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Achmed grunzte nur und wünschte, das endlose Ritual wäre bald vorbei, damit endlich das Kolloquium beginnen konnte, bei dem sich Sorbolds Zukunft entschied.

Schließlich kamen sie zu einem Absatz, einem weiten, offenen Boden mit niedriger, gewölbter Decke. Hier ging das Licht von einer großen Anzahl schimmernder Felsen aus, wie Achmed sie schon zuvor gesehen hatte.

Zwei Gerüste standen in der Mitte dieses offenen Raumes und waren mit Seilen verbunden, die von der Decke hingen, in welcher rechteckige Löcher zu sehen waren.

Der Seligpreiser begann mit den letzten Riten, den Bestattungszeremonien, die denen glichen, welche in der patrizianischen Kirche von Roland abgehalten wurden, doch sie beinhalteten Elemente des alten Weges und mehr heidnische Reste, als Stephen damals erwähnt hatte. Als er schließlich fertig war, wandte er sich an die Versammelten.

»Meine Kinder, der Ritus der Übergabe an unsere Mutter, die Erde, ist vollendet. Nun bleibt nur noch die eigentliche Beerdigung übrig, die Erhebung der Leichname in ihre einzelnen Grablegen innerhalb des kaiserlichen Mausoleums über uns. Wenn ihr jetzt gehen wollt, werden euch die Messdiener bis nach Jierna Tal begleiten, wo ein Leichenschmaus stattfinden wird, nach dem wir das Kolloquium einberufen werden. Falls jemand über die Treppe der Treuen zu der Aussichtsplattform der Grablege gehen will«, fügte er hinzu und deutete auf eine kleine Tür in der Wand neben den Gerüsten, die schon an den Seilen in Richtung Decke gezogen wurden, »ist er willkommen, den letzten Begräbnisriten beizuwohnen. Ich bitte um Beachtung, dass die Treppe der Treuen sehr gewunden und eng ist. Wer nicht gesund ist oder sich an engen Orten unwohl fühlt, wird freundlich ersucht, besser nach Jierna Tal zurückzugehen.«

Die meisten Würdenträger eilten hinter den losmarschierenden Messdienern her und der Luft der Oberwelt entgegen.

Nicht jedoch der Herr der Cymrer und der Firbolg-König. Sie schauten einander fragend an, eilten dann gemeinsam zu der Tür, auf welche der Seligpreiser gedeutet hatte, und liefen die Treppe hoch. Der Seligpreiser hatte die Enge der Wendeltreppe nicht übertrieben. Achmeds Schulter und Ashes ganze rechte Seite schrammten an der gekrümmten Wand entlang, während sie die immer enger werdende Wendeltreppe hochstiegen. Dabei wurde die Luft beständig wärmer und der Boden trockener und lebloser.

»Das war eine schlechte Entscheidung«, murmelte Achmed nach der dreizehnten Drehung um die Achse der Wendeltreppe. »Eigentlich muss ich die Grablege nicht sehen. Ich war nur neugierig, wie es gelingen würde, den Kronprinzen in seine Gruft zu ziehen.«

»Vielleicht haben sie ein paar Zugpferde und einen Elefanten im Obergeschoss«, meinte Ashe und zog die Schulter ein, damit sie nicht noch stärker aufgeschürft wurde.

»Wenn noch mehr als eine ganze Umdrehung kommt, gehe ich zurück«, erklärte der Bolg-König, während er langsam weiterkletterte. »Die Treppe könnte auch bis in die Spitze eines dieser Gipfel führen...«

Ashe hörte, wie Achmed plötzlich verstummte.

»Was ist los?«, fragte er, als der Bolg-König stehen blieb.

Achmed kam nicht mehr dazu, eine Antwort zu geben. Stattdessen machte er ein paar zögernde Schritte nach vorn und sah sich staunend um.

In die obere Begräbniskammer von Terreanfor mit ihren einzelnen Mausoleen der Monarchen von Sorbold zu treten war wie der Eingang in einen lebenden Regenbogen.

Die Kapelle hatte eine geringe Grundfläche, war aber sehr hoch. Die Decke wurde von dünnen Säulen gehalten, die mit Statuen von Menschen geschmückt waren; es handelte sich wohl um legendäre Gestalten aus der sorboldischen Geschichte, den plumpen Gesichtszügen nach zu urteilen. Die Statuen markierten Abschnitte der Gruft, die in den Wänden beinahe unsichtbar waren.

Diese Wände bestanden ausschließlich aus wundervollem Bleiglas.

Der Bolg-König machte einen weiteren Schritt in einen leuchtenden Fleck aus rosigem Licht hinein, an den sich schimmerndes Blau anschloss, das sanft pulsierte, als eine Wolke im Himmel über den Wandfenstern vorbeitrieb.

Der Blick seiner verschiedenfarbigen Augen glitt über das Panorama aus wunderbaren Farben über ihm und um ihn herum; er trank diese Schönheit, die Handwerkskunst von tausend Jahren und die Arbeit von unzähligen Generationen Geschicktester Künstler, die gemeinsam ein in die Nachmittagssonne getauchtes, nach Westen gerichtetes Paradies geschaffen hatten.

»Ein angenehmer letzter Blick.«

Ashes Stimme klang nur gedämpft an seine Ohren. Achmed schüttelte die Worte einfach ab. Er hatte sich in der Majestät der Regenbogen verloren, die entlang der Gruftmauern in der gewölbten Decke erstarrt waren.

Sein Bewusstsein, das seinem ästhetischen Sinn eine ferne Sekunde später folgte, machte ihn auf zwei Dinge aufmerksam.

Erstens erkannte er, dass jede einzelne Grablege der sorboldischen Kaiser ihr eigenes, makellos aufgeführtes Fenster hatte, das ein stilisiertes Bild vom Leben des Monarchen gab. Leitha war als schöne, rundliche Frau in reicher Kleidung dargestellt. Mit der einen Hand verteilte sie Brot an die Armen, in der anderen trug sie ein Schwert. Die Fenster waren offensichtlich schon viele Jahre zuvor in Auftrag gegeben worden, möglicherweise hatte man mit der Arbeit daran schon bei ihrer Geburt begonnen. Die künstlerische Vollendung dieses Fensters und der anderen, welche ihre Vorfahren priesen, war atemberaubend.

Zweitens sah er von der Grabkapelle aus einige Schatten hinter den Fenstern, welche die Gruft der Kaiserin und ihres Sohnes verschließen würden. Sie glitten vor und zurück, beugten sich, legten Glas an Glas und brachten sorgfältig die letzten Einzelheiten an – das Todesgewicht, den letzten historischen Bericht für die Nachwelt, unsterblich gemacht in Sand und Hitze und Mineralien, die winzige Scheiben aus großartigen Farben bildeten, damit die Erinnerung blieb, wenn alle, die sie im Leben gekannt hatten, im Tod mit ihnen vereinigt waren. Glaskünstler.

22

Als er an der westlichen Bergseite entlangging, welche die Gruftfenster enthielt, überdachte Achmed seine Haltung einem Gefolge gegenüber. Zwar hatte der Umstand, dass er allein zu der Beerdigung und dem danach sich unzweifelhaft entspinnenden Streit gekommen war, schon die beabsichtigte Botschaft übermittelt, doch die Anwesenheit eines Gehilfen hätte ihn davor bewahrt, sich um alles selbst kümmern zu müssen und zu spät zum Kolloquium zu kommen.

Als er die Bergspitze umrundet hatte, hing die Sonne schon tief im Himmel und tauchte das Land in die Farbe des Blutes. Er schirmte die Augen ab und hielt nach den Glaskünstlern Ausschau, die er als Schatten vom Inneren der Gruft aus gesehen hatte.

Die meisten von ihnen waren verschwunden.

Die Übriggebliebenen packten gerade ihr Werkzeug und Material auf hell bemalte Wagen und machten sich daran, vor Einbruch der Nacht den Berggipfel zu verlassen. Achmed bemerkte, dass diese Gruppe sowohl aus Männern als auch aus Frauen bestand, mit dunklen Haaren, dunklen Augen und dunklem Gesicht, gekleidet in Nomadengewänder und jeder mit einem Gürtel, dessen Farbe angab, zu welchem Klan er gehörte, auch wenn sie nicht alle denselben ethnischen Hintergrund zu haben schienen. Die meisten waren schlank, drahtig und von ähnlichem Körperbau wie er selbst. Die Männer waren allesamt rasiert und geschoren.

Auch die Frauen trugen ihr Haar kurz, sodass sie auf den ersten Blick schwer zu unterscheiden waren. Als sie ihre Ausrüstung auf die Packtiere banden und den Rest in den drei Wagen verstauten, redeten sie in einer Sprache miteinander, die er nicht verstand.

Er rannte auf die Stelle zu, wo einige der Künstler letzte Glasurschichten auf die frisch bearbeiteten Fenster auftrugen und einige ältere säuberten, doch sofort wurde er von vier sorboldischen Soldaten aufgehalten, welche die Glaskünstler bewachten.

»Was machst du hier?«, befahl ihm ein stämmiger Kolonnenführer, während die anderen ihre Piken senkten. »Geh zurück.«

Achmed blieb sofort stehen und legte die Hände an die Seite. Mit seinen verschiedenfarbigen Augen schaute er den Kommandanten an. Nach einem Moment eisigen Schweigens flüsterte eine Wache einer anderen etwas hinter dem Rücken des Anführers zu. Er glaubte, die Worte Bolg-König zu verstehen. Anscheinend hatte er richtig gehört, denn der Anführer der Kolonne trat zur Seite und starrte ihn schweigend an.