»Was er sagt, ergibt einen Sinn, Ihrman«, meinte Rhapsody und betrachtete den trockenen roten Geysir. »Es hat wirklich keinen Zweck, wenn die Bolg noch länger hier in der Hitze bleiben, da die Grabungsarbeiten beendet sind. Ich bin sicher, König Achmed freut sich auf die Rückkehr nach Hause.«
»Bitte überdenkt es noch einmal und bleibt«, bat Karsrick und beäugte die anwachsende Menschenmenge, die herbeiströmte, um den Grund für die plötzliche Stille herauszufinden. »Ich will Euch und Eure Handwerker im Gerichtsgebäude unterbringen...«
»Habt Ihr einen Bleiglaskünstler für mich gefunden?«
Karsrick verstummte mitten im Satz. Er schloss den Mund.
»Ich habe mich an jede rechtmäßige Gilde gewandt, Herr, aber leider umsonst. Es ist mir nicht gelungen, jemanden zu finden, der Euren Ansprüchen genügen könnte und bereit wäre, nach Canrif zu reisen.«
Der Bolg-König seufzte. »Ylorc. Es heißt Ylorc, Karsrick.«
»Natürlich, ich entschuldige mich. Ylorc.«
Achmed leitete drei Soldaten, die ein gewaltiges Zahnrad trugen, zu einem bestimmten Wagen und drehte dabei dem Herzog den Rücken zu. »Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass mich Eure Unzulänglichkeit erstaunt«, sagte er verdrossen, »aber ich war darauf vorbereitet. Sind wir bald fertig, Grunthor?«
»Ja. Wir müssen nur noch die Bohrstange und ’n paar Kleinigkeiten einpacken.«
Der Herzog lief hinter dem Bolg-König her, während dieser in seinen Abreisevorbereitungen fortfuhr.
»Bitte – nur noch ein paar Tage. Bleibt doch, bis das Wasser fließt.«
»Nein.« Achmed ergriff das Ende eines Stammes, und Ashe nahm das andere und half ihm, es zu dem wartenden Wagen zu tragen.
»Warum wollt Ihr unbedingt, dass sie bleiben, Ihrman?«, fragte Rhapsody, während sie ein langes Seil aufrollte.
»Ich ... falls ... nun, falls es noch etwas für sie zu erledigen...«
Achmed gab dem Stamm auf dem Wagen einen harten Stoß und drehte sich zu dem Herzog um.
»Er hat Angst, dass das Wasser nicht zurückkehrt, was sehr wohl der Fall sein kann«, erklärte er Rhapsody und schaute Karsrick verächtlich an. »Und wenn das geschieht, will er die Bolg dafür verantwortlich machen und der möglicherweise unangenehmen Wut der Einwohner auf den Schuldigen entgehen. Ihr seid ein Feigling, Karsrick. Wenn man anfängt, Angst vor den Reaktionen der eigenen Bevölkerung zu haben, und nicht hinter den Entscheidungen steht, die man selbst gefällt hat, besitzt man in den Augen der Untertanen und derer, die zusammen mit einem selbst die Regierung bilden, keine Glaubwürdigkeit als Führer mehr.« Er hob einige Schraubenschlüssel von einem Haufen auf und warf sie in den Wagen.
»Er hat Recht, Ihrman«, sagte Ashe. »Dankt dem König und lasst ihn ziehen.«
»Ich schätze die Ironie Eurer Einladung«, sagte Achmed und gab den Bolg-Soldaten das Zeichen, den letzten Wagen, in dem das Bohrgestänge lag, in Bewegung zu setzen. »Erst wolltet Ihr nicht, dass wir kommen, und jetzt wollt Ihr nicht, dass wir gehen. Wie anrührend.«
»Mein Herr ...«, protestierte Karsrick.
»Lasst die Rechnung sofort erstellen. Ich erwarte, in der nächsten Stunde bezahlt zu werden«, sagte Achmed zu dem Herzog und erstickte seine Entgegnung mit einem bloßen Blick. »Und vergewissert Euch, dass die gemahlenen Mineralien – Mangan, Eisen, Kobalt und Kupfer – hierher gebracht werden, damit wir sie ebenfalls einpacken können.«
Karsrick schluckte. Er gab seinem Gehilfen ein Zeichen und verließ den Platz.
»Vielen Dank für alles«, sagte Rhapsody durch den wachsenden Lärm, als ein Dutzend Firbolg-Arbeiter in das Zelt traten. Sie ergriff Achmeds Hand, als Ashe und Grunthor die Zeltklappe beiseite hielten. »Es tut mir Leid, dass du keinen Bleiglaskünstler finden konntest, aber ich danke dir sehr dafür, dass du das hier für mich getan hast.«
Achmed und einer der Soldaten öffneten die Türen des Wagens. »Noch einmaclass="underline" du überschätzt deinen Einfluss auf mich«, sagte er trocken. »Karsrick bezahlt mich gut, ob er mit unserer Arbeit zufrieden ist oder nicht. Und er gibt uns eine Steuerverzichtserklärung, welche die zehn Jahre überschreitet, die du vor vier Jahren mit Roland ausgemacht hast. Wenn seine Kreditpapiere nicht mit der nächsten Postkarawane in Ylorc eintreffen, werde ich jeden Handel mit ihm einstellen, bis er sich eines Besseren besinnt.« Die ersten beiden Bolg-Soldaten traten mit der blau-schwarzen Bohrspitze in den Händen aus dem Zelt hervor, vier weitere Männer folgten ihnen. Achmed leitete sie hinüber zu dem wartenden Wagen. Er hob die Stimme, damit man ihn besser hören konnte. »Wer weiß? Wenn sie die Rechnung nicht bezahlen, werden wir vielleicht einen Angriff führen und die Vorratsschränke des Kessels mit ein paar Einwohnern von Yarim Paar auffüllen.«
Rhapsodys Gesichtsausdruck verhärtete sich. »Warum tust du das?«, fragte sie verärgert.
»Was?«
»Warum sagst du Dinge, die du nicht ernst meinst? Willst du einfach nur unausstehlich sein? Flöße den Leuten nicht unnütz Angst vor den Bolg ein.«
Der Bolg-König schaute zu, wie der gewaltige Bohrer in den Wagen geladen und für die Reise in schweres Leinen eingeschlagen wurde. Das geschah nicht zum Schutz des Bohrers, sondern zum Schutz des Wagens. Dann drehte er sich wieder um und lächelte Rhapsody schwach zu.
»Wer sagt denn, dass ich es nicht ernst meine?«
»Ich. Hör auf damit. Ich kenne dich schon seit eintausendvierhundert Jahren, von denen ich alle bis auf vier mit Grunthor und dir allein in der Dunkelheit verbracht und täglich dem Tod ins Auge gesehen habe. Ich weiß, wann du die Menschen täuschst, und ich weiß, wann du meinst, was du sagst. Und das ist jetzt nicht der Fall.«
Der Bolg-König machte ein ernstes Gesicht. Er ergriff Rhapsodys Arm und führte sie an eine geschützte Stelle innerhalb des Zeltes, fort von den Schaulustigen und dem Lärm der Bolg, die die Ausrüstung hinausschafften. Er schaute ihr ins Gesicht, seufzte und wandte den Blick ab.
»Du hast mich einmal gefragt, ob ich will, dass die Bolg von der Welt als Menschen oder als Ungeheuer angesehen werden. Erinnerst du dich?«
»Ja«, entgegnete Rhapsody. »Daran erinnere ich mich sehr gut. Du hattest dich für die Menschen entschieden – allerdings für ungeheure Menschen.«
Achmed nickte zustimmend. »Das habe ich, und das sind wir: sowohl Menschen als auch Ungeheuer. Doch so sehr du auch darum kämpfst, Rhapsody, dass die Menschen uns als ihresgleichen annehmen, ist es vielleicht das Ungeheuer in uns, das sich am Ende als ihr zuverlässigster Verbündeter erweisen wird.«
Rhapsody fuhr zusammen, als am anderen Ende des Zeltes plötzlich eine Wagentür zugeschlagen wurde.
»Warum?«
»Erinnerst du dich an die Albträume deiner Kindheit?«
»Ja.« Rhapsodys Mundwinkel zuckten in einem zaghaften Lächeln, das sofort wieder verschwand. Achmed hatte ihr Lächeln nicht erwidert. »Weil Ungeheuer nie schlafen?«
Achmed nickte nur.
Sie sagte: »Welche Enttäuschungen dieses Unternehmen auch gebracht haben mag – die Entudenin ist noch trocken, und außerdem hast du deinen Bleiglaskünstler nicht gefunden -, ist es vielleicht doch zu einem besseren Verständnis zwischen den Menschen und den Firbolg gekommen. Das allein war die Mühen wert.«
Achmed schüttelte den Kopf. »Vielleicht, auch wenn ich nicht sagen würde, dass die Meinungen der Firbolg über die Menschen besser geworden sind. Und es wird Monate dauern, bis dieser verfluchte rote Staub abgewaschen ist.«
Rhapsody verspürte wieder den Drang zu lächeln und gab ihm nach. »Mit gutem Grund. Aber wenigstens hat es ein paar Erkenntnisse auf der yarimesischen Seite gegeben; möglicherweise wird sich das auch auf andere Menschen erstrecken.«
»Vielleicht. Aber meinen Erfahrungen nach hat jede Erkenntnis nur eine sehr kurze Lebensspanne. Sie neigt nicht dazu zu wachsen, sondern eher zu schrumpfen. Willst du Grunthor Lebewohl sagen, bevor wir gehen?«
»Natürlich. Vielleicht möchte er ja noch ein paar Tage hier bleiben, sich etwas ausruhen und seine Vorräte auffüllen, nachdem du und die Bolg abgereist seid.«