Eine neue Salve brennender Bündel fiel aus dem Himmel herab. Weitere Dächer brannten; die glitzernden weißen Steinhäuser, für die Sepulvarta berühmt war, glühten rosafarben im Feuerschein, während die Dächer und Wagen auf den Straßen in Flammen aufgingen. Glimmende Asche regnete auf die entsetzten Massen herab.
»Zur Basilika!«, brüllte Fynn den Soldaten auf der Straße zu, doch seine Stimme ging im Lärm der Panik unter. Er zeigte erneut auf die verblüfften Bogenschützen. »Schießt auf die verdammten Biester!«
Einem der Bogenschützen gelang es schließlich, sein Entsetzen abzuschütteln. Er zielte auf eine der fliegenden Eidechsen, die gerade auf einem benachbarten Dach landete. Er spannte den Bogen und schoss den Pfeil ab. Es war ein sauberer, heftiger Schuss, der das Tier in der Flanke knapp unterhalb des Flügels erwischte.
Der Pfeil prallte mit einem dumpfen Geräusch ab; es war derselbe Laut, den er verursacht hätte, wenn er auf einen Pflasterstein oder Ziegel getroffen wäre.
Nun ist es aus mit uns, dachte Fynn. »Also gut«, sagte er und bemühte sich, seine Stimme ruhig zu halten. »Schieß auf den Reiter.« Der zitternde Bogenschütze gehorchte, ein weiterer sauberer Schuss traf eine Ritze in der Rüstung des Mannes.
Der Reiter richtete sich abrupt auf und fiel schwer von seinem Tier auf die Straße unter ihm.
Der Hauptmann der Wache und der Bogenschütze keuchten vor Freude auf. »Das ist es!«, rief Fynn aus. »So kriegen wir sie. Zielt auf die Reiter!«
Die Bestie schien sie kurz anzustarren. Dann erhob sie sich, stieg mit einem gewaltigen Sprung ihrer insektenartigen Beine vom Dach auf, schoss hinunter in die Straße und schnappte gierig mit ihrem Schlangenkopf. Die Pilger, die sich in den Eingängen der brennenden Häuser verkrochen hatten, schrien wie mit einer Stimme auf, als die Bestie mit ihren rasiermesserscharfen Kiefern eine fliehende Frau erwischte, ihr mit einem einzigen Biss das Rückgrat zerschmetterte und dann mit der Beute im Maul einen großen Sprung in den Himmel hineintat.
Wahnsinn stieg herab auf die Stadt der Vernunft.
Fhremus beobachtete den ersten Angriff aus der Luft mit großer Zufriedenheit.
Er sah den Rauch, der aus dem Mittelpunkt der Stadt in den Himmel aufstieg; er war schwarz und ölig und stank nach Pech und brennendem Stroh. Eine Unmenge Vögel waren aufgestiegen; es waren nistende Schwalben und Tauben, die ihre Nester in den Giebeln der in Flammen stehenden Häuser gebaut hatten. Aus der Stadt drangen laute Schreie der Angst und des Grauens über die Mauern.
Er wandte sich im Sattel um und schaute den Titan an, der stocksteif dastand, seit sie vor dem Stadttor eingetroffen waren.
»Bist du bereit, Faron?«, fragte er und war sich dabei nicht sicher, ob das Wesen überhaupt wach und bei Bewusstsein war.
Die milchig-blauen Pupillen erschienen in den Steinaugen. Die gigantische Statue nickte mechanisch.
Fhremus schluckte und räusperte sich. »Also gut. Öffne das Tor.«
Die riesige Statue reckte Arme und Beine und schritt allein vor.
Der Kommandant wandte sich an seine Adjutanten. »Auf mein Signal«, sagte er. Sie salutierten vor ihm und ritten zurück an die Spitze ihrer Kolonnen.
Das gesamte Heer sah zu, wie ihr Standartenträger sich dem großen Tor von Sepulvarta näherte – dem Tor, das in den tausend Jahren, die es bereits in den Angeln hing, noch nie durchbrochen worden war.
»Schießt! Verdammt noch mal, schießt!«, schrie Fynn den Bogenschützen zu.
Die Männer, denen noch übel war von dem Luftangriff, vom Rauch und der glühenden Asche, die von den Häusern in der Umgebung auf sie niederregnete, wandten ihre ganze Aufmerksamkeit dem Riesen zu und schossen ihre Pfeile auf ihn ab.
Etwa die Hälfte der Geschosse fand ihr Ziel. Davon zerbrach wiederum ungefähr die Hälfte; der Rest prallte von der gewaltigen Statue mit demselben dumpfen Laut ab wie zuvor von den fliegenden Bestien.
»Gütiger All-Gott«, flüsterte Fynn. »Das kann doch nur ein Albtraum sein.«
Seine Worte wurden mit einem betäubenden Lärm beantwortet, als Stein auf Holz traf.
Die Bogenschützen legten neue Pfeile ein, schossen sie wieder ab – mit demselben Ergebnis. Jeder Pfeil, der den Steinmann traf, zerbrach oder prallte wirkungslos von ihm ab.
»Spart euch eure Pfeile«, warnte Fynn sie, während er über die Mauer auf die Streitmacht blickte, welche die Stadt umgab. »Sie bereiten sich darauf vor, das Tor zu erstürmen. Bewahrt euch die Pfeile für die Ziele auf, bei denen sie etwas ausrichten können. Harrt so lange aus, wie die Pfeile reichen, und dann kippt ihr die Pfannen über jedem aus, der durch das Tor gehen will. Das wird möglicherweise unsere letzte Waffe sein. Viel Glück, Männer – es war eine Freude, mit euch zu dienen.«
»Genau wie mit Euch«, ertönte ein Chor aus zitternden Stimmen.
Die Mauer neben dem Tor erbebte, als ein weiterer Schlag das Holz traf und Splitter durch die Luft flogen. Fynn zwang sich zur Ruhe und blickte über die Mauer.
Der Steinriese rammte die Faust in das heilige Tor von Sepulvarta und hinterließ tiefe Löcher im Holz. Dann riss er die uralten Baumstämme entzwei, die aus Lebendigem Stein bestanden. Das Tor kreischte, als lebe es.
In der Ferne ertönte eine Fanfare aus den Reihen der Sorbolder.
Die Bogenschützen hoben ihre Waffen und zielten auf die Frontlinie.
Mit einem Zischen schoss eine der fliegenden Bestien über die Mauer, schnappte nach einem der Schützen und stieß dabei etliche andere in die Tiefe.
Das Tor schwang mit einem Lärm wie Donnerhall auf, der von den Bergen zurückgeworfen wurde.
Mit einem Aufschrei strömten die Angreifer wie eine Flutwelle in die Stadt Sepulvarta, während die Sonne allmählich hinter dem Horizont verschwand.
»Verdammt und zugenäht!«
Entsetzt brachte Anborn sein Pferd zum Stehen. Die Streitkräfte des Bündnisses hinter ihm taten es ihm gleich.
Nachdem sie auf der Pilgerstraße angehalten hatten, blieb dem Heer, das in größter Eile zusammengestellt worden und so rasch wie möglich zur heiligen Stadt geritten war, nichts anderes übrig, als von den auf der Stelle tänzelnden Pferden aus auf den Anblick zu starren, der sich ihnen nun bot.
Rauch stieg von den Türmen und Dächern der Stadt auf und verschmutzte den Himmel mit Asche und öligem Ruß. Man konnte Flammen aus den Dächern schießen sehen; ihr Widerschein spiegelte sich im großen Turm und erhellte den Nachthimmel meilenweit.
Im flackernden Schein dieser Feuer kreisten schwarze, geflügelte Bestien durch die dunstige Luft über der Stadt und stießen bisweilen wie schnappende Nattern herab.
Selbst aus der Entfernung von fünf oder mehr Meilen waren die Schreie zu hören, die die Nacht zerrissen.
»Marschall …«
»Schweigt!«, donnerte Anborn und regte sich auf seinem Pferd.
Der Patriarch, der an seiner Seite geritten war, hatte neben ihm angehalten. Sein großes, zerfurchtes Gesicht, das er halb unter einem bäuerlichen Umhang verborgen hatte, war genauso weiß wie die Zeremonialgewänder, die er meist trug. »Was sind das für seltsame Wesen, die über die Stadt fliegen?«, fragte er mit gedämpfter Stimme.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Anborn, »aber ihre Gegenwart ändert alles. Wir brauchen einen neuen Angriffsplan. Ich war nur darauf vorbereitet, eine einfache Belagerung zu durchbrechen, was uns möglich gewesen wäre, obwohl wir in der Minderzahl sind. Aber bei einem Feind, der aus der Luft angreift …«
»Denkt nicht weiter darüber nach«, sagte der Patriarch mit stärkerer Stimme. »Die Stadt ist verloren. Wenn wir uns jetzt einmischen, würden wir jeden Menschen in ihr und auch uns selbst zum Tode verurteilen.«