»Das zweite Regiment ist mit allem protokollarischen Unsinn passend zu einem Staatsbegräbnis ausgestattet«, sagte der General und ließ Ashes Worte unbeachtet. »Es ist hier, um euch beide zur Beerdigung zu begleiten.«
Ashe warf einen raschen Blick hinüber zum Wagen. »Wir können wohl nicht daran teilnehmen«, sagte er, rollte das Pergament zusammen und steckte es zurück in die Hülle aus Öltuch. »Rhapsody ist schwach und krank, und ich will sie nicht mit einer langen Reise durch bergiges Gebiet quälen.«
»Es ist unmöglich, dass ihr nicht teilnehmt«, schnaubte der General und starrte Ashe vom Sattel aus an. »Es wird der Augenblick sein, in dem sich Sorbolds Schicksal entscheidet; es wird die Erschaffung einer neuen Dynastie oder sogar einer ganz neuen Form der Regierung sein. Diese fernen Verwandten, die möglicherweise einen Anspruch auf den Thron erheben, werden sicherlich von den Adligen blutig herausgefordert, welche als Häupter ihrer eigenen Stadtstaaten sicherlich das ganze Reich zu zerschlagen trachten. Dann gibt es da noch das Heer, die Kaufmannschaft und die Kirche, die allesamt ihre eigenen Interessen vertreten. Und du bist der verdammte Herr über all diesen Wirrwarr. Du musst dich einfach dorthin begeben.«
»Er hat Recht, Sam.« Rhapsodys schwache, aber klare Stimme bewirkte, dass sich beide Männer abrupt nach dem Wagen umdrehten, in dessen Tür sie hockte und gerade aussteigen wollte. Ihr langes Haar, das für gewöhnlich mit einem einfachen schwarzen Band zurückgehalten wurde, hing ihr lose auf den Rücken herunter, doch ansonsten schien sie alle Sinne beisammen zu haben.
»Rhapsody, warte!«, rief Ashe und rannte auf sie zu. Er legte einen Arm um sie und half ihr aus dem Wagen in die warme Luft. »Es tut mir Leid, dass ich dich gestört habe.«
»Nun, Drachenlaute neigen dazu, die Schwingungen in der ansonsten milden Luft zu zerreißen«, meinte sie und stützte sich an seinem Arm ab, weil sie allein stehen wollte. »Ich vermute, die andere vieltonige Stimme gehört Anborn?«
Der General trieb sein Pferd langsam vorwärts. »In der Tat. Kannst du mich nicht sehen?«
Rhapsody schirmte die Augen vor der Sonne ab und schaute ihn an. »Ich sehe deinen Schatten und deine Umrisse«, sagte sie und lächelte schwach. »Aber ich erkenne deine Schwingungsmuster überall, Anborn, ob meine Augen funktionieren oder nicht.«
Der General schenkte ihr ein kleines Lächeln, das schnell verblasste, als er Ashe mit einer Mischung aus Abscheu und Vorwurf ansah.
»Habe ich das richtig verstanden? Die Kaiserin ist tot?«, fragte Rhapsody.
»Sowohl die Kaiserin als auch der Kronprinz«, entgegnete Ashe und schaute nach Süden in Richtung der sorboldischen Grenze. Selbst aus dieser Entfernung waren die Felsspitzen der Zahnberge zu sehen, an denen bisweilen Wolken vorüberzogen und das rätselhafte Reich verdeckten. »Im Abstand von nur wenigen Stunden.«
»Wie schrecklich«, murmelte Rhapsody. »Haben sie etwa vor kurzem einen neuen Koch bekommen?«
»Ich weiß es nicht. Aber sie waren beide schon recht alt und sind im Schlaf gestorben.«
»Leitha hatte möglicherweise nichts mehr, wofür zu leben sich lohnte, nachdem sie ihr Ziel erreicht hatte, nämlich jeden zu überleben, der eine Bedrohung für ihre Herrschaft hätte darstellen können«, sagte Anborn und verlagerte sein Gewicht im Sattel.
»Hör auf damit! Wie schrecklich, so etwa zu sagen.« Rhapsodys Gesicht wurde blass, und sie griff sich plötzlich an den Bauch.
»Du musst für mich als mein Vertreter zur Beerdigung gehen, Anborn«, sagte Ashe, nahm seine Frau in die Arme und geleitete sie zurück zum Wagen. »Wie du siehst, kann ich Rhapsody in dieser Verfassung nicht allein lassen.«
Der Gesichtsausdruck des Generals wurde düster. »Da ich es nicht wage, die Ohren und Sinne der Herrscherin zu beleidigen, verfluche ich dich nicht, Ashe, was ich eigentlich tun sollte, und ich sage dir nicht, wie lächerlich du dich machst. Du warst einverstanden, diese verdammte Herrschaft zu übernehmen, wie du dich erinnern wirst. Ich als der Klügere und Verständigere von uns beiden habe sogar abgelehnt, in die engere Wahl gezogen zu werden. Jetzt siehst du, warum.« Er schaute Rhapsody an, deren Gesicht vor Krankheit und Sorge ausdruckslos geworden war. »Aber es stimmt, dass die Herrin der Cymrer nicht allein gelassen werden sollte. Deshalb werde ich sie nach Navarne mitnehmen, damit du nach Sorbold gehen und dir über die dortige Lage Klarheit verschaffen kannst.«
»Wenn du glaubst, ich würde sie ...«
»Er hat Recht, Sam«, sagte Rhapsody mit angestrengter, aber etwas kräftigerer Stimme. »Wenn wir nicht beide gehen können, dann musst wenigstens du dich auf den Weg machen.«
»Nun gut«, meinte Ashe und sah unerfreut drein. »Ich gehe, sobald du sicher in Haguefort untergebracht bist.«
»Dazu reicht die Zeit nicht«, warf der Marschall ein. »Du kommst nur dann noch rechtzeitig zu den Begräbnisfeierlichkeiten, wenn du von hier sofort nach Jierna Tal in Jierna’sid aufbrichst. Die Riten finden im Nachtberg statt, in Terreanfor, der Basilika der Erde. Bei günstigem Wetter ist das ein Ritt von mindestens fünf Tagen. Sie wollen die alte Teufelin und ihren nutzlosen Spross begraben, bevor sie in der Hitze verwesen und zu stinken anfangen.«
»Gute Götter«, jammerte Rhapsody. Sie wandte sich rasch ab und erbrach sich.
»Glaubst du wirklich, dass ich sie deiner Obhut überlasse?«, wollte Ashe wissen, als er ihr sein Taschentuch reichte.
Zum ersten Mal seit seiner Ankunft schien Anborn überrascht zu sein.
»Entschuldigung, Rhapsody«, sagte er rasch. Rhapsody drehte ihm immer noch den Rücken zu und winkte freundlich. »Hör mir zu, Neffe, ich verspreche, mich so gut wie möglich zu benehmen. Ich werde mich so betragen, wie es sich als Eskorte gehört. Und ich werde sie mit meinem Leben beschützen.«
Ashe blickte zweifelnd drein, während er mit der Hand über Rhapsodys Rücken strich. »Rhapsody? Was hältst du davon?«
Seine Frau fuhr sich mit der Hand durch das dichte goldene Haar, strich es aus dem Gesicht und drehte sich wieder um.
»Bei Anborn werde ich völlig sicher sein«, sagte sie, während sie heftig atmete. »Ich möchte zurückgehen und nach Melisande und Gwydion schauen. Aber ich will nicht in Ha-guefort bleiben.«
»Wohin willst du denn gehen, Aria?«
»Zu Elynsynos.«
Onkel und Neffe schauten sich entsetzt an. Anborn war der Erste, der die Sprache wiederfand.
»Du willst zum Drachennest gehen? In deinem schlechten Zustand?«
Rhapsody nickte. »Ja. Sie allein hat einmal ein Kind von einer völlig fremden Rasse ausgetragen und in ihrem Körper das Blut von Drachen und Menschen zusammengeführt. Bei ihr werde ich in Sicherheit sein. In ihrer Höhle im Verlorenen Meer wird es mir gut gehen. Die Wellen werden meine Übelkeit überspülen, bis Ashe aus Sorbold zurückkehrt. Elynsynos wird auf mich aufpassen.« Sie lächelte schwach. »Außerdem vermisse ich sie sehr. Es wird mir gut tun, sie zu besuchen und ihr den neuesten Klatsch zu berichten.«
Ashe seufzte tief. »Ich glaube, es gibt keinen Ort, an dem du während deiner Schwangerschaft sicherer wärest als dort,
Rhapsody«, sagte er schließlich. Er schaute seinen Onkel an. »Und es gibt niemanden, dem ich dich auf der Reise dorthin lieber anvertrauen würde. Also gut, Anborn, wenn du meine Frau zuerst nach Haguefort und dann in die nördliche Wildnis zum Nest der Drachin begleiten willst, stehe ich tief in deiner Schuld.« Anborn nickte. »Ich werde einen Falkner mitnehmen. Falls ich gebraucht werde oder etwas schief geht...«
»Ich werde nur dann einen Falken schicken, wenn es zu einer Katastrophe gekommen ist. Geh jetzt. Das Regiment wartet.«
»Eine angenehme Reise, Sam«, flüsterte Rhapsody, als Ashe sie in den Arm nahm. »Ich will gute Nachrichten hören, wenn wir uns wiedersehen. Und schau dir die Basilika an. Ich habe gehört, sie sei eines der verborgenen Wunder der Welt. Ich will, dass du sie mir bei deiner Rückkehr in allen Einzelheiten beschreibst.«