»Du kennst die Panjeri nicht, oder?«
Der Bolg-König schüttelte den Kopf und schluckte eine böse Bemerkung herunter.
»Dann weißt du auch nichts über unsere Kunst und unsere Geschäfte. Und über unsere Sprache.
›Panjeri‹ bedeutet ›die trockenen Blättere Wir werden so genannt, weil wir wie im Wind umhertreiben, von Ort zu Ort eilen und nie irgendwo länger bleiben als ein abgefallenes Blatt in einer windigen Wüste. Es tut uns weh, längere Zeit zu verharren. Wenn du ein Dutzend Panjeri bittest, an einen bestimmten Ort zu kommen, ist das, als würdest du ein Dutzend Blätter bitten, während eines Sturmes auf dem Boden liegen zu bleiben.«
»Ich brauche kein Dutzend Panjeri«, sagte Achmed rasch und bemühte sich, seine Stimme nicht allzu gebieterisch klingen zu lassen. »Ich brauche nur einen – den besten, fähigsten, erfahrensten. Das Blatt, das im Sturm nicht gleich dahinjagt.« Er hob die Brauen, hielt den Kopf schräg und sah die anderen versammelten Arbeiter an. Ein schiefes Lächeln legte sich auf sein Gesicht. »Welcher würde das wohl sein?«
Daraufhin verengten sich die Augen der Frau.
»Das wäre ich«, sagte sie überheblich.
»Und wie wirst du gerufen, Größte aller Panieri?«
»Theophila.«
»Ich verstehe. Da ich keine Gelegenheit habe, die anderen Panjeri zu fragen«, fuhr der Bolg-König fort und schaute die übrigen Kunsthandwerker weiterhin an, die ihm vom Wagen aus entgegenstarrten, »und ihnen kaum klarmachen könnte, was ich von ihnen will, muss ich wohl davon ausgehen, dass du das schwerste Blatt bist.«
Die Frau verschränkte die Arme vor der Brust. »Selbst wenn sie anderer Meinung wären, könntest du nicht verstehen, was sie sagen.«
Achmed nickte und presste die Lippen in gespielter Zustimmung aufeinander. »Das ist richtig. Nun gut, Theophila, falls du wirklich die beste Glaskünstlerin der Panjeri bist, wie hoch ist dein Preis, wenn du für mich arbeitest?« Sie dachte einen Moment lang nach. »Für wie lange?« »So lange wie nötig. Wenn du das, was du begonnen hast, nicht zu Ende bringen willst, werde ich dich auf keinen Fall anstellen.«
Die Frau blickte finster drein. »Ich lasse nie eine Arbeit unvollendet zurück«, knurrte sie. »Ich glaube, du hattest vorhin Gelegenheit, dich davon zu überzeugen.« »Richtig. Ich frage dich noch einmal, wie hoch dein Preis ist.« Die Frau schaute ihn erneut an und lehnte sich gegen die Trittleiter des Wagens.
»Ein Grund«, sagte sie. »Ein Grund?«
»Ja. Ein Grund, um meine Reise zu unterbrechen, mich von meinen Gefährten zu trennen und an einem unbekannten Ort zu bleiben, solange es dir beliebt. Kannst du mir dafür einen zwingenden Grund nennen?«
Achmed dachte einen Augenblick lang nach. »Ja«, sagte er schließlich. »Ich kann dir versprechen, dass das Glas, das du für mich herstellen, und das Projekt, an dem du mitarbeiten sollst, völlig anders ist als alles, was du je gemacht hast oder je machen wirst.«
Theophila zuckte die Achseln. »Das ist nicht zwingend genug«, sagte sie sanft. »Das kann man von den meisten Projekten behaupten, an denen wir arbeiten. Die Herausforderung mag groß sein, aber sie kauft mir kein Werkzeug und ernährt nicht meine Familie.« Sie setzte den Fuß wieder auf den Wagenrand und zog sich hoch.
Der Bolg-König lächelte leicht. »Werkzeuge? Ja. Ich habe bemerkt, dass eure Zangen rostig und eure Feilen und Schleifer schadhaft sind. Wenn sich dein Preis nicht nach Edelsteinen bemisst, dann vielleicht nach besserem Werkzeug.«
Die Frau hielt inne, drehte sich zu ihm um und sah ihn kalt an. Einer der Männer im Wagen winkte ihr ungeduldig zu, und eine andere Frau sagte etwas, doch Theophila brachte beide mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Vielleicht weißt du doch ein wenig über unsere Arbeit«, sagte sie. »Was weißt du über Werkzeuge?«
»Alles«, erwiderte Achmed keck. Er fühlte sich, als setze er beim Kartenspiel, und hasste es. Er griff in seinen Stiefel, zog eine leichte svarda hervor und balancierte eine der drei Klingen auf der behandschuhten Fingerspitze aus. Dann streckte er die Hand aus und zeigte das vollkommene Gleichgewicht der Waffe.
Die Panjeri im Wagen rissen die Augen auf und starrten die kreisrunde Klinge an, die in der Luft über Achmeds Zeigefinger schwebte. Nur Theophila schien unbeeindruckt zu sein.
»Wir haben keine Verwendung für Wurfmesser«, sagte sie verächtlich, doch Achmed bemerkte ein leichtes Schwanken in ihrer Stimme.
Auch sie spielte mit verdeckten Karten.
»Meine Leute können jede Waffe und jedes Werkzeug herstellen, und zwar aus Materialien, die ein Leben lang halten und noch deinen Enkeln dienlich sein werden. Sie bleiben scharf und verlässlich und weichen nicht um eine Haaresbreite von den Maßen ab, in denen sie geschmiedet wurden.«
»Oh. Besser als diamantrandiger Stahl?«
»Ja, besser.«
Sie warf den Kopf zurück und fuhr sich mit der Hand durch die kurzen Locken. Schweißtropfen flogen in alle Richtungen. »Ich glaube dir nicht.«
Achmed holte eine Cewllan-Scheibe hervor. »Untersuche sie selbst. Aber sei vorsichtig. Wenn du ungeschickt bist, wirst du dich verletzen. Sie hat keinen Griff; es ist eine Waffe, kein Werkzeug.« Er kicherte, als er die Wut über diese Beleidigung in ihren Augen sah, auch wenn sie keine Miene verzog.
Vorsichtig ergriff sie die Scheibe und drehte sie in der Hand. Sie hielt sie gegen die letzten Strahlen der tief hängenden Sonne. Nun kniete sie sich und schlug die Scheibe gegen einen Fels, dann fuhr sie mit der Oberfläche über den rauen Stein. Sie richtete sich wieder auf und gab Achmed die Scheibe zurück.
»Wir verlassen Sorbold, sobald wir bezahlt worden sind«, sagte sie und ging unterdessen fort.
»Wann wird das sein?«, fragte er, während sie in den Wagen kletterte und sich neben eine der anderen Frauen setzte. Der Mann, der das Gerüst geschüttelt hatte und nun auf dem Kutschbock saß, gab den Pferden ein klickendes Zeichen, und der Wagen fuhr an. Sie rief durch den Lärm des Wagens, der bereits hinter der ersten Felserhebung verschwand: »Sobald sich der Wind dreht.«
Als der Bolg-König nicht mehr zu sehen war, fragte eine der Frauen in ihrer aussterbenden Sprache:
»Theophila, was wollte der Mann?«
Die Frau schaute über die Seitenwand des Wagens gegen den steinigen Hang des Berges. In der Ferne sah sie einen langen, dünnen Schatten vor der untergehenden Sonne, der wie eine Spinne den Berg hinabhuschte, von Zeit zu Zeit anhielt und dann weiterlief, während der Wagen langsam außer Sichtweite rumpelte.
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, sagte sie. »Er will mich wegen meiner Erfahrungen mit Bleiverglasungen anstellen.«
Die Panjeri sahen sich an.
»Wirst du mit ihm gehen?«
»Vielleicht. Wir werden sehen. Falls er zurückkehrt, bevor wir morgen früh abreisen, begleite ich ihn möglicherweise. Aber ich bezweifle, dass er kommen wird. Ich muss es allerdings mit dem Führer besprechen.«
»Du hast die freie Wahl«, sagte einer der Männer neben ihr.
Sie bedeckte die Augen mit der Hand und versuchte, den schleichenden Schatten ausfindig zu machen, doch es gelang ihr nicht. Sie nahm die Hand wieder herunter und schaute auf die rote Wüste unter ihr.
»Ich weiß.«
Achmed sah dem Wagen nach, bis er das Flachland erreicht hatte, und folgte ihm auf dem Bergkamm. Er beobachtete, wie der Wagen in ein Lager einfuhr, in dem schon drei weitere Karren sowie eine Hand voll Zelte standen und ein zeremonielles Feuer entzündet worden war.
Er merkte sich die Lage der Zelte genau und eilte dann über den Berghang zurück zur Burg von Jierna Tal, während die Nacht hereinbrach und die Himmelskuppel über Sorbold mit einer tintenartigen Schwärze überzog, in der keine Sterne zu sehen waren.
23
Nielash Mousa wurde der Faustgewichte und Waagschalen, des Sandes und des Wiegens müde. Als die Begräbnisriten im tiefen Tempel von Terreanfor und der bleiverglasten Krypta in der Spitze des Berges vorüber waren, hatte er gehofft, sich der wichtigeren und schwierigeren Aufgabe widmen zu können, Sorbolds Zukunft zu gestalten. Vermutlich hatte die Kaiserinwitwe geglaubt, es sei das Wichtigste, ihren Platz in der Ewigkeit mit Pomp und Feierlichkeit zu sichern und ihre morschen Knochen im strahlenden Licht der Bleiglaskapelle beizusetzen, doch Mousa wusste, dass die Toten warten konnten, nicht aber die Lebenden.