sehr gut für das leibliche Wohl gesorgt war, so befand sie sich doch in einem bewohnbaren Zustand und hätte Cedric Canderre die Schmerzen erspart, die er nun zweifellos empfand, als er langsam den gepflasterten Weg nach Haguefort hochlief. Leider, dachte er, gehören solche diplomatischen Überlegungen der Vergangenheit an. Es ist anstrengend genug für mich, einen klaren Kopf zu behalten, nicht wütend zu werden und mich auf das Treffen zu konzentrieren.

Am geöffneten Tor stand Gwydion Navarne mit den Händen auf dem Rücken. Ashe beobachtete dankbar, wie der junge Herzog Cedric Canderre warmherzig begrüßte, ihn beim Arm nahm und in die Festung geleitete. Wie ähnlich er seinem Vater sieht, dachte Ashe, während Gwydion dem älteren Herzog die Tür aufhielt. Vielleicht wird es trotz Rhapsodys Abwesenheit doch noch Gastfreundschaft in diesen Hallen geben. Dieser Gedanke und der Blick hinunter munterten ihn etwas auf. In den Streitgesprächen, die sie bald führen würden, war er froh, seinen Namensvetter neben sich zu haben, auch wenn die anderen die Meinungen des jungen Herzogs wegen dessen Jugend und Unerfahrenheit sicherlich oft ablehnen würden.

Hinter der Kutsche des Herzogs von Canderre warteten zwei weitere; eine stand unmittelbar auf der Straße, die andere manövrierte herum, weil sie die letzte ankommende sein wollte. Die erste trug das Wappen von Yarim, dem trockenen roten Land östlich von Cedric Canderres üppig grüner und fruchtbarer Provinz. Die zweite war mit den Farben von Bethania bemalt, Rolands Hauptstadt sowie seiner zentralen Provinz. Ashe nahm einen weiteren Schluck Tee und hoffte, das Klopfen in seinem Kopf werde bald aufhören.

Ihrman Karsrick, der Herzog von Yarim, wartete lange, bevor er die Tür öffnete und die Stufen der Leiter hinunterschritt. Er schaute in offenbarer Verärgerung auf die Kutsche hinter ihm, die mehr als eine Viertelstunde vor ihm eingetroffen war, und ging dann wütend den Weg hinauf. Sein Missfallen war ihm deutlich an der Haltung von Kinn und Schultern abzulesen.

Der cymrische Herrscher seufzte.

Die Kutsche aus Bethania wartete noch beinahe eine ganze Stunde am Straßenrand, während die Wagen von Quentin Baldasarre und Martin Ivenstrand eintrafen, den Herzögen von Bethe Corbair und Avonderre. Im Gegensatz zu den anderen Gefährten war das von Ivenstrand aus dem Osten gekommen, wo Avonderre mit der einen Seite an Navarne und mit der anderen an das Meer grenzte. Der Herzog von Avonderre stieg aus, schaute sich um und ging dann rasch auf die Festung zu, doch er hielt inne, als die Kutsche aus Bethe Corbair vor das Tor fuhr. Er lief zurück und wartete darauf, dass Quentin Baldasarre ausstieg; dann begleitete er ihn zum Eingang und redete währenddessen mit ihm.

Als schließlich auch die vier übrigen Herzöge eingetroffen waren und sich ihre Kutschen auf den Weg zu den Stallungen gemacht hatten, rollte der Wagen von Tristan Steward, dem Regenten und Herzog von Bethania, langsam auf Hagueforts Tor zu.

Ashe schluckte die Galle herunter, die in ihm aufgestiegen war. Schon seit er ein junger Mann gewesen war, hatte er Tristan Steward nicht gemocht, auch wenn er hart gegen seine Gefühle angekämpft hatte. Im Gehabe des Regenten lag etwas Anmaßendes, das immer wieder den reizbaren Drachen in seinem Blut weckte und entflammte. Wir sollen um das Überleben dieses Kontinents kämpfen, und dieses kleinmütige Rindvieh verschafft sich durch sein Herumkurven den besten Auftritt, dachte er verbittert. Das Bündnis wird genauso von innen wie von außen bedroht.

Er schluckte den Rest des Kräutertees herunter, spürte jedoch keinerlei Stärkung. Dann trat er vom Balkon mit seiner frischen Luft und begab sich zum Konferenzzimmer, wo der strahlende Morgen einem endlosen Tag voll ermüdenden Pläneschmiedens und kleinlicher Nahkämpfe weichen würde, an deren Ende mit etwas Glück ein vereinigtes Heer stehen mochte, das den Mittleren Kontinent vor allzu großem Blutvergießen bewahren sollte.