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Plötzlich umgab sie eine Schwingung, die von einem anderen Ton als dem gebildet wurde, welchem sie bis hierher gefolgt war. Sie reizte die Augen der Drachin sowie Teile ihrer Haut, doch sie schüttelte diese Schwingung ab. Am Oberlauf des Stroms waren ihre Augen und ihr Mund plötzlich von Sonnenlicht erfüllt, so golden und dick, dass es beinahe stofflich war.

Die Drachin keuchte entzückt auf. Der bernsteinfarbene Nektar war süß auf ihrer Zunge und beruhigte das ätzende Brennen in ihrem Hals, das sie seit ihrer Verwundung plagte. Sie trank mehr von dem gedickten Sonnenlicht, schluckte es verzweifelt herunter und spürte, wie es sie anfüllte, stärkte, das Feuer in ihrem Bauch löschte und ihr Frieden brachte.

In dem Strom rollte sie sich auf den Rücken, stieß langsam die Luft aus und fiel in einen traumlosen, heilenden Schlaf.

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Die heilige Zitadelle von Sepulvarta, der Stadt der Vernunft

Bevor der Patriarch Sepulvarta heimlich verlassen hatte, um sich mit dem Herrn und der Herrin der Cymrer zu treffen, hatte er befohlen, die Stadt zu versiegeln.

Sepulvarta war der Mittelpunkt aller Geistlichen des patriarchalischen Glaubens sowie eine Pilgerstätte für Menschen anderen Glaubens, ja sogar für die Vielgötter-Religionen des Kontinents, die aus der Zeit vor der cymrischen Ära stammten. Die Stadt hatte den Ruf religiöser Toleranz und war immer frei zugänglich. Auf der Straße, die von der transorlandischen Hauptstraße südlich der Stadt in sie hineinführte und als Pilgerstraße bekannt war, wimmelte es stets von Menschen und Tieren, von Pilgern, Geistlichen und Kaufleuten, die alle ihre eigenen Gründe für den Besuch des unabhängigen Stadtstaates hatten. An gewöhnlichen Tagen dauerte es kaum eine Stunde, bis man über diese Straße in der Stadt angelangt war; an heiligen Tagen oder zuzeiten von Hungersnöten oder Feierlichkeiten wartete man bisweilen fast einen ganzen Sonnenumlauf. Selten kam es vor, dass einzelne Besucher Sepulvartas sogar mehrere Nächte auf der Straße oder in einer der vielen Herbergen und Tavernen entlang ihres Verlaufs zubringen und darauf warten mussten, durch das eine Tor in der gewaltigen Mauer eingelassen zu werden, welche die gesamte Stadt umgab.

Das Versiegeln der Stadt war eine Vorsichtsmaßnahme, die durchaus nicht beispiellos war. Gelegentlich war der Zustrom zu den heiligen Orten und Schreinen so stark, dass nicht mehr in der rechten Weise für die Besucher gesorgt werden konnte. Wenn die Herbergen und Fremdenhäuser, die Tavernen und Schankräume mehr Gäste hatten, als sie eigentlich aufnehmen konnten und man lange für Essen und Bier anstehen musste, was zu unangenehmen Zwischenfällen, Drohungen und manchmal sogar offener Gewalt führte, dann war ein solcher Zustand für eine heilige Stadt nicht hinnehmbar. Die früheren Patriarchen hatten sich deshalb oft entschieden, nicht die Gastfreundschaft zu verwehren, wie es in alten Zeiten geschehen war, sondern lieber das Bier weiterhin im Ausschank zu halten und dafür die Zahl der Kunden zumindest zeitweise zu begrenzen, bis die heiligen Tage vorüber waren und der Verkehr wieder normal floss.

Als daher der Befehl gegeben wurde, die Stadt zu versiegeln, dachte niemand besonders darüber nach.

Wie sich später herausstellte, verhinderte diese Maßnahme, dass die Stadt und die Gehöfte in ihrer Umgebung zerstört wurden.

Sepulvarta hatte nur das Schlechteste von den beiden Ländern abbekommen, an die es grenzte. Es lag nördlich des bergigen Sorbold und südlich der offenen Steppe von Roland auf einem kleinen Hügel am Rande des niedrigen Vorgebirges und inmitten des flachsten Teils der Krevensfelder, weshalb es für alle Reisenden von weitem sichtbar und kaum zu verteidigen war. Als heilige Stadt beider Nationen hatte Sepulvarta es glücklicherweise nie nötig gehabt, Verteidigungsanlagen zu errichten. Selbst in den siebenhundert Jahren des Cymrischen Krieges, als die Krevensfelder unter Schreckenstaten gelitten hatten und in den Bergen der furchtbare Lärm der Schlachten zu hören gewesen war, war die heilige Stadt unangetastet geblieben, auch wenn das nur ein Zufall gewesen war, wie Anborn dem Konzil mitgeteilt hatte. Nachdem das Heer die Gehöfte in der Umgegend eingenommen hatte, war es viel einfacher gewesen, die Soldaten an verschiedenen Orten mit ausreichender Versorgung einzuquartieren, anstatt das Hauptquartier an einem Ort zu errichten, der geradezu darum bettelte, belagert zu werden. So blieb Sepulvarta unbeschädigt, unerobert und unbefleckt von all dem Grauen, das sich um es herum ereignete.

Trotz Anborns Versicherung, die Stadt hätte keinen strategischen Wert und sei nicht geeignet für die Einquartierung von Truppen, hatten viele Bewohner von Sepulvarta ihr Glück und ihre Sicherheit in die Hände des All-Gottes und unter den Schutz des Turmes gestellt. Der Turm nahm einen gesamten Häuserblock ein, erstreckte sich tausend Fuß hoch in die Luft und wurde von einem einzigen Stück aus elementarem Äther bekrönt, das angeblich ein Fragment des Sterns Seren war, der einst eine halbe Welt entfernt über der untergegangenen Insel Serendair geleuchtet hatte. Dieser einzelne Sternensplitter erhellte die Stadt bei Tag und Nacht und segnete sie mit seinem Licht auch in den schlimmsten Gewittern und an den wolkigsten Tagen. Die sich der Stadt nähernden Pilger sahen sein Strahlen bereits fast eine Woche, bevor sie ihn erreichten. Sie wurden nicht nur von dem Licht dieses Signalfeuers geleitet, sondern auch von der Kraft, die es ausstrahlte.

Der Turm reichte bis zu den Wolken über der großen Basilika, welche das Fundament der Stadt und dem Element des Äthers geweiht war, das allgemein als Lianta’ar bekannt war. Jedem der fünf uranfänglichen Elemente, die manchmal auch die Farben des Schöpfers genannt wurden, war eine Basilika geweiht, aber Lianta’ar, was angeblich in der alten Sprache der Cymrer Herr und All-Gott, Licht der Welt bedeutete, war bei weitem die großartigste und auch die jüngste. Sie war der Sitz des Patriarchen, des geistlichen Oberhaupts, und hier wurden die alljährlichen Rituale durchgeführt, die sämtliche Anhänger dieser Religion schützten. Die Gebete aller Gläubigen wurden an diesem Ort gebündelt und durch den Turm dem Schöpfer dargebracht. Näher als hier konnte niemand seinem Gott kommen, wenn er ihm seine Gebete zu Füßen legen wollte.

Die vierzehn Fuß dicke Mauer, welche die Stadt umgab, diente eher der Dekoration und dem Prunk als der wirksamen Verteidigung. Da die Elitesoldaten von Sepulvarta bisher unversehrt geblieben waren, war ihre Aufgabe hauptsächlich eine zeremonielle. Ihre Uniformen waren nicht die von Männern, die in die Schlacht ziehen mussten, sondern waren mit farbenprächtigen Insignien geschmückt, die viele liturgische Symbole und Farben des Patriarchats trugen. Diese Soldaten überprüften die ankommenden und abreisenden Besucher, hielten auf den Mauern Ausschau und bewachten das Haus des Patriarchen. Die Wachablösung war eines der beliebtesten Spektakel unter den Pilgern, doch die Verteidigungskraft dieses Heeres hätte höchstens einer ersten Angriffswelle standgehalten. Mehr war nie nötig gewesen.

Der Hauptmann der Stadtwache, ein Mann namens Fynn, schritt gerade die Mauer ab, überprüfte die Pferde der Bogenschützen und genoss die leichte Brise, die nach Frühling duftete, als er zufällig südwärts schaute, wo die Berge von Sorbold den Horizont schwärzten.

Er blinzelte erstaunt.

Was bisher immer ein ziemlich weit entfernter Horizont gewesen zu sein schien, war nun erheblich näher gekommen.

Einen Augenblick später wurde deutlich, dass er immer noch herannahte.