Rhapsody machte sich sanft aus seinen Armen frei und drehte sich mit leuchtendem Gesicht zu ihm um. Ashe blinzelte und lächelte dann.
»In Ordnung, ich nehme an, deine Antwort lautet nein. Es gibt nichts Beunruhigendes im Wind.«
»Überhaupt nichts. Nicht im Wind und auch sonst nirgendwo.«
»Gut.« Er ergriff ihre Hand und küsste sie sanft. Dann führte er sie vom Balkon in das Innere des Gemachs, das mit Dutzenden Kerzen erhellt worden war, während sie auf dem Balkon gestanden hatten.
Überall im Zimmer befanden sich Porzellanvasen, die vor duftenden Sommerlilien in feurigen Farben, vor Hyazinthen, Nelken und süßem Waldmeister überquollen, der bei den Lirin als Lindergeist bekannt war. Auf einem Tisch in der Mitte des Raumes stand ein silbernes Tablett mit roten, von dunkler und heller Schokolade überzogenen Beeren und daneben eine Flasche canderianischer Branntwein sowie zwei Gläser, auf deren Rundungen das Licht tanzte. Und in der Mitte des Tisches sprühte ein kleiner Springbrunnen Wasser um einen flammenden Glaszylinder und warf wässerige und feuerfarbene Wellen aus Licht gegen die Zimmer wände.
Nun musste Rhapsody blinzeln. »Was soll das alles? Heißt das, Ihrman hat mir vergeben, dass ich ihm die Bolg aufgezwungen habe?«
»Wohl kaum«, sagte Ashe. Er ging zu dem Tisch und entkorkte den Branntwein. »Das ist von mir.«
»Von dir? Warum? Hatten wir Streit?«
Ashe kicherte. »Ich glaube nicht. Zumindest noch nicht.«
Rhapsody beugte sich über eine Vase mit Hyazinthen und sog den süßen und zugleich würzigen Duft ein. »Also feiern wir etwas?«
»Ja.«
Sie schaute auf zu Ashe. Das Licht der Kerzen glitzerte in seinen himmelblauen Augen, und auf seinem Gesicht lag ein schwaches Lächeln.
»Was feiern wir denn?«
Ashe goss die bernsteinfarbene Flüssigkeit in die Gläser und schwenkte sie vorsichtig.
»Deinen Geburtstag.«
Rhapsody legte den Kopf schief und schaute ihn von der Seite an. »Mein Geburtstag ist erst in zwei Monaten.«
»Nicht den kommenden, Aria. Den vom nächsten Jahr.«
Er schlenderte durch den Raum, blieb vor ihr stehen und reichte ihr ein Glas.
»Weil das Geschenk, das ich dir bei deinem übernächsten Geburtstag machen will, einige Zeit für die Herstellung braucht – etwa dreizehn Monate, glaube ich. Ich muss sicher sein, dass du es haben willst, bevor es gemacht wird.«
Rhapsody hob das Glas an die Lippen und nahm einen Schluck. Die Flüssigkeit war warm wie Feuer und brannte angenehm im Mund. Sie schluckte und verspürte ein so feuriges Gefühl in der Kehle, dass sie nach Luft schnappte. »Warum sagst du mir nicht, was es ist?«
Ashe nahm selbst einen Schluck und schaute sie an, während er eine Hand in der Hosentasche hielt. Kurz darauf zog er einen kleinen ledernen Beutel mit Bandverschluss hervor und warf ihn ihr entgegen. Sie fing ihn auf. Kleine Wellen liefen durch den Branntwein in ihrem Glas.
»Gute Güte, ich vergieße gleich etwas«, tadelte sie ihn, setzte das Glas ab und öffnete die Börse. Sie schüttete den Inhalt auf ihre Hand.
Fünf schwere Goldstücke, ältere Münzen, als sie je eine in Roland gesehen hatte, fielen heraus und klimperten angenehm. Rhapsody drehte eine um und untersuchte sie.
›»Malcolm von Bethania‹«, las sie blinzelnd und schaute verwirrt hoch zu Ashe. »War das Tristans Vater?« Ashe nahm einen weiteren Schluck Branntwein und nickte. »Vielen Dank«, sagte Rhapsody zweifelnd. »Hast du solche Münzen schon einmal gesehen?« »Ich glaube nicht.«
Er seufzte enttäuscht. »Nun gut. Ich habe Antiquitätenhändler in ganz Yarim losgeschickt, um sie aufzutreiben. Was für eine Verschwendung.«
»Wo hätte ich sie denn sehen sollen?«, fragte Rhapsody. In ihrer Stimme lag eine verräterische Spur Ungeduld.
Ashe stellte das Glas ab und kam zu ihr hinüber. Er nahm sie bei den Schultern und erwiderte ihren fragenden Blick.
»Auf einer Windumtosten Wiese auf der anderen Seite der Zeit«, sagte er sanft. »Ich habe dir Münzen wie diese angeboten, weil ich sonst nichts hatte, was ich dir am Vorabend deines Geburtstags geben konnte.«
Rhapsody wandte sich ab und hielt die Münzen fest umschlossen. Sie stemmte sich gegen die Flut der Gefühle, die sie zu überschwemmen drohte. Einige waren schmerzlich, andere süß, und sie alle waren wertvolle Erinnerungen an ihre Zusammenkunft in der alten Welt; es war eine Geschichte, die nur sie beide kannten. Selbst jetzt fragte sie sich manchmal noch, ob das alles nur ein Traum gewesen war, der irgendwann die Form einer Erinnerung angenommen hatte.
Ashe umfasste ihre Schultern und drehte sie um. Er legte ihr den Zeigefinger unter das Kinn und hob ihren Kopf an, sodass sich ihre Blicke trafen. Die vertikalen Pupillen in seinen Augen dehnten sich und zogen sich im flackernden Kerzenschein wieder zusammen.
»Während all der Jahre, auf allen Straßen, über die ich gereist bin, nach jedem Alb träum, jedem Traum stand mir die Erinnerung daran vor Augen, wie du in jener Nacht im Mondenschein ausgesehen hast, Emily«, sagte er sanft und gebrauchte den Namen, mit dem ihre Familie sie in der alten Welt gerufen hatte. »Ich weiß immer noch nicht, welches Schicksal, welche Magie mich damals von der Straße fort in dein Dorf gerufen hat, wo ich vor der Tanzscheune auf dich gestoßen bin, aber was immer es war, ich schulde ihm meine Seele. Denn ohne dich hätte ich keine.«
»Sei nicht voreilig mit deiner Dankbarkeit«, sagte Rhapsody und hielt den Blick auf ihre geschlossene Faust gerichtet, in der sich die Goldmünzen befanden. »Was immer es war, es war auch so grausam, uns schon am nächsten Tag auseinander zu reißen.«
Ashe lächelte breit. »Genau. Und der Schmerz hätte uns beide beinahe umgebracht und unser Leben ruiniert.«
»Und dafür bist du dankbar?«
»Ja. Für alles. Für das Gute und das Schlechte, für die Schmerzen und die Ekstasen. Denn das war unser Anfang, Aria. Und an diesem Punkt wussten wir ohne jeden Zweifel, was wir wollten – nämlich uns, wie immer wir das erreichen mochten. Es war einfach, es gab keine Fragen. Du wolltest alles zurücklassen und mit mir kommen. Ich wollte innerhalb eines Herzschlags das Leben aufgeben, das in der Zukunft auf mich gewartet hatte, nur um bei dir zu sein. Die Gefahren haben wir gar nicht wahrgenommen. Das ist es, was an einem Neuanfang so rein und heilig ist. Und nichts – nicht das Geworfensein in diese Zeit, nicht die Katastrophe, die Serendair auf den Meeresgrund geschleudert hat, nicht die Reise durch die Jahrhunderte und durch den Bauch der Erde, nicht die Trennung, kein Missverständnis, Schmerz, Tod oder Verrat – nichts hat die Liebe zerstört, die in jener Nacht begann.«
Er streckte die Hand aus und streichelte ihr Gesicht, wofür er ein Lächeln erhielt.
»Und nichts wird sie je zerstören«, sagte sie.
»Jeder Neuanfang in unserem Leben war für uns eine Wiedergeburt. Mit jedem Fortschreiten sind Gefahren abzuschätzen und zu überwinden, doch wir vertrauen auf das, was wir tun«, fuhr Ashe fort.
»Sieh dir nur deine Arbeit an der Entudenin an. Es lag ein beachtliches Wagnis darin – der Zorn der Bevölkerung, ein möglicher Konflikt zwischen den Bolg und den Yarimesen, die Gefahr, eine heilige Reliquie zu vernichten, was für dich als Sängerin und Benennerin verheerend gewesen wäre -, aber du hast begriffen, dass das Wasser wichtiger als die Gefahren ist. Du hast dich in dieses Unternehmen gestürzt und deine Glaubwürdigkeit bei den Herzögen, der Bevölkerung und den Bolg aufs Spiel gesetzt. Du konntest ihnen weder Schutz noch Gelingen versprechen, aber du hast es trotzdem getan. Wie du zu mir in Navarne gesagt hast: Was im Leben ist kein Wagnis wert? Selbst Achmed war bereit, seinen Teil dieses Wagnisses auf sich zu nehmen, aus welchen Gründen auch immer.«
»Das ist wirklich erstaunlich, denn außer Grunthor und mir vertraut Achmed niemandem«, stimmte Rhapsody ihm zu. »Vertrauen ist notwendig, wenn man ein Wagnis eingehen will, doch eigentlich liegt es nicht in seiner Natur, so zu handeln. Er hasst es, ohne einen Plan vorzugehen, ohne die Möglichkeit, die gesamte Lage in allen Einzelheiten unter Kontrolle zu haben, obwohl er so viele Gaben hat, die er in einer Krise oder beim Eintritt unerwarteter Umstände einsetzen könnte. Er ist außerordentlich ungeduldig.«