Выбрать главу

Kämpfe mit deinen Stärken, so wie sie sind, und nicht so, wie du sie haben willst.

Er atmete tief ein, schmeckte die beißende Asche von den Feuern und roch den Eintopf und das lederne Sattelzeug der Pferde.

In jenen Tagen war er der ungebärdige jüngere Bruder gewesen, der sich hatte beweisen müssen. Edwyn Griffyth hatte bei seinem Vater die Kunst der Architektur, des Ingenieurwesens und der Erfindungen gelernt und mit ihm als sein Erbe gestritten; Llauron war den Lehren seiner Mutter gefolgt, war filidischer Priester geworden und hatte schließlich als Fürbitter der Filiden sowie als Beschützer des Großen Weißen Baumes gedient. Doch Anborn, der weder ein Anrecht auf den Thron noch eine Neigung zum religiösen Leben hatte, hatte seine Eltern durch Kühnheit auf dem Schlachtfeld stolz machen wollen.

Die lirinische Meisterin hatte ihn eines Besseren belehrt. Sie hatte ihm beigebracht, dass militärische Macht mit Rechtschaffenheit einhergehen musste. Das, was ihm als junger Mann an körperlicher Reife fehlte, musste er mit Schnelligkeit und Geschick ausgleichen, die sich nur aus Übung und Klugheit ergeben konnten. Er hatte damals im Spiegel denselben Eifer gesehen, den er nun auch bei den Jungen aus Streiftor bemerkt hatte, und begriff, wie heilig dieser Eifer war und wie leicht er verloren gehen oder in die Irre geleitet werden konnte, wenn er nicht von einem Helden wie der lirinischen Meisterin in die richtige Richtung geführt wurde.

Er lächelte trocken, denn er wusste, dass er für die Jungen ein solcher Held war.

Oelendra hatte ihn auch vor Götzenverehrung gewarnt. Du magst mein Geschick bewundern und mich nachahmen wollen, hatte sie ihm zu Beginn seiner Ausbildung gesagt. Aber verwechsele das nicht mit mir. Ich habe in meinem Leben viele Fehltritte und Taten begangen, auf die ich nicht stolz bin, weil ich trotz meiner gottgleichen Langlebigkeit dennoch sterblich bin. Genau wie du. Lerne, deinen Helden und dir selbst zu vergeben. Irgendwann wirst du beides tun müssen, wenn du dieses Leben als Blutsverwandter wirklich leben willst.

Sie beide hatten diese Ehre erlangt, dachte er, also mussten ihre Worte wahr gewesen sein.

Rhapsody hatte beim Abschied etwas Ähnliches zu ihm gesagt.

Du kannst dich von nichts reinigen, was dir zugestoßen ist, als wäre es nur eine Unreinheit im Stahl, die im Feuer der Schmiede weggeschmolzen wird. Alles Vergangene hat dich zu dem gemacht, was du bist – wie Noten einer Sinfonie. Gesund oder gelähmt, du bist, was du bist. Ryle hira, wie die Lirin sagen. Das Leben ist so, wie es ist. Vergib dir selbst.

Der Marschall zögerte, rollte sich dann steif auf die Seite, ergriff seinen Ledersack und zog ihn näher an sich heran. Er löste die Riemen und holte die Muschel hervor, die Rhapsody ihm gegeben hatte. Dabei erinnerte er sich zärtlich an ihr blasses Gesicht im Widerschein des Feuers.

Versuch wenigstens, so gesund wie möglich zu sein – wenn schon nicht für dich selbst, dann für die Männer, die du anführst. Und für mich.

»In Ordnung, meine Herrin«, sagte er leise zu sich selbst. »Ich vermute, es schadet nichts, wenn ich es versuche, denn schließlich bist du ja weit weg und kannst es nicht sehen.«

Er lehnte sich gegen die Bettrolle und hielt die Muschel ans Ohr. Alles, was er hörte, war das donnernde Rauschen des Seewindes über den Wellen. Er seufzte, trieb in den Schlaf und träumte von Gesichtern, von denen er wusste, dass er sie nie wieder sehen würde.

Die Schlacht um Sepulvarta war bereits verloren, noch bevor sie begonnen hatte.

Länger als eine Stunde warteten die Verteidiger furchtsam und starrten von der Mauer auf die fünfzigtausend Mann herunter, die vor der Stadt lagerten. Das Heer war ausgeschwärmt, bis die Mauer an allen Seiten umgeben war, doch dann schien alles langsam zum Stillstand zu kommen. Einige der Soldaten errichteten Kriegslager um kleine Kochfeuer, während die Kavallerie zwar nicht absaß, aber entspannt wirkte. Die Wagen mit den Geschossen und Katapulten sowie den anderen Belagerungswaffen blieben unberührt, während das Heer selbst wenig oder gar nichts tat, um hinter die Linie der ersten Konfrontation zu gelangen. Wenn es sich überhaupt um eine Belagerung handelte, dann schien es eine des festen Willens zu sein, denn es wurden keine weiteren Drohungen ausgesprochen und keine Waffen gegen das Tor eingesetzt.

»Sie wollen uns mürbe machen«, sagte Gregor, der Küster, mit brüchiger Stimme. Er hatte über die Einquartierung der Gläubigen und Pilger in der wundervollen Basilika gewacht und schien über die vielen Leute in der Kathedrale entsetzt zu sein. »Zum Glück ist genug Essen und Wasser da, und der cymrische Herrscher wird sicherlich nicht einfach dasitzen und zusehen, wie das sorboldische Heer die Auslieferung des Oberhaupts des patriarchalischen Glaubens fordert. Also stecken wir alle augenblicklich in einer Sackgasse. Wir werden niemals ihrem Wunsch entsprechen. Früher oder später werden wir entweder gerettet, oder sie geben aus Langeweile auf und ziehen sich zurück.«

»Ich hoffe, Ihr habt recht, Euer Gnaden«, sagte Fynn zweifelnd. Er beobachtete die Menschenmengen in den Straßen der Stadt; es waren einfach zu viele, um sie hinter sichere Türen zu bringen. Sie verstopften die schmalen Gassen in der Nähe der Geschäfte und Schreine.

Als die zweite Stunde vergangen war, erschien der Falkner des heiligen Stuhls.

»Ich bin bereit, die Botschaft nach Haguefort zu schicken, falls Ihr es noch wünscht, Euer Gnaden«, sagte er zu dem Küster.

»Ich sehe keine andere Möglichkeit«, erwiderte Gregor. »Nun gut, lass den Raubvogel los.«

Der Falkner verneigte sich ehrerbietig und löste die Bänder. Der Vogel flatterte zweimal mit den Schwingen während er noch auf dem Arm des Mannes saß, dann stieg er in einem warmen Aufwind nach oben und machte sich auf den Weg nach Norden. Er stieg bis zur Höhe der Gebäude auf, welche die Straßen zum Turm säumten.

Ein Schatten fiel von oben herab, segelte über das Tor und die Straßen der Stadt. Er war größer als ein Pferd und schoss hinter dem Falken durch die Luft, dann machte es ein schrecklich knirschendes Geräusch, als er den Vogel zwischen seine Kiefer nahm und ihn im Flug verschluckte. Ein Schauer aus blutigen Federn fiel in kreisenden Bewegungen auf die Soldaten herab.

Von den Straßen ertönte ein vielstimmiges Keuchen.

Einen Augenblick später verdunkelte sich der Himmel vor ähnlichen Schatten.

An allen Seiten der Stadt erschienen große Bestien über den Häusern und Geschäften, sie segelten mit gewaltigen, fledermausartigen Schwingen dahin. Ihre Bewegungen waren wie die von Schlangen, und sie hatten lange, stachlige Schwänze, die im Flug hin und her droschen. Ihre Beine und Kiefer hingegen waren insektenartig, scharfkantig wie die der Pestheuschrecken, die zu ihren Ahnen gehörten.

Auf jedem von ihnen saß ein Reiter mit einem brennenden Bündel aus Reisig, das mit Pech oder Öl durchtränkt war.

Innerhalb weniger Sekunden hatten die Riedgrasdächer einiger Häuser Feuer gefangen und brannten lichterloh. Schwarzer Rauch stieg von ihnen auf, gefolgt von den Rufen der Zuschauer auf den gepflasterten Straßen und den Entsetzensschreien all jener, die in den Gebäuden eingeschlossen waren.

»Was … was im Namen des All-Gottes geht hier vor?«, wollte Gregor mit bebender Stimme wissen und stellte sich vor Fynn.

»Bei allem nötigen Respekt, Euer Gnaden, geht mir aus dem Weg, verdammt noch mal!«, brüllte ihn der Hauptmann der Wache an, drückte den Priester zur Seite und eilte auf die Mauer zu. »Schießt auf die Bestien!«, schrie er den Bogenschützen zu, die starr vor Entsetzen nach oben schauten.