»Segele davon, gegen den Wind«, befahl er Quinn. »Bring uns aus dem Hafen, durch den Kanal und um die Landspitze herum.« Quinn beeilte sich, dem Befehl zu gehorchen.
Als die Basquela nicht mehr in Sichtweite des Hafens war, klopfte der Seneschall Clomyn auf die Schulter.
»Jetzt hast du die Gelegenheit, dein früheres Missgeschick wettzumachen«, sagte er. Das glänzende Blau seiner Augen spiegelte den Himmel wider.
Clomyn trat an die Reling. »Wo, Herr?«
»Das Hauptsegel, denke ich.«
Der Armbrustschütze hob die Waffe. Das Ziel war für einen gewöhnlichen Armbrustschützen mehr als dreimal zu weit entfernt. »Fertig, Euer Ehren.«
Der Seneschall berührte die Pfeilspitze und sprach das Wort kryv aus. Entzünde dich.
Die Pfeilspitze glühte für einen Moment rot auf und brach dann in Funken dunklen Feuers aus. Als sie aufloderte, zischte sie bedrohlich.
Der Seneschall nickte, und Clomyn feuerte. Der Wind erschlaffte für einen Moment, als der Bolzen über den Ozean und außer Sichtweite flirrte.
Am Rande seines Gesichtsfelds erhob sich ein winziger Rauchfinger vom Hauptmast.
»Gut gemacht«, sagte der Seneschall zu Clomyn. Er hob sein Schwert und fühlte in sich hinein, wo das Element der Luft, der Wind, an seine dunkle Seele gebunden war.
Die Brisen zwischen der Basquela und dem Kutter frischten auf, wurden stärker, vereinigten sich; für einen Moment bildete sich eine kleine Wasserhose und trieb auf das leere Schiff zu. Einen Herzschlag später sah die Mannschaft der Basquela, wie sich die Segel des Kutters blähten. Beim nächsten Herzschlag ging das Hauptsegel in Flammen auf. Das Feuer lief an dem Mast hoch und eilte innerhalb eines Augenzwinkerns vom Vorderdeck zum Achterdeck. Alle an Deck der Basquela schauten verblüfft zu, wie der orange-rote Feuerball zu schwarzer Asche wurde, ätzende Wolken ausstieß und das Schiff nur noch ein heller, skelettartiger Umriss im Rauch war.
»Los, Quinn«, sagte er zu dem neuen Kapitän, der leicht erzitterte, als in der Ferne die Hörner und Glocken ertönten. »Folge der Küste. Ich will am Morgen vor Anker gehen. Es ist unhöflich, eine Dame warten zu lassen.«
15
Am Morgen des achten Tages hörte das Bohren plötzlich auf.
Ihrman Karsrick hatte sich allmählich an das knirschende Rumpeln vor den Fenstern des Gerichtsgebäudes gewöhnt. Nun sprang er vom Frühstück auf, das er gemeinsam mit dem Herrscher der Cymrer einnahm, und eilte ans Fenster. Er schaute über die Straßen hinweg zu dem Platz, auf dem die Entudenin stand und die Arbeiten bisher ihren Fortgang genommen hatten.
In der Ferne sah er, dass der innere Wachring der Bolg-Soldaten an mehreren Stellen durchbrochen worden war. Firbolg-Soldaten und Handwerker strömten hinaus, packten die Ausrüstung zusammen und trugen sie aus dem Zelt zu den großen Wagen, auf denen sie vor acht Tagen hergebracht worden waren. Er konnte keine Anzeichen für eine wiederhergestellte Fontäne sehen, keine Veränderung im Zelt, keinen Teich auf dem Boden.
»Gute Götter, wohin gehen sie?«, fragte Karsrick und zerknüllte vor Schreck seine Serviette. Ashe nahm einen weiteren Bissen seines warmen, gebutterten Brötchens und zuckte die Achseln.
»Sie sind noch nicht fertig. Sie können noch nicht fertig sein. Sie arbeiten erst seit acht Tagen. Ich weiß nicht, ob ich begeistert oder entsetzt sein soll«, murmelte Karsrick. Seine Blicke glitten durch den Raum zum Fenster, zum Herrn der Cymrer und wieder zurück. Asche schluckte das Brötchen herunter und wischte sich den Mund mit der Leinenserviette ab.
»Vielleicht sind sie doch schon fertig. Achmed verschwendet keine Zeit.«
»Wir müssen zu ihnen gehen, mein Herrscher«, beharrte Karsrick und eilte quer durch den Wintergarten zur Tür. »Wo ist die Herrscherin?«
»Ich glaube, sie ist im Garten und singt ihre Morgengebete.«
Karsrick rief nach dem Kammerherrn. Er schlug die Glocke so heftig, dass Ashe vom Tisch aufsprang und seine Serviette zusammenfaltete; er hatte sein Frühstück erst halb aufgegessen.
»Ihrman, warum seid Ihr so beunruhigt? Seit der Ankunft der Bolg seid Ihr ganz aus dem Häuschen. Ich hatte geglaubt, ihre Abreise würde Euer Herz ungemein erfreuen.«
Karsrick starrte ihn mit glasigem Blick an. »Es fließt kein Wasser. Sie haben die Entudenin auseinander genommen -haben sie regelrecht ausgeweidet – und den oberen Arm des Heiligtums abgeschnitten, die Stadt acht Tage lang ohne Unterbrechung in Unruhe versetzt, den ganzen Platz und alle angrenzenden Straßen jeden Friedens und Schlafes beraubt, weil sie ihr höllisches Bohren bis tief in die Nacht fortgesetzt haben. Sie haben die Gassen um den Platz und das Bassin zerstört – und es fließt kein Wasser.«
Ashe setzte sich wieder, um sein Mahl zu beenden. »In Ordnung, Ihrman, in Ordnung, beruhigt Euch. Rhapsody wird jeden Augenblick zurückkehren; dann gehen wir zum Platz und vergewissern uns, was genau geschehen ist.«
Als der Herzog in Begleitung des Herrn und der Herrin der Cymrer auf dem Platz eintraf, waren die Bolg mit dem Einpacken bereits halb fertig. Karsrick eilte auf den Firbolg-König zu und klopfte ihm nervös auf den Arm.
»Wohin geht Ihr, König Achmed? Sicherlich wollt Ihr uns noch nicht verlassen.«
Der Bolg-König drehte sich um und betrachtete den Herzog, als sprösse ihm Blumenkohl aus den Ohren.
»Natürlich verlassen wir Euch«, sagte er, als rede er mit einem Fünfjährigen oder einem Geistesschwachen. »Wir sind fertig. Wir haben alles getan, was wir tun konnten. Wir hassen diesen Ort, und dieser Ort hasst uns. Alles in allem scheint es der richtige Zeitpunkt zum Aufbruch zu sein.«
Der Herzog sah beunruhigt die Unordnung auf dem Platz unter dem Zelt und daneben. Überall lag Tonstaub, und Lehm war in großen Haufen wie rote Miniaturberge aufgeschichtet. Tiefe Gräben waren hastig verfüllt worden und machten den Eindruck frischer Gräber, während überall Pflaster- und Ziegelsteine umherlagen.
Das Schlimmste von allem war, dass die Entudenin nackt und zerstückelt dastand und immer noch so traurig und verwittert wie vor acht Tagen aussah, nun aber zusätzlich ein großes Loch aufwies.
»Das ... das ist noch nicht fertig!«, schrie der Herzog und wedelte wild mit den Händen umher.
»Soweit es uns betrifft, doch. Wir haben getan, was wir tun konnten.«
»Aber da ist kein Wasser.«
»Nein.«
»Ihr habt den Quellfels aufgebohrt, habt ihm den Arm abgehackt, die Straßen aufgegraben, und es kommt noch immer kein Wasser. Und Ihr wollt gehen?«
Achmed verschränkte die Arme vor der Brust und schaute Rhapsody lange an. Er verengte die Augen, seufzte und sagte zu dem Herzog mit kaum mehr höflicher Stimme: »Im Gegensatz zu Euch folgen wir den Mondphasen, Karsrick«, sagte er und trat aus dem Weg, als drei Bolg-Soldaten eine lange, schwere Holzkiste vorbeitrugen. »Wenn die Entudenin jetzt wieder Wasser führen sollte, befindet sie sich in ihrer Schlafphase. Falls das Wasser zurückkommt, dann erst in etwa fünf Tagen. Vielleicht kommt es, vielleicht auch nicht.« Er zuckte die Achseln. »Wir haben getan, was wir konnten, um den Quellfels widerstandsfähig gegen den Druck zu machen, falls das Wasser zurückkommt. Wir haben eine Menge Schutt und Unrat aus dem Zufluss entfernt, und es gibt noch einen anderen, unterirdischen Ort, an dem der Kanal teilweise versperrt ist. Er befindet sich in der Nähe der canderianischen Grenze, und wir werden uns um ihn kümmern. Aber hier sind wir fertig.
Da wir nicht mit Sicherheit vorhersagen können, wie der Wasserkreislauf mit den Mondphasen zusammenhängt, ist es notwendig, die Minenarbeiter jetzt von den unterirdischen Kammern abzuziehen. Angeblich ist die Gewalt des Wassers beim Erwachen so groß, dass sie schreckliche Zerstörungen anrichten kann. Ich will nicht, dass meinen Männern etwas zustößt, wenn – falls – das Wasser zurückkehrt. Euretwegen gedenke ich keinen einzigen Untertan zu verlieren.«