Er fuhr sich nervös mit der Hand durch das rot-goldene Haar. »Willst du...«
»Ashe!« Diesmal drang ihre Stimme lauter durch die Tür. Sie war noch heiser, aber schon wieder stärker. »Geh eine Weile weg, oder ich werde dich umbringen müssen, wenn ich hier herauskomme.«
»Oh. Nun, da ich noch nicht sterben will, gehe ich besser für eine Weile auf den Balkon«, sagte er. Ein Lächeln kämpfte mit den Sorgenfalten auf seiner Stirn. »Wenn du etwas brauchst, schnippe einfach mit den Fingern. Ich bin dann sofort da.«
»Vielen Dank. Geh jetzt.«
»In Ordnung.«
»Sofort!«
»Wie es Euch beliebt, Herrin.«
Der Herrscher der Cymrer wandte sich von dem neuerlichen Geräusch des Erbrechens ab und ging hinaus auf den Balkon. Die Dämmerung kam über die Stadt, erhellte die roten Gebäude und tauchte sie in morgendliches Feuer. Ashe atmete tief durch und sog winzigste Tropfen Feuchtigkeit ein, welche die Luft in der Nacht durchdrungen und sie schwer und süß gemacht hatte. Auf den Straßen unter ihm versammelte sich die Menge. Es waren mehr Leute als bei der Ankunft der Bolg. In die Freude hatte sich eine beinahe greifbare Gewaltbereitschaft gemischt, als sich jene Bewohner am Rand der Hauptstraßen, welche die Neuigkeit offenbar von denen gehört hatten, die sich näher im Zentrum befanden, nach vorn drängten und Krüge und andere Tongefäße bei sich trugen, mit denen sie den flüssigen Schatz bergen wollten, der in der Nacht zurückgekehrt war. Ashe bemerkte ohne besondere Anteilnahme, dass man die Shanouin-Priesterinnen gerufen hatte. Ein dünner Korridor hatte sich in der nachrückenden Menge geöffnet, durch den etwa ein Dutzend verschleierte Frauen in blass-blauen Ghodins auf den Marktplatz liefen, wo das Becken der Fontäne schon überlief und sich das kostbare Nass auf die trockenen Ziegel der Straßen ergoss. Eine unter ihnen schien anders zu sein. Ihre rituellen Zeichen bei der Annäherung an den Quellfelsen waren unbeholfen. Er hätte es bemerkenswert gefunden, wenn es ihn gekümmert hätte, was jedoch nicht der Fall war.
Er starrte auf die Fontäne. Die Entudenin war dunkelbraun geworden, wie feuchter Lehm. Winzige Rinnsale aus Grün und Blau, für menschliche Augen noch unsichtbar, nicht aber für Ashe, streiften den Lehm. Am Ende des Zyklus würde die Farbe in den Quellfelsen zurückkehren. In diesem Wissen lag etwas zutiefst Befriedigendes. Er schloss die Augen und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf das einige Straßen entfernte Wunder.
Das Element des Wassers, das den Kern seiner Seele bildete, sang in ihm; das Wasser, das aus der Entudenin hervorschoss, antwortete darauf. Ashe stand einen Augenblick still da, verloren in dem lautlosen Gesang, dann ging er zum Schwertständer und zog Kirsdarke, das uralte Elementarschwert, das ihm anvertraut war. Er packte den Griff fester als gewöhnlich. Heute war das Schwert lebendiger; es freute sich über die Gegenwart lebenden Wassers, das die Straßen von Yarim Paar überschwemmte. Er kehrte zum Fenster zurück und hielt das Schwert gegen das Licht. Die flüssige Klinge, die für gewöhnlich in blauen Strömen von der Spitze bis zum wellenförmigen Griff floss und in ihm verschwand, schäumte wie Brecher, die an den Strand schlugen. Sie glitzerte im Licht der Morgendämmerung und erfreute sich der Verwandtschaft mit der Quelle. Ashe fühlte seine gewaltige, vibrierende Macht selbst in der Ruhestellung anschwellen. Es war erregt, als heiße es ein Kind in dieser trockenen Wüste willkommen.
Aufgrund seiner Verwandtschaft mit dem Schwert verstand er dessen Erregung.
Bald würde er ein eigenes Kind willkommen heißen, eines, das von seinem Blute war und seine Geschichte teilte.
Und die Liebe zu seiner Gemahlin.
Die Tür zum Abort öffnete sich mit einem dumpfen Knirschen, und Rhapsody trat heraus. Ashe spürte ihre Rückkehr und steckte das Schwert rasch zurück in die Scheide. Dann rannte er vom Balkon aus quer durch den Raum und nahm sie in den Arm. Sie war bleich wie Milch, und ihren Augen schien es schwer zu fallen, auf einen bestimmten Gegenstand gerichtet zu bleiben.
»Es geht mir gut, Sam«, sagte sie, wobei sie seiner Frage zuvorkam, »aber ich sehe nicht gut. Kannst du mir bitte ins Bett helfen?«
»Du kannst nicht sehen?«, fragte Ashe besorgt und führte sie sanft über die kalten Fliesen des Bodens.
»So etwas habe ich noch nie gehört.«
Sie drückte seine Hand, als ihr Körper zuckte. Dann blieb sie stehen, versuchte das Gleichgewicht wiederzuerlangen und nickte, als sie es schließlich schaffte. »Wie oft hast du schon eine Frau von lirinischem und menschlichem Geblüt beobachtet, die ein Drachenkind in sich trägt?«
»Noch nie«, gab Ashe zu, »aber ich hätte nicht für möglich gehalten, dass es dir so schnell so schlecht geht.«
»Ich ebenfalls nicht«, sagte Rhapsody und lehnte sich gegen die Kissen, nachdem Ashe sie ins Bett gelegt hatte. »Meine Mutter hat sechs von uns ausgetragen, ohne auch nur ein einziges Mal den Morgenchor verpasst zu haben. Es ist erschütternd, so schwach zu sein. Und so zu frieren. Mir ist kalt.« Ihr Blick klarte kurz auf. Sie ergriff Ashes Hand und lächelte. »Aber ich bin sehr glücklich.«
Ashe küsste sie auf die Stirn. Die Haut war noch feucht und brannte inzwischen fiebrig. »Genau wie ich.« Er schaute hinunter in ihre grünen Augen, die sich wieder umwölkten. »Sag mir, was ich für dich tun kann«, meinte er und versuchte, die Verzweiflung aus seiner Stimme zu verbannen und seine Besorgnis davon abzuhalten, Macht über seinen Verstand zu erlangen. Rhapsody zuckte, als sich ihr Bauch wieder zusammenzog. Sie rollte sich auf die Seite und versuchte, nicht vor Schmerzen zu ächzen.
»Bring mich nach Hause«, sagte sie und vergrub das Gesicht im Kissen. »Ich will zurück nach Haguefort.«
Rhapsody war soeben wieder aus dem Bad gekommen, als Ashe in das Zimmer zurückkehrte. Sie saß auf einem der Stühle vor dem Feuer, trug ihre Reisekleidung und wirkte, als fühle sie sich besser, auch wenn sie noch geisterhaft bleich war. Ashe trat an ihre Seite, nahm sie bei den Schultern, bückte sich zu ihr herunter und küsste sie auf die Wange.
»Es sollte nicht schwer sein, unbemerkt aus Yarim zu entkommen«, sagte er und fuhr ihr mit dem Handrücken über das Haar, das noch feucht von dem Bad war, welches er ihr eingelassen hatte, bevor er sich um ihre Abreise gekümmert hatte. »Alle Männer, Frauen und Kinder von Yarim Paar tanzen anscheinend im Sprühnebel der Entudenin, füllen ihre Gefäße und sind entweder freudig oder kämpferisch gestimmt. Niemand außer unserem Garderegiment achtet auf etwas anderes als das Wasser.«
»Gut«, meinte Rhapsody und packte die Armlehnen des Stuhls, als ein weiterer Krampf sie schüttelte. Ashe seufzte in einer Mischung aus Sorge und Mitgefühl. »Ich hoffe, du vergibst mir, aber wir werden in einem Wagen reisen«, sagte er mit einer Spur von Humor in seiner ansonsten sehr besorgten Stimme. »Selbst wenn du deshalb den Eindruck haben solltest, du wärest alt, verhätschelt oder krank. Ich bin der Meinung, du solltest so bequem und geschützt wie möglich reisen.«
»Vielen Dank«, erwiderte sie und atmete tief durch, als das Zittern vorüber war. »Du bist so lieb zu mir gewesen. Selbst auf das Risiko hin, dass es mich wieder krank macht, kannst du mir jetzt die Frage beantworten, die ich dir letzte Nacht zu stellen versucht habe?«
»Ja. Wie lautete sie?«
»Als du sagtest, wir sollten, äh, mein Geburtstagsgeschenk bestellen, meintest du, es dauere dreizehn Monate zu seiner Herstellung«, sagte sie und fuhr sich mit den Händen an den Bauch. »Warum?«
Ashe zuckte zusammen. »Nun, du bist eine halbe Lirin, und Lirin tragen länger als Menschen aus«, erklärte er und beobachtete, wie sich Erkenntnis auf ihrem Gesicht abzeichnete. Er versuchte, angesichts des komischen Entsetzens in ihrer Miene nicht zu lachen. »Ein Kind einer Lirin-Mutter und eines menschlichen Vaters wird normalerweise etwa dreizehn Monate ausgetragen, wie du weißt. Und das ist noch eine optimistische Schätzung. Wenn Drachenblut im Spiel ist, kann man nicht sagen, wie lange es dauert.«
»Wie lange war deine Mutter mit dir schwanger?«, fragte Rhapsody zitternd.